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Gelungene Feuertaufe

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I m zarten Alter von erst vier Monaten ist die Sozialdemokratische Partei Großbritanniens (SDP) schon zum politischen Faktor aufgestiegen, der die Parteienszenerie der Insel grundlegend verändern könnte!

Das überraschend gute Abschneiden der Allianz aus Liberalen und Sozialdemokraten bei den Nachwahlen in War- rington, der nordenglischen Industriestadt und Wodkametropole des Landes, und die starken Stimmengewinne bei kommunalen Urnengängen haben bei den Anhängern eine Art von Euphorie ausgelöst, vor der sich nur jene freihalten, die wissen, welch schwere Prüfungen für das neue Gefüge und ihre Ehe mit den Liberalen erst noch kommen werden.

Die Computer sagen der Allianz der Mitte den Einzug in die Downing Street voraus, einen überwältigenden Sieg bei den kommenden nationalen Wahlen im ominösen Jahr 1984.

Die SDP ist die Partei der Persönlichkeiten, nicht der eingefahrenen Parteimaschinerie des bürokratischen Apparates und der Mäzene im Hintergrund. Derartiges muß erst geschaffen bzw. gefunden werden. Allein schon in dieser Tatsache ist ein erfrischendes Element zu sehen, wohl auch mit ein Grund, daß die Partei bisher so ausnehmend gut gefahren ist.

In Warrington stand die Persönlichkeit von Roy Jenkins im Vordergrund, einstiger Labourminister des Inneren und Leiter des Schatzamtes, später EG- Kommissär in Brüssel. Durch diesen persönlichen Erfolg wurde jener der

Partei nicht geschmälert. An profilierten Persönlichkeiten hat der Allianzpartner, die Liberalen, weit weniger Spektakuläres zu liefern.

Nach dem erprobten Rezept, hervorstechende Persönlichkeit als Zugpferd für eine Wahlkampagne im regionalen Rahmen, wollten die Sozialdemokraten auch bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit Vorgehen: im südlichen Londoner Bezirk Nordwest-Croyden, wo in etwa zwei Monaten die nächsten Nachwahlen fällig werden und wo die Konservativen eine gute, wenn auch nicht überwältigende Mehrheit zu verteidigen haben.

David Steel, der Führer der Liberalen und Mitschöpfer der Koalition der Mitte, unterstützte die Kandidatur von Shirley Williams, die zweite herausragende Lenkerfigur in der Quadriga der Sozialdemokraten. Aber vorerst wurde nichts aus dieser strategischen Konzeption.

Frau Williams, die schon anfangsder siebziger Jahre als Favoritin auf jenen Posten angesehen worden war, den jetzt Margaret Thatcher innehat, muß sich noch eine Weile gedulden, bis sie wieder ins britische Parlament einziehen kann. Am Widerstand der Liberalen scheiterte ihre Kandidatur, die jetzt einem färb- und bisher erfolglosen Liberalen zukommt. Allein die nächste Gelegenheit wird sich für sic schon bald finden, da noch mit etwa einem Dutzend Nachwahlen gerechnet wird, bevor der nationale Urnengang in Szene geht.

Die Vermählung von Liberalen und Sozialdemokraten, auf Zeit, nicht auf Dauer geschlossen, kommt viel schneller in das berüchtigte krisenreiche siebente Jahr, als es die Ehe von Charles mit Diana verspricht, eine Hochzeit, deretwegen in Großbritannien momentan das politische Leben still steht!

Politische Koalitionen haben es zumeist an sich, auf wesentlich labilerer Grundlage gebaut zu sein, als menschli-, che Verbindungen, die mit dem Ehering besiegelt sind. Weltanschauliche Differenzen müssen auf dem Wege des Kompromisses überbrückt werden und politische Notwendigkeit schafft diesen Kompromiß.

Das britische Wahlsystem wiederum schafft die politische Notwendigkeit. Das Mehrheitswahlrecht benachteiligt kleine Parteien über Gebühr, so wie es die großen überproportional begünstigt. Ist erst einmal die „Reizschwelle“ von etwa 30 Prozent überschritten, dann schlagen sich Stimmengewinne durch eine Vertretung im Parlament nieder, die größer sind als die Repräsentanz allein durch Voten.

Zusammen können Liberale und Sozialdemokraten so schaffen, was den Liberalen bisher verwehrt war: Vertretung im Parlament, entsprechend dem eroberten Stimmenanteil. Es könnte mit viel Glück und bei günstiger politischer Konstellation allerdings auch einmal der Fall eintreten, daß ein Partner allein schafft, was nur einer gemeinsamen Strategie zugetraut werden kann.

Strenggläubige Liberale fürchten nun um die Reinheit ihrer Lehre und Weltanschauung und - was noch schwerer wiegt - von den so schlagkräftigen Sozialdemokraten ins zweite Glied gedrängt, zum Juniorpartner degradiert zu werden. Der liberale „Observer" spricht so von „liberalen Ängsten, vom Leviathan geschluckt zu werden, der mit liberaler Hilfe ins Leben gerufen worden ist“.

In Warrington sprach man von einem moralischen Sieg der Sozialdemokraten und ließ so gut wie unberücksichtigt, daß auch der politische Partner sein Scherflein zu diesem Erfolg beigetragen hat. Derartiges würde sich wiederholen, wenn Shirley Williams die gelungene Feuertaufe in Warrington nicht nur wiederholt, sondern auch noch übertrifft, indem die Sozialdemokraten ihren ersten durch Wahl gekürten Vertreter in das Parlament bringen.

Derzeit besteht das sozialdemokratische Kontingent in Westminster aus 14 Parlamentariern, die von Labour zum politischen Neuling übergdwechselt sind und einem Abgeordneten, der den Tories abgejagt werden konnte. Etwa 20 Labour-Abgeordnete stehen gewissermaßen auf der Warteliste. Und Wahlerfolge der SDP können den Entschluß, die Parteifarbe zu wechseln, beschleunigen.

Darin liegt der große Wert von Erfolgen, daß diese ihre Kreise ziehen. Es kommt etwas ins Rollen, was die Soziologen den „Bandwageneffekt“ bezeichnen: Hemmungen fallen, Risiken schwinden und die Stimmen gehen dem voraussichtlichen Sieger zu.

In der Mitte einer Legislaturperiode, zwei Jahre vor den nächsten Gesamtwahlen, sind die Parteien der Mitte mehr als sonst begünstigt, ebenso die Oppositionspartei. Labour hat sich durch das unschöne Gezänk der Flügel, das letztlich zur Bildung der SDP geführt hat, um diesen Kredit gebracht.

Die weitere Entwicklung der Mitte- Links-Partei wird zeigen, ob tatsächlich schon ein Erdrutsch in der englischen Politik ins Rollen gekommen ist. Die Partei ist immer noch ohne Führer (Jenkins bietet sich als solcher an) und ohne explizites Programm.

Zwei Jahre sind eine lange Zeit, genug um jeden Vorschuß zu verspielen, ausreichend aber auch, um die unwahrscheinlichen Computerprognosen wenigstens teilweise zu bestätigen.

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