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Gelebte Hoffnung

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Lech Walesa, der Friedensnobelpreisträger 1983, entzieht sich den gängigen Kategorien, die man ansonst an Laureaten anzulegen gewohnt ist.

Allein die Vorstellung: Der gewerkschaftliche Robin Hood aus Polen in Frack und steifer Hemdbrust inmitten ehrwürdiger Honoratioren bei der Verleihung in Oslo — das Bild hat etwas unzweifelhaft Skurriles an sich.

Der walroßbärtige Volkstribun aus Danzig ist wohl auch einer der ersten Preisträger, der — nach eigenem Bekenntnis — kaum ein Buch gelesen hat. Seine Intelligenz ist von anderer Art — ungeschliffen, unbearbeitet. Ein Roh- Diamant.

Auch landläufige Bildung fehlt ihm. Er macht dies sicher wett durch eine Bildung des Herzens, die manch glänzendem Geist fehlt, gleicht den Mangel aus durch eine bewiesene Lernfähigkeit, Flexibilität und Anpassung, durch Mutterwitz und Bauernschläue.

Walesa, der Ausgezeichnete, ist sicherlich nicht frei von Fehlern, hat nichts von jener schlichten Heiligkeit einer Mutter Theresa. Nach seinen eigenen Worten „amüsiert“ er sich ganz gern, „manchmal trinke ich auch, schöne Mädchen gefallen mir — aber alles in Grenzen“.

Eitelkeit und Medienbewußtsein sind ihm nicht fremd. „Er ist ein Star — und er weiß es“, hat Frankreichs Außenminister Claude Cheysson über ihn treffend gesagt.

Ein nahezu ungebrochenes Selbstbewußtsein, das gelegentlich auch die Bescheidenheit verleugnet, eine unreflektierte Naivität - auch das sind weitere Charaktereigenschaften, die nicht unbedingt nahtlos zum idealisierten Bild eines Preisträgers passen.

Die meisten, ja fast alle Vorgänger Walesas erhielten den Preis, weil sie ein zumindest vorläufiges

Resultat ihres Bemühens vorzuweisen hatten, das mehr oder minder zu Recht prämierenswert war.

Nichts davon bei Walesa. Seine autonome, selbstverwaltete, unabhängige Gewerkschaft „Solidarität“ ist als Organisation untergegangen und zerschlagen. Die Vereinbarungen von Danzig vom August 1980 sind — ungeachtet der Lippenbekenntnisse des Regimes — nur noch ein Fetzen Papier für Historiker, ausgelaugt und ausgehöhlt von Kriegsrecht, Sondergesetzen, „Normalisierungspolitik“

und einer Militarisierung des öffentlichen Lebens in Polen (siehe auch Seite 6).

Das ist nicht die Schuld Walesas, auch wenn man ihm einiges vorwerfen kann: mangelndes taktisches Geschick etwa oder daß er die Radikalen in seiner Gewerkschaft nicht wirklich zu bremsen vermochte, obwohl er als Symbol die Autorität dazu gehabt hätte. Er hat die Lage falsch eingeschätzt.

Aber, wozu darüber reden und schreiben? Fest steht, daß Walesa und seine Idee — nach den üblichen Erfölgskriterien gemessen - vorerst gescheitert sind.

Ein Friedensnobelpreis für einen Gescheiterten, für einen „Ruinenbaumeister“, einen Trümmer helden ?

Wer unseligerweise auch im Moralischen und Geistigen dem materialistischen Input-Output- Schema folgt, muß tatsächlich zu dieser Beurteilung gelangen.

Aber er liegt damit falsch, leugnet die Dimension der Hoffnung, die eine „conditio humana“ ist. Hoffnung und Glaube — auch und gerade diesem einfachen polnischen Werftarbeiter Walesa, die sem vielfach kleinen letztlich durchschnittlichen Mann ohne Schnörkel ist sie eingewurzelt und hat Frucht getragen - nach bitteren langen Jahren der Hoffnungslosigkeit. Als 1970 der polnische Dezember mit Schüssen auf streikende Arbeiter und Toten blutig endete und der neue Parteichef Gierek den Werftarbeitern versprach „Helft mir, dann helfe ich euch“ — da saß auch der junge Walesa in der Halle und mag Hoffnung geschöpft haben.

Er hat sie nicht verloren, auch nicht als er nach 1976 entlassen und zum Vollzeit-Dissidenten wurde, sein geliebtes Land in einem Sumpf von Hoffnungslosigkeit zu versacken drohte.

Er hat die Hoffnung nicht verloren, trotz gelegentlicher Anfälle von Kleinmut, als die stürmischen Augusttage von 1980 "noch nicht mit letzter Sicherheit signalisierten, daß alles zu einem guten Ende kommen werde.

Gelebte Hoffnung, fleischgewordenes Symbol für eine atemschöpfende Nation war Walesa auch, als die kurze Epoche der „Solidarität“ Millionen schwer arbeitender und leidender Menschen im Land an der Weichsel eine Ahnung von Menschenwürde und Respektierung menschlicher Grundrechte brachte.

Kriegsrecht, Internierung, Verleumdungskampagnen, der eiskalte Reif der Repression und der gnädig scheinende „Schnee“ einer alles bedeckenden Resignation und Entmutigung — all das hat in Walesa, dem der Papst zu Recht auch „Klugheit und Mäßigung“ attestiert hat, die innere Flamme nicht auszulöschen vermocht: Die Flamme der Hoffnung auf ein besseres, gerechteres Morgen. Der Preis von Oslo mag sie nun wieder stärker aufflackern lassen. Und das ist gut so. Denn was wäre eine Welt, die nur Erfolge gelten ließe und nicht auch Hoffnung und Glaube?

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