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Gemeinsam reparieren

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Die Wiener Wohnbaupolitik geht neue Wege: Weg von Stadtrandsilos, hin zur Sanierung des Altbestandes - mit Hilfe des eben geschaffenen Stadterneuerungsfonds.

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Die Wiener Wohnbaupolitik geht neue Wege: Weg von Stadtrandsilos, hin zur Sanierung des Altbestandes - mit Hilfe des eben geschaffenen Stadterneuerungsfonds.

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Wie eine Oppositionspartei ihre politischen Ziele langfristig durchsetzen kann, zeigte dieser Tage die Wiener Volkspartei. Die Beharrlichkeit von ÖVP-Landes-parteiobmann Vizebürgermeister, Erhard Busek zum Thema Stadterneuerung und Stadtreparatur führte zum Erfolg.

Die Einigung zwischen der Wiener SPÖ und der Wiener ÖVP über die Gründung eines Stadterneuerungsfonds kann ohne Zweifei Busek auf seine Fahnen heften. Die jahrelange Forderung von Busek nach Stadterneuerung wurde anfänglich von der Rathausmehrheit belächelt, dann bekämpft und heftig abgelehnt.

Während Busek und die Seinen davon träumten, die abgewohnten Stadtviertel.zu revitalisieren, hielten die Sozialisten eisern am Prinzip der Stadterweiterung fest. Während Busek und die Seinen die ersten Stadtfeste abhielten, um die Bevölkerung von den Qualitäten der alten Stadtviertel zu überzeugen, schwärmten die sozialistischen Stadtplaner noch von den Stadtrandsiedlungen.

In den siebziger Jahren wurden die großen Siedlungen jenseits der Donau, in Transdanubien, errichtet. In Kagran, in Stadlau, in der Leopoldau, in Breitensee, aber auch am südlichen Stadtrand, in Favoriten und am Schöpfwerk entstanden die großen Wohnsilos.

Als sich zeigte, daß die Neubauten am Stadtrand immer teurer und damit unsozialer wurden, legte sich die Rathausmehrheit nicht mehr quer gegen Begriffe wie Stadterneuerung und Stadtreparatur. Dennoch wurden seit 1977 insgesamt sechs Anträge der Wiener ÖVP zur Schaffung eines Wiener Stadterneuerungsfonds mit den Stimmen der SPÖ abgelehnt.

In einer gemeinsamen Pressekonferenz — die erste der beiden Parteiobmänner - stellten Gratz und Busek am 18. Jänner das Einigungspaket der Öffentlichkeit vor.

Damit keine Illusionen auftauchen, deponierten Gratz und Busek ihre Koalitionsabneigungen. Bürgermeister Leopold Gratz stellte dezidiert fest, daß die Einigung über eine Sachfrage noch kein Koalitionspakt sei. Und Erhard Busek konnte sich den kleinen Seitenhieb nicht verkneifen, daß eine Koalition auf Wiener Ebene nur mit einer verfassungsmäßigen Regelung — wie in den anderen Bundesländern - möglich sei.

Für die Rathausmehrheit war der Schritt zum gemeinsamen Stadterneuerungsfonds ein Eingeständnis für das Scheitern des Stolzes der Wiener SPÖ, für den kommunalen Wohnbau schlechthin.

Die Zeit drängt. Der Gesamtaufwand zur Sanierung der Bundeshauptstadt wird auf 150 bis 200 Milliarden Schilling geschätzt. Laut der letzten Volkszählung 1981 stehen mehr als 105.000 Wohnungen leer. Gleichzeitig sind 20.000 Bürger der Stadt beim Wohnungsamt als Wohnungssuchende vorgemerkt.

Der Neubau ist fast nicht mehr finanzierbar. Im Heinz-NittelHof in Floridsdorf, ein Gemeindebau mit Sozialwohnungen, werden Mieten von mehr als 60 Schilling pro Quadratmeter verlangt. Deshalb stehen im Heinz-Nittel-Hof mehr als zwei Drittel der Wohnungen leer. Die sozial Schwachen, für die diese Sozialwohnungen gedacht sind, können sich selbst mit der Mietzinsunterstützung die Wohnungen nicht leisten.

Die Wohnungsgesetzgebung geht am Bedarf vorbei. Gefördert wird der Neubau; durch steuerliche Anreize, durch die Wohnbauförderung, durch die Bausparkassenfinanzierung. Damit entstehen Disproportionen.

Ein Rechenbeispiel: 500.000 Schilling im Neubau investiert kosten den künftigen Mieter auf Grund der günstigen Finanzierung (auf 50 Jahre) 1.000 Schilling im Monat. Dieselbe Summe in einen Altbau investiert erfordert eine monatliche Rückzahlung von 5.500 Schilling, allerdings auf eine Rückzahlungsdauer von nur zehn Jahren.

Die Rechnung sieht aber noch anders aus, wenn gegenübergestellt wird, daß für den Betrag von einer halben Million Schilling nur eine halbe Wohnung gebaut, aber eine ganze saniert werden kann.

Mit dem neuen Fonds soll versucht werden, jährlich etwa 30 Prozent der zur Verfügung stehenden Wohnbauförderungsmit-tel in die Althaussanierung umzulenken. Das ist doppelt so viel wie bisher.

Das Gesamtvolumen für die Revitalisierung dürfte damit zehn Milliarden Schilling pro Jahr erreichen. Der weitere Vorteil: die Stadtreparatur ist arbeitsintensiv. Viele Klein- und Mittelbetriebe finden Aufträge. Nach ersten Schätzungen können bei forcierter Stadterneuerung rund 10.000 Arbeitsplätze gesichert werden.

Die zweite Zielsetzung des neugeschaffenen Fonds ist die Koordinierung des Wiener Grundstückmarktes für den sozialen Wohnbau. Die gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaften sollen sich nicht mehr gegenseitig konkurrenzieren. Die Bauträger werden künftig ihre Grundstücke direkt vom Fonds erwerben.

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