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Gemeinschaft in Vielfalt

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Am 14. Mai 1948 wurde der Staat Israel ausgerufen - am 17. Mai begann der Krieg der arabischen Staaten. Der 14. Mai ist für die Christenheit in diesem Jahr der Termin des Pßngstfestes. Die da das erste Pfingsten, ursprünglich ein altes jüdisches Erntefest, miterlebten, waren sämtlich Juden. Als der Heilige Geist die pfingstliche jüdische Gemeinde zur Kirche Jesu Christi umschmiedete, begann auch im gleichen Augenblick deren Ver-

folgung. Die Kapitel der Apostelgeschichte geben davon beredtes Zeugnis.

Die Gleichzeitigkeit der Termine in diesem Jahr erinnert erneut daran, daß es keine Christenheit ohne das vorherlaufende Judentum gäbe. Jesus von Nazareth war Jude und sein Kronzeuge, der Apostel Paulus, gleichfalls, obendrein mit dem römischen Bürgerbrief ausgerüstet. Daß mit Hilfe eben dieses christlichen Glaubens vom Mittelalter bis in die Neuzeit Judenverfolgungen einander ablösten, ist ein Schandfleck in der Geschichte der Kirchen. Sie handelten nicht anders als die

heidnischen Großmächte, die nacheinander Israel unterwarfen.

Die Gemeinschaft mit den Juden, erst in beider Verfolgung in den letzten Jahrzehnten wieder neu erkannt und bewährt, beruht nicht nur auf der gemeinsamen Herkunft, sondern auch auf Fundamenten gemeinsamen Glaubens. Die Psalmen - dieses Stichwort allein vermöge verdeutlichen, was damit gemeint ist. Gott handelt, lebendig und gegenwärtig; zu ihm kann der Glau-

bende rufen, von ihm wird er heimgesucht. Jude und Christ erfahren es in gleicher Weise. Oder die Hoffnung, zwischen Glaube und Liebe, den beiden großen Schwestern, noch immer im Wachstum zurückgeblie-ben:,sie braucht von Jude wie Christ nicht erst als philosophisches Prinzip mühsam definiert zu werden -sie trägt beide, im Leben wie im Sterben.

Diese Gemeinschaft in der Vielfalt macht es möglich, Unterschiede zu ertragen. Nicht nur zwischen Christen und Juden. Was hier gelernt und bewährt wird, muß im Verhältnis zu anderen Gruppen und Ge-

meinschaften, christlichen wie außerchristlichen, zum Tragen kommen. Es ist nicht von ungefähr, daß die Neugeburt der Ökumene in jenen Jahren erfolgte, da Christen und Juden, beide auf ihre Art folgenreich, unter härtester Verfolgung standen. In manchen Staaten Osteuropas ist es bis zur Stunde noch so. Der militante Atheismus haßt nur einen Gott - es ist der gleiche für Juden und Christen. Der gleiche für Lutheraner, Baptisten, Methodisten und Katholiken.

Seit der ersten großen Versammlung des Weltprotestantismus in Amsterdam 1948 sind gleichfalls dreißig Jahre vergangen. Grund genug, die erste Bilanz zu ziehen. Wir können Gott danken für das, was an neuer Gemeinschaft in Vielfalt zustande kam. Die Grenzen der Kirchen sind passierbar geworden, man braucht seine Christlichkeit vor dem anderen nicht mehr zu legitimieren - und geschossen wird aufeinander schon gar nicht mehr. Nach Jahrhunderten konfessionellen Haders keine Selbstverständlichkeit!

So dunkel die Schatten auf dem Verhältnis von Christen und Juden in vergangenen Jahrhunderten lasteten, so verhängnisvoll lagen sie auch auf den Christen untereinan-

der. Gott hat uns einander wieder zugeführt, als die Tyrannen sich selbst zu Göttern machten.

Gemeinschaft in Vielfalt. Das gilt nun aber auch schon lange im Verhältnis von Protestanten und Katholiken. War dem Preußen der Franzose und umgekehrt ein Erbfeind, so dem Erben der Reformation ein treues Glied von Roms Kirche. Beide Erbfeindschaften sind zu Freundschaften geworden. Das eine wie das andere ist ein Wunder, das wir zu Pfingsten neu zur Kenntnis nehmen. Auf daß sie aüe eins seien: dieser testamentarische Gebetswunsch Jesu nähert sich immer mehr seiner Erfüllung und wir sind ■ dessen Zeugen.

Kirchen haben ihre Geschichte. Sie trägt und hemmt zugleich. Der Geist Gottes muß immer wieder hineinblasen, daß wir es uns mit unserer Vergangenheit nicht zu wohl sein lassen und im Schatten unserer Spezialheiligen einen gesunden Kirchenschlaf halten. Er ist höchst ungesund und macht krank, bis hin zum geistlichen Tod. Bitten wir zu Pfingsten darum, daß der neue Tag, den Gott in der Christenheit anbrechen ließ, ihre Gemeinschaft in der Vielfalt immer fester macht, bis endlich nur noch eine Herde und ein Hirte sind.

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