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Gemeinsame Wege im Donauraum

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Wir leben in einer Plaudergesellschaft. Es wird viel diskutiert, doch enden die meisten Debatten ohne Ergebnis. Diesmal, in Budapest, ist es anders gekommen.

Zwei Tage lang saßen wir im Saal des österreichischen Kulturinstitutes, hielten oder hörten, Vorträge, nahmen Stellung, entwarfen gemeinsame Pläne. Histo-

riker, Schriftsteller, Soziologen, Publizisten beider Länder waren gekommen, der ungarische Universitätsprofessor Peter Hanäk, die Historikerin Waltraud Heindl, der Ästhetiker Roman Rocek und der Schreiber dieser Zeilen aus Österreich hatten Referate gehalten, schließlich wurden gemeinsame Vorschläge formuliert.

Was auffiel, war die Einhelligkeit in der Beurteilung aller wichtigen Fragen. Ost-Mitteleuropa und sein Kernstück, der Donauraum, bilden eine geistige Einheit — daran zweifelte niemand. Gemeinsame historische Erfahrung, ein dichtes Netz geistiger Wechselwirkungen, gemeinsame Interessen drängen zur regionalen Zusammenarbeit. Sie entspricht dem Wesen des Prozesses, der mit der Konferenz von Helsinki 1975 begann. Karl Schramek, der Leiter des österreichischen Kultur-

Können die Völker von Ost-Mitteleuropa zu einer engeren geistigen Zusammenarbeit finden? Ein Symposion in Budapest über die kulturellen Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn versuchte, Möglichkeiten dafür aufzuzeigen.

institutes, ließ keinen Zweifel daran, daß das Symposion politisches Gewicht haben könnte.

Es war natürlich, daß die Diskussion die Nachbarvölker miteinbezog. Es gibt, wie es Peter Hanäk im Titel eines seiner Werke formulierte, einen „mitteleuropäischen Patriotismus".

Die Anregungen blieben bescheiden. Daß man ihre Substanz verstand, zeigte das Echo in den ungarischen Massenmedien und im österreichischen Rundfunk. Die Zeitschrift „Pannonia" hat Autoren der Nachbarländer gebeten, sich zu den gemeinsamen Plänen zu äußern.

Man empfahl, zum Beispiel, eine Uberprüfung der Geschichtsbücher. Gehässige Darstellungen sollen korrigiert, Gemeinsamkei-

ten ihrer Bedeutung gemäß hervorgehoben werden. Auch die Lesebücher sollten Autoren der Nachbarländer aufnehmen. Große Schriftsteller der Region müssen im Literaturunterricht ihren Platz bekommen.

„Es ist dringend notwendig, ein Werk über die Geschichte des Donauraumes in Angriff zu nehmen, und zwar in einer populären, für das breite Publikum lesbaren Form", steht unter den Anregungen zu lesen. Daß Universitätsprofessor Zoran Konstantinovic, Innsbruck, dabei ist, eine Literaturgeschichte des Donauraumes vorzubereiten, wurde mit Interesse vermerkt. Ein Hauptabteilungsleiter des ORF sprach über die Möglichkeit einer in Zusammenarbeit mehrerer Sender entstehenden Reihe „Donau-Universität".

Daß im Zusammenhang mit einer in Niederösterreich zu errichtenden neuen Universität gegenwärtig am Plan einer wirklichen Donauuniversität gearbeitet wird, weckte reges Interesse. Der Vorschlag, bis dahin Sommerkurse über kulturhistorische Fragen Ost-Mitteleuropas zu organisieren, wurde freudig begrüßt: „Eine erste Sommerakademie dieser. Art könnte sich mit der Jahrhundertwende befassen."

Einen weiteren Plan bezeichneten selbst die Teilnehmer des Symposions als Utopie, doA fan-

den sie es richtig, auch dieses Fernziel zu Papier zu bringen:

Möglich wäre „ein gemeinsames Auftreten der Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler des Donauraumes außerhalb des europäischen Kulturkreises, also etwa im Fernen Osten, in Südamerika, in Afrika, etc."

Die Staaten der Europäischen Gemeinschaft planen bereits solche gemeinsame Präsentationen.

Interessant war schließlich eine sozusagen selbstkritische Anregung von ungarischer Seite. Der Gebrauch der deutschen Sprache ist in der Nachkriegszeit in Ungarn schwächer geworden. Eine weitere Schwächung könnte die Zusammenarbeit zwischen

Österreichern und Ungarn stören,

auch im wirtschaftlichen Bereich. Es ist bereits vorgekommen, daß Forscher der beiden Nachbarländer gezwungen waren, sich englisch zu unterhalten. Die Universität Budapest und das österreichische Kulturinstitut in Budapest haben bereits beschlossen, ein Buch für deutschlernende Ungarn herauszugeben. Der Generaldirektor des Akademia-Verlages, Budapest, nahm am Symposion teil; er gab spontan bekannt, daß sein Verlag bereit sei, das Buch herauszugeben.

Der Fall spricht für sich. Das Nachdenken über die Möglichkeiten regionaler Zusammenarbeit im Donauraum ist keine leere Träumerei. „Der Gedanke geht der Tat voran, wie der Blitz dem Donner", schrieb Heinrich Heine.

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