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Gemeinsames Endziel

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Das „Gleichgewicht des Schreckens“ scheint vorerst die Garantie dafür zu sein, das so schnell weder Sowjets noch Amerikaner den Druckknopf betätigen, der die totale Vernichtung auslösen kann. Die andere Möglichkeit, der nuklearen Bedrohung zu entgehen, wäre die Abschaffung aller Atomwaffen. Wie darüber Amerikaner und Sowjets denken, schildern exklusiv für die FURCHE Botschafter Adrian S. Fisher, US-Delegierter zum Abrüstungsausschuß der Vereinten Nationen in Genf, und der sowjetische Schriftsteller Ernst Henry.

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Das „Gleichgewicht des Schreckens“ scheint vorerst die Garantie dafür zu sein, das so schnell weder Sowjets noch Amerikaner den Druckknopf betätigen, der die totale Vernichtung auslösen kann. Die andere Möglichkeit, der nuklearen Bedrohung zu entgehen, wäre die Abschaffung aller Atomwaffen. Wie darüber Amerikaner und Sowjets denken, schildern exklusiv für die FURCHE Botschafter Adrian S. Fisher, US-Delegierter zum Abrüstungsausschuß der Vereinten Nationen in Genf, und der sowjetische Schriftsteller Ernst Henry.

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Die Beendung des atomaren Wettrüstens und die nukleare Abrüstung sind für die Nationen der Welt kein neues Anliegen. Tatsächlich urgierte bereits die erste Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen, über deren Annahme ein Konsens erzielt wurde, die Eliminierung von Atomwaffen aus nationalen Arsenalen.

Diese Zielsetzung ist von führenden Staatsmännern aller Länder bei vielen Gelegenheiten immer wieder bekräftigt worden, und die USA sind sich hiebei ihrerseits der besonderen Verantwortung der führenden Atomwaffenstaaten hinsichtlich der nuklearen Abrüstung sehr wohl bewußt. Die Erfahrungen der letzten zehn Jahre zeigen jedoch, daß es weitaus einfacher ist, sich auf Zielsetzungen zu einigen, als jene Übereinkommen auszuhandeln, die uns diesen Zielen tatsächlich näherbringen.

Allzu oft sind unsere Erklärungen über die letztlichen Zielsetzungen, über die wir uns alle einig sind, als Voraussagen ausgelegt worden, daß diese Ziele in nächster Zukunft erreicht werden können. Gelingt dies nicht, empfinden wir alle ein Gefühl der Enttäuschung, und bei manchen mögen dieser Enttäuschung auch gewisse Zweifel über die Motive der Verhandlungspartner anhaften.

Die Verhandlungen über SALT II sind ein hervorragendes Beispiel für all jene Schwierigkeiten, die mit dem Problem der Kontrolle der Atomwaffen verbunden sind und wie sie durch geduldige und zähe Arbeit überwunden werden können.

Inner- und außerhalb der USA wurde mancherorts gegen dieses Abkommen wegen der dadurch für die Zukunft auferlegten Begrenzungen argumentiert. Andere wiederum haben SALT II kritisiert, weil sie die darin enthaltenen Beschränkungen als nicht ausreichend und nicht der Mühe wert finden, die es gekostet hat, um das bisher Vereinbarte zu erreichen. Manche haben schließlich auch die Bedeutung des Abkommens geschmälert, weil seine Bestimmungen durch den technologischen Fortschritt überholt seien.

SALT II steht symbolisch für die Erkenntnis der USA und der Sowjetunion, daß ein unkontrolliertes nukleares Wettrüsten die Gefahr einer atomaren Apokalypse erhöht. Mit SALT wird auch die durch die Atomwaffen geschaffene technologische Revolution anerkannt. Vor Anbruch des Atomzeitalters dienten die Streitkräfte eines Landes-egal ob sie nun als offensiv oder defensiv eingeschätzt wurden - nicht nur dazu, gegen einen Angriff abschreckend zu wirken, sondern auch, sollte eine solche Abschreckung ihre Wirkung verfehlen, das eigene Land zu verteidigen.

Heute ist es schwierig, sich die Auswirkungen eines nuklearen Schlagabtausches vorzustellen. Wir wissen, daß er eine noch nie dagewesene Katastrophe für die Menschheit bedeuten würde, und vielfach ist die Frage gestellt worden, ob die Uberlebenden die Toten beneiden würden.

Die Abschreckung vor einem Atomkrieg ist damit zum vorrangigsten Ziel der nationalen Sicherheit der USA geworden.

Um unsere Abschreckungskraft glaubwürdig zu machen und um sicherzustellen, daß andere durch militärische Disparitäten aus ihrer Sicht keine politischen Vorteile ergattern, haben die Vereinigten Staaten als zweites Ziel eine essentielle Parität der strategischen Streitkräfte hergestellt. Wir sprechen deshalb von essentieller Parität, weil wir uns darüber im klaren sind, daß die strategischen Streitkräfte unseres Landes und jene der Sowjetunion nie absolut identisch sein werden.

Jede Seite hat ihre Streitkräfte unter verschiedenen geographischen politischen, historischen und technologischen Gegebenheiten aufgebaut. Jede Seite hat gegenüber der anderen Vorteile auf verschiedenen Gebieten. Würde man also nur einen Typ statischer Kriterien anwenden, so könnte die Disparität zwischen den beiden Mächten wesentlich anders aussehen als bei einer Gesamtbetrachtung.

Nichtsdestoweniger sind die Besorgnisse jener, die über mögliche Ungleichgewichte zwischen den beiden Mächten beunruhigt sind, realer Natur und stellen ohne jeden Zweifel einen Faktor in der Problematik von SALT II dar.

War SALT II der Mühe wert? Ich möchte diese Frage klar bejahen, und wenn wir SALT als einen Prozeß sehen, der nicht mit SALT II endet, dann muß die Antwort ja lauten; und jene, die befürchten, daß durch technologische Fortschritte die zahlenmäßigen Begrenzungen im Rahmen von SALT II bedeutungslos werden, können lediglich darauf verweisen, daß die Gefahr, die einer Rüstungskontrolle durch höher entwickelte Technologie droht, ernst sein könnte.

Die Vereinigten Staaten sind sich der Gefahren bewußt, die mit dem weiteren Fortschritt der Technik auf uns zukommen. Im Vorjahr schlugen wir zum Beispiel vor, in den zweiten SALT-Vertrag Verbote der Weiterentwicklung schon bestehender Interkontinentalraketen und der Einführung neuer Waffen auf diesem Sektor einzubauen. Es gelang uns nicht, diesen Aspekt der Verhandlungsposition der USA zur Gänze durchzusetzen, doch wird das zweite

Abkommen für einige sehr wesentliche qualitative Begrenzungen sorgen.

In Anbetracht der Wechselbeziehung zwischen nuklearen und konventionellen Rüstungen bei der Aufrechterhaltung des militärischen ' Gleichgewichts und der internationalen Sicherheit kann ein einschneidender Abbau des Arsenals an Atomwaffen nur dann vorgenommen werden, wenn auch andere Elemente diöses Gleichgewichts berücksichtigt werden. Diese Schwierigkeiten kann man leicht unterschätzen, aber wir müssen realistisch sein, wenn wir konkrete Ergebnisse erzielen wollen.

Mein Wunsch ist es, über meine Ausführungen ein wenig nachzudenken, ehe man sich auf rasche Urteile über die Vorgangsweise in Sachen der nuklearen Abrüstung festlegt, die durchaus lobenswerte Absichten verfolgen, in der Praxis auftauchende schwierige Probleme aber nicht wirklich anpacken. Zugleich ersuche ich zu bedenken, daß ein Entwicklungsprozeß im Gang ist, der - mag er auch unvollkommen sein -durch SALT II und weitere Verträge sehr Wesentliches hervorbringen und, was noch wichtiger wäre, den Grundstein für einen erzielbaren und vernünftigen Fortschritt in Richtung auf unser gemeinsames Endziel legen könnte: die totale nukleare Abrüstung.

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