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Gemalte Botschaft des Humanismus

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Führt der Weg „vom Sehen zum Einsehen“? Ein Rückblick auf das Lebenswerk des großen österreichischen Malers zeigt in der barock bewegten Formenwelt ein klares ethisches Bekenntnis.

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Führt der Weg „vom Sehen zum Einsehen“? Ein Rückblick auf das Lebenswerk des großen österreichischen Malers zeigt in der barock bewegten Formenwelt ein klares ethisches Bekenntnis.

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Zwei bedeutsame festliche Ereignisse, deren Zusammentreffen fast schicksalhaft erscheint, werden in diesem Jahr zelebriert: es sind dies einerseits der 100. Geburtstag Oskar Kokoschkas am 1. März, und andererseits wurde 1986 zum „Jahr des Friedens“ ausgerufen.

Von niemandem inszeniert, könnte das bewegte Künstler- wie

Emigrantenschicksal Oskar Kokoschkas doch viele Leitmotive und Gedanken für die Friedensidee liefern. So stellte auch Werner Hof mann in seiner Rede zu einer Ausstellungseröffnung des Meisters 1966 fest: „Kokoschkas kämpferischer Humanismus hat sich immer zur sinnerhellenden Funktion des Künstlers bekannt.“

1945 verfaßte der damals in London lebende Künstler und Humanist eine Friedenspetition „an das gerechte Volk von Großbritannien“. Seine Rede ist von tiefem, noch als Reaktion auf den Faschismus verständlichem, Kulturpessimismus geprägt und zeigt parallel zu Orwells Schrek-kensvision: Angst vor totaler Verstaatlichung und Überwachung des Individuums. Aus dem viele Seiten umfassenden Text seien

nur einige wenige Sätze zitiert, soweit sie uns heute in unserer aktuellen Situation eine Lehre sein können:

„Soziale Planung führt in die Irre, wenn sie das Prinzip des schöpferischen Menschen leugnet, welches heißt, daß sich logische Vorgänge und Vorstellungskraft in einem Geist, der sich im Gleichgewicht befindet, gegenseitig ergänzen. Das isoliert die Kunst und versetzt den Künstler in den .elfenbeinernen Turm'... Es ist mehr als ein Korn Wahrheit in dem Mißtrauen, mit dem der gemeine Mann die Chancen zur Rettung der Welt beurteilt... Ich sehe im Mann der angewandten Wissenschaft und seinem Ebenbild den Prototyp der kommenden Gesellschaft, in der die individuelle Erfahrung den Menschen nicht mehr vor der Wiederholung seiner eigenen Irrtümer retten kann.“

Aus Kokoschkas Traktat könnte man eine These folgenden Inhalts ableiten: Ohne geistige und physische Freiheit des Individuums keine staatliche Evolution.

Ahnte Kokoschka, auf welch heimtückische Art der Sozialstaat vom Individuum Besitz ergreifen kann?

In dieser Rede heißt es weiter: „Wir dringen mit barbarischer Feindseligkeit in die innere psychische Welt nicht nur deswegen ein, weil das Ästhetische, das zu

einer moralischen Weltbetrachtung gehört, sich auf der oberflächlichen physikalischen Ebene nicht offenbaren kann, sondern auch deswegen, weil uns die Werte ermangeln, die Individuum und Gesellschaft verbinden.“

Kokoschkas gesamtes Oeuvre, sein malerisches wie sein dichte-risches.wirdvoneinempermanen-ten Dialog mit dem Mensch-Sein durchzogen.

Seine 1908 erschienene lyrische Dichtung „Die träumenden Kna-

ben“ mit 10 Lithographien, eine bibliophile Kostbarkeit der Jugendstilzeit, zeigt genauso wie die in den folgenden Jahren entstandenen „psychologischen“ Porträts das leidenschaftliche Suchen nach dem inneren Wesen und nach der Bestimmung der Menschen.

In den Lithographien zur „Bachkaritate“ und im Gemälde „Die Windsbraut“, eine malerisch-hymnische Verklärung seiner Liebe zu Alma Mahler voll ba-

rockem Erbe, erfahren diese Tendenzen 1914 einen frühen Höhepunkt.

Aber auch die darauffolgenden Jahre der großen Landschaftsund Städtebilder zeitigen immer belebte Natur, beseelte Schöpfung. 1937 entstehen die ersten allegorischen Bilder. In London, wohin der Künstler 1938 mit seiner späteren Frau, Olda Palkov-ska, übersiedelte, rücken nun antike Themen in den Vordergrund.

Wieder benützt Kokoschka den Vorwurf, um das Menschliche und Schrecklich-Menschliche darzustellen. Das Gleichnis erlangt die Unmittelbarkeit eines Katastrophenberichtes. Das Londoner Deckenbild „Die Prometheus-Saga“ (1950) und das 1954 in Villeneuve entstandene Tripty-chon „Termopylae“ wie der Lithographien-Zyklus zur „Odyssee“ sind die großartigsten Beispiele dieser antiken Gleichnissuche.

Kokoschka läßt den listenreichen Humor, die lüsternen Ausschweifungen, die wilde Mordlust der alten Mythen völlig neu aufleben, ohne auch nur im geringsten schulmännische Gelehrsamkeit an den Tag zu legen. „Sein Erlebnis der Antike wurzelt nicht im Intellekt oder im sittlichen Gebot, es verläuft nicht in den harten Konturen des Klassizismus, sondern steht von Anbeginn an unter dem verklärten Licht des Wunderbaren, im wahrsten Sinne des Wortes Fabelhaften“, schrieb Werner Hofmann.

Als Vermächtnis Oskar Kokoschkas ist auch die „Schule des Sehens“ bei der 1953 ins Leben gerufenen „Internationalen Sommer-Akademie für bildende Kunst“ in Salzburg zu betrachten. In einer Botschaft an seine Geburtsstadt Pöchlarn bekannte Oskar Kokoschka 1973: „Ich wollte bloß ein Zeugnis dafür mit meiner Existenz ablegen, daß Sehen zu Einsehen führen kann, macht man nicht allein die Ohren, sondern auch die Augen auf.“

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