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„Gelegen oder ungelegen..

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„Man kann Politik sehr pragmatisch betreiben. Es ist sogar unmöglich, immer nur von hohen Grundsätzen getragen zu sein. Aber auch pragmatische Politik stellt grundsätzliche Weichen. Denken wir etwa an viele Maßnahmen der Bildungspolitik oder der Familiengesetzgebung, die sehr wohl Werturteile und Wertverschiebungen im Gefolge haben.

Sicher sind die Parteien in Österreich weniger Weltanschauungsparteien geworden. Das mag gut sein. Die Auseinandersetzungen werden eher entschärft. Es ist aber auch eine Gefahr dabei, da die pragmatische Politik nicht so leicht sich selbst deklariert, also zu erkennen gibt, womit man es nun wirklich zu tun hat Und außerdem ist die Eigendynamik der verschiedenen Interessen kaum noch zu steuern.

Eine Periode der Kirche in der Gesellschaftspolitik in Österreich scheint abgeschlossen zu sein. Nach dem Krieg war sehr wohl diese Parole am Platz: „Freie Kirche in einem freien Staat.“ Ich meine doch, daß die Kirche jetzt soviel Vertrauen besitzt, daß man ihr zugesteht, nicht mit einer bestimmten Partei politisch liiert zu sein.

Aber es ergeben sich neue Probleme: Es geschehen nun Gesetzgebungen, die in einem klaren Gegensatz zu jenem Bild stehen, das die Kirche zu vertreten hat. Deshalb war es unausweichlich, daß die Gesetzgebung bezüglich der Fristenlösung zu einer Kollision führen mußte. Wenn es nun einmal so ist, so soll man diese Kollision nicht nur bedauern. Zugleich erheben sich aber für die Katholiken dieses Landes einige Fragen: Kann man überhaupt gesellschaftspolitische Einflüsse suchen, ohne jeweils mit einer Partei konform zu gehen und mit einer anderen in Gegensatz zu geraten? Es gibt doch nahezu keinen parteifreien Raum. Und die zweite Frage heißt: Genügt es, daß einzelne Katholiken in ihrem Einflußbereich politisch tätig werden, ja, genügt es, wenn Katholiken bewußt in die Partei und Interessenvertretungen einsteigen — muß nicht auch die Kirche als ganze sich deklarieren?

Nun ist es aber am Platz, noch eine Unterscheidung zu machen: Es ist eine eigenartige Erscheinung, daß mit dem Wort „die Kirche“, die nun etwas sagen und tun soll, primär und beinahe ausschließlich nur die Bischöfe gemeint werden. Man könnte ironisch sein und sich fragen, warum dies sei so, obwohl wahrscheinlich noch nie soviel von Laienverantwortung und Volk Gottes geredet wurde.

Ich denke, daß hier nun doch die deutliche Unterscheidung gemacht werden muß: Die Bischöfe sind eindeutig die befugten Sprecher und Verantwortlichen der Kirche. Es wird Aktionen und Meinungsdeklarationen geben, die direkt von ihnen oder in ihrem direkten Auftrag geschehen. Es muß aber auch zugleich einen Freiraum geben, der bei der KA mit dem superius moderamen (also der Oberaufsicht der Bischöfe über die Katholische Aktion, ohne sie in jedem Schritt zu dirigieren oder für alles die Verantwortung auf sich zu nehmen) verbunden ist. Aber auch die katholischen Verbände, die in einem verschieden gestuften Nahverhältnis zur Hierarchie oder zu Parteien stehen, sind hier zu nennen. Ich glaube, daß dieser Spielraum unbedingt gewahrt werden muß.

Ich meine, daß die Katholische Kirche, sei es nun in offizieller oder offiziöser Form, eine der größten Kraftreserven darstellt, die verhüten können, daß unsere Gesellschaftspolitik in bloße Gefälligkeitsdemokratie, Pragmatik, auf die schlüpfrige Bahn des Rechtsfindens nach dem Volksbewußtsein und schließlich in die zu jnbesehene Übernahme von fremden Modellen gerät. Sie hat damit eine große Verantwortung und soll sich nie weigern, in das Spannungsfeld der Geister einzutreten, zumal von verschiedenen modernen Wissenschaften zunächst faszinierende, aber mitunter bis ins Herz erkältende Modelle und Thesen geliefert werden. Sie kann sich ein bloßes Darüberstehen über den Dingen nicht leisten.

Ein weiterer Gedanke könnte unter dem Stichwort „stille Koalition“ genannt werden. Es ist sicher eine besondere Fähigkeit einzelner Persönlichkeiten, an einem Tisch ernste und besorgte Menschen verschiedener Herkunft und geistiger Ausrichtung zusammenzubringen. Aber es will mir scheinen, daß nun eine bezeichnende Diskussionsmüdigkeit eintritt.

Ein Drittes: Die Kirche — wiederum sei es in offizieller oder offiziöser Form — und die einzelnen Katholiken sollen sich nicht zu sehr scheuen, die Hände schmutzig zu machen. Politik wird oft ein schmutziges Geschäft genannt. Sicher ist in ihr die Versuchung nahe, die Wahrheit dem Vorteil zu opfern, die Gerechtigkeit dem Einfluß und das Verzeihen dem gnadenlosen Ausnützen der gegnerischen Schwäche. Aber wir vergessen, daß man sich auch bei der Arbeit die Hände schmutzig macht. Deshalb meine ich, daß es von unserer Seite einfach riskiert werden muß, sich den momentanen Auseinandersetzungen zu stellen — auch auf die Gefahr hin, später einmal etwas zurücknehmen zu müssen, in einen Irrtum zu geraten, ja sogar eine seel-sorgliche Situation zu belasten.

Damit bin ich auch beim Letzten und für mich sehr Entscheidenden angelangt: Das Wort muß verkündet werden, sei es gelegen oder ungelegen. Diese Freiheit muß sich die Kirche mit allen Mitteln wahren. Es scheint mir ein alarmierendes Zeichen, daß es beinahe zur Hauptargumentation gegen das Volksbegehren von seifen der hier in Beschuß geratenen Partei wurde: Damit habe sich die Kirche wiederum mit einer Partei liiert. Von einer anderen Seite aber, letzten Endes in der gleichen Wertskala, kam auch die Opposition gegen das Volksbegehren aus innerkirchlichen Kreisen: Wir dürfen den pastoralen Frieden nicht gefährden. Unter der Lauttönigkeit dieser s Anfragen ging beinahe die eigentliche Frage zumindest akustisch fast unter: Was geschieht nun tatsächlich, wenn eine Abtreibung vorgenommen wird? Der Schutz der Wahrheit und der Gebote Gottes kann nicht einfach der Opportunität geopfert werden. Ich weiß, daß dieses Prinzip der Freiheit sehr leicht aufzustellen, aber sehr schwer anzuwenden und durchzuhalten ist. Sehr oft wird die Kirche unter dem Kreuz leben müssen, von zwei Übeln das kleinere wählen zu müssen. Sehr oft wird sie das Kreuz zu tragen haben, daß von ihr ein klares Wort erwartet wird, ja daß sie dazu gedrängt wird, obwohl die Dinge oft noch nicht genug klar sind. Dennoch muß sie den Raum ihrer eigenen Freiheit unverbrüchlich anstreben. Dann wird es auch möglich sein, daß sie, getragen von der befreienden Erlösungstat Jesu, ein Werkzeug der Freiheit für diese Erde wird.“

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