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Gemischte Gefühle

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Fritz Muliar über eine Reise nach Hamburg - und zurück.

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Fritz Muliar über eine Reise nach Hamburg - und zurück.

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In meinen kühnsten Träumen hätte ich mir nicht gedacht, daß mir österreichische Zeitungen fehlen werden, aber wenn man an einem Tag in einem Blattl liest: „Opa Heinrich läßt das Klauen nicht / Matt und erschöpft liegt die große Schauspielerin Maria Schell im Krankenbett! (No na!) / Noah in der Zwickmühle...” Nein das ist zu viel. Dagegen sind ja unsere Boulevardblattln die Financial Times. Stil hin, Stil her - das ist die Insolvenz-Erklärung des Journalismus.

Dagegen ist am Theater in Hamburg allerhand los. Nicht die teilweise akzeptablen Eigenproduktionen der Hamburger Bühnen meine ich - nein! Die Sensation gastierte in der sogenannten Kampnagelfabrik. (Den Gazetten über die Wiener Festwochen entnehme ich, daß dies auch in Wien stattgefunden hat). Peter Brook läßt sein Centre International des Creations Théatrales (Paris), Shakespeares „La Tempete” (Der Sturm) entfachen. Prosperos Insel: ein helles Sand-Rechteck' in roter Erde, bunte Schmetterlinge an Bambusstangen - eingefangene Freiheit. Ein schwarzer Schauspieler als Prospero, seine Tochter Miranda Inderin, David Bennent, der Blechtrommler, als Caliban. Da wird nicht gearbeitet, daß der Schweiß tropft, da wird endlich wieder gespielt. Und alles in allem dauert der Traum nicht fünf, sondern knappe zweieinhalb Stunden. Unmöglich, so eine Spieldauer bei den Alt-68ern und ihren Nachplapperern in Deutschland und Österreich. Langsam kommen wir ihnen ja doch auf die Schliche, den Telefaxregisseuren, den Meistern der fremden Idee. Unsere Sachverständigen kennen sie längst, aber sie versuchen, ihren Irrtum zu verleugnen. Oder sie sind schlicht und einfach konservativ, also etwas, was sie unter keinen Umständen sein wollen. Aber wer 91/ 92 noch die Mode von 68 trägt, ist rückwärts gewandt.

Ungern verlasse ich die Riesenstadt an der Elbe und schlängle mich auf Autobahnen gegen Süden. Der Pfingstverkehr hat eingesetzt, sieben bis neun Kilometer Stau durch' s Ruhrgebiet sind an der Tagesordnung. Vorbei an den verdreckten Lungen der Industrie - Bochum, Duisburg, Essen, wer da nicht weg will, ist Patriot und Märtyrer in einem. Ich denke mit zweifacher Wehmut an das traumschöne Emsland - eine Oase der ungestörten Natur. Birken, Fichten, Tannen, Moorlandschaften und nur ein einziges Atomkraftwerk. Pferde, Kühe, Schafe - es ist zum Niederknieen.

Wissen Sie, wo Sögel liegt? Nein? Ich hab' dort gespielt. Und schön war's. Ein katholisch' Land, ein Erzbischof aus Köln aus dem Haus Wittelsbach hat es „kultiviert”. Clemens hieß der Herr mit dem Schönheitssinn. Wer denkt bei all dieser Pracht daran, daß hier acht Konzentrationslager standen und hier das Lied von den „Moorsoldaten” entstand. Heute erinnert sich niemand mehr daran.

Rechtswalzer mit links

Komisch, bei dem Intelligenzquozienten, der hier anzutreffen ist. Die Intellektuellen toben sich anderswo aus - etwa auf der Villa Hügel im Juni, wo sie über Thomas Bernhard schwätzen werden. Verwerflich, dieses großkapitalistische Ambiente für so linke Linke. Der ältere der Herren Diskutanten ist der Alt-Mime Bernhard Minetti, der deutschen Kritiker liebstes Kind, aber dem sind ja die verschiedensten Marschrichtungen vertraut. Ist ja keine Schand', wenn ein Meister des Rechtswalzers auch die linkesten Drehungen beherrscht.

In Ulm wird's ruhiger. Der höchste Kirchturm der Welt; das Münster, das er beherrscht, war nicht schwer getroffen worden im Krieg und ist daher noch recht original. Am Pfingstsonntag besuche ich einen Orgelvortrag, bestaune das herrliche Rathaus aus dem 13. Jahrhundert, freue mich an der Ulmer Schachtel (ein Schiff!), mit der MariaTheresia Schwaben die Donau abwärts hat befördern lassen. Ich steh' vor dem Einstein-Haus und sehe im Geist den kleinen Albert über den Marktplatz laufen. Heute flanieren lustige junge Leute von der Uni Ulm über den Platz, den derselbe Einstein überquerte, dessen weltbewegende Theorien sie heute büffeln müssen.

Geschmälzte Maultaschen mit Spargel, dann ein paar Schritte und man ist aus dem Baden-Würtemberg, das zur Zeit „der Teufel” regiert - so heißt Lothar Späths Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten -, draußen, überquert die noch schmale, aber schon ansehnliche Donau und ist in Neu-Ulm, das in Bayern liegt. Ich stehe in meinem Hotelzimmer arn Fenster und schau' ein wenig wehmütig auf den Fluß. Er fließt ruhig, und das Wasser, das da an mir vorüberwallt, ist bald in Österreich - mein Gott, ich war' gern an seiner Stelle.

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