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Generale ohne Soldaten?

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Als Pius XI. im Jahre 1922 die katholischen Laien zur „Teilnahme am hierarchischen Apostolat der Kirche“ aufrief, wurde dadurch die Katholische Aktion gleichsam von oben gegründet. Im weltkirchlichen Aspekt blieb es zweifelhaft, ob sie eine eigene Organisation darstellen sollte oder eine Zusammenfassung bisheriger Organisationen. Klar war der Wille des Papstes, dem schwindenden Einfluß der Kirche in der Gesellschaft durch die Gründung der Katholischen Aktion (KA) ein offizielles und organisiertes Laienapostolat der Kirche entgegenzustellen.

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Als Pius XI. im Jahre 1922 die katholischen Laien zur „Teilnahme am hierarchischen Apostolat der Kirche“ aufrief, wurde dadurch die Katholische Aktion gleichsam von oben gegründet. Im weltkirchlichen Aspekt blieb es zweifelhaft, ob sie eine eigene Organisation darstellen sollte oder eine Zusammenfassung bisheriger Organisationen. Klar war der Wille des Papstes, dem schwindenden Einfluß der Kirche in der Gesellschaft durch die Gründung der Katholischen Aktion (KA) ein offizielles und organisiertes Laienapostolat der Kirche entgegenzustellen.

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österreichischerseits wurde damals der Wiener Domkurat Leopold Engelhart nach Rom gesandt, um an Ort und Stelle Studien anzustellen, was denn unter Katholischer Aktion zu verstehen sei. Nach seiner Rückkehr berief der damalige Wiener Erzbischof Gustav Kardinal Piffl die Wiener Pfarrer am 15. Dezember 1927 zu einer großen Versammlung zu sich. Bei dieser ließ der Kardinal den Emissär zunächst über seine Erfahrungen und die daraus gewonnenen Anschauungen des längeren berichten, bis er sich selbst schließlich vor die Versammlung stellte und ausrief: „Hiemit erkläre ich die Katholische Aktion für eröffnet.“ Keiner der Versammelten wußte sich aber unter diesem Begriff etwas Genaueres vorzustellen. Im wesentlichen beschränkte sich die KA auch in den nächsten Jahren auf die Errichtung eines Ar-beitsausschußes, der in einem Nahverhältnis zum Seelsorgeinstitut stand, das damals, im Jahre 1931, Dr. Karl Rudolf gleichsam auf privater Basis entwickelte.

Die KA jener Zeit übte aber neben ihrer Aufgabe einer „Seelsorgehilfe“ im Verein mit den katholischen Verbänden auch noch eine zweite Funktion der katholischen Volksbewegung aus und deckte vielfach deren Tätigkeit: nämlich jene der christlichen Sozialreform und Sozialbewegung. Die besondere, von der österreichischen Bischofskonferenz einberufene katholische soziale Tagung vom Jahre 1929 in Wien war ja nicht nur ein Ausdruck des Zustands der kirchlichen Soziallehre, sondern auch der katholischen Sozialbewegung. Heute ist von einem solchen Engagement, trotz des Vorhandenseins einer eigenen Sozialakademie, nur mehr wenig übrig, wenn man von neuen Sozialbewegungen, wie Familienbewegung und Friedensbewegung vielleicht, absieht, die aber zu wenig im allgemeinen kirchlichen Bewußtsein stehen.

Stärkere Ansätze zu einem Ausbau der KA gingen bezeichnenderweise erst vom Katholikentag 1933 aus, zu einer Zeit also, da die zentralisti-schen Organisationstendenzen des Faschismus und Nationalsozialismus auch ihre Rückwirkungen auf das katholische Leben auszuüben begannen. In die Zeit von 1936/37 fällt das Bemühen, das katholische Organisa-tions- und Vereinswesen, das bis dahin von der KA nahezu unbeeinflußt geblieben war, mit diesem Titel unter einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Bei der Jugend kam dies dadurch zum Ausdruck, daß eine Reihe von katholischen Jugendverbänden auf einmal erfuhr, daß sie nun gemeinsam die katholische Jugend bildeten.

Nach dem Anschluß im März '38 wurde das bisherige katholische Verbandswesen zerschlagen. Gleichzeitig begann aber die große Stunde des Wiener Seelsorgeinstitutes zu schlagen, das sich die Aufgabe gesetzt hatte, Richtlinien und Behelfe für eine zeitgerechte Seelsorge in Stadt und Land zu erarbeiten. Angesichts der äußeren Lage der Kirche und des Rückzuges auf das Kerngebiet seelsorglichen Wirkens, die Pfarre, als einem letzten Refugium vor dem staatlichen Zugriff, fand der Ruf nach dem Primat der Seelsorge ein starkes Echo. Bei der traditionellen Referententagung des Seelsorgeinstitutes zu Pfingsten 1938 konnte der Leiter desselben, Dr. Karl Rudolf, in Gegenwart von Kardinal Dr. Theodor In-nitzer sagen: „Seelsorge und noch einmal Seelsorge! Seelsorge mit allen Mitteln und aller Intensität und We-senshaftigkeit, die uns nur immer gegeben sein mag; selbstredend unter Verteidigung jedes Fußbreits, jeder angegriffenen kirchlichen Stellung.“ *

Nach dem Anschluß 1938 setzte der „Aufbruch im Widerstand“ ein. Im Rahmen des Erzbischöflichen Ordinariates wurden drei neue Abteilungen geschaffen: für Seelsorge (genannt Seelsorgeamt), für kirchliche Organisation und für kirchliche Rechtswahrung. Letztere hatte unter Leitung des Konsistorialrates Leopold Engelhardt die Wahrung der Interessen jenes Restes, den das nationalsozialistische Regime von der KA übrig ließ, zu üben. In Zusammenarbeit mit dem Seelsorgeamt konnte hier ein letztes Refugium nicht nur für die KA, sondern auch für die Idee der katholischen Laienbewegung erhalten bleiben.

Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches im Jahr 1945 kam es zum Rückstrom in die demokratische pluralistische Lebensweise der Gesellschaft. Bereits vor dem Ende des Krieges hatte man im Hause Dr. Karl Rudolfs Beratungen abgehalten, was „nachher“ zu geschehen habe. Besonders in jenen Kreisen der Kirche, die im Widerstand die Kinder- und Jugendseelsorge aufgebaut hatten, war der Wunsch nach einer einheitlichen Bewegung mit der Betonung des Primats der Seelsorge und der Pfarre gegenüber einem Wiederaufleben des Verbandskatholizismus sehr stark vertreten. Es benötigte nur eines gemeinsamen Daches. Als solches konnte man auf die Idee der KA nahtlos zurückgreifen. Die Lösung war sehr einfach. Die Referenten für die einzelnen Gebiete der Seelsorge wurden gleichzeitig Assistenten der KA. Die Sitzungen der Referenten wurden einmal als Sitzung des Seelsorgeamtes abgehalten und ein andermal als Sitzungen der KA. Jedesmal unter der gleichen Leitung mit dem gleichen Personal. *

Diese Personalunion blieb bis in die 60iger Jahre wirksam, solange Kanonikus Rudolf und Kanonikus Steiner das Führungsteam bildeten. Alle Schwierigkeiten konnten durch die Autorität des Prälaten Rudolf immer wieder ausgeglichen werden. Aber nicht lange währte die Idee der Einheit. Schon drei Jahre nach Ende des Krieges kam es durch das Wirksamwerden internationaler katholischer Bewegungen, insbesondere der katholischen Arbeiterjugend, zur Aufgliederung der Jugend in drei gleichberechtigte Gliederungen nach berufsständischen Gedanken. Es kam dann zu einem typisch österreichischen Kompromiß: die vorgesehene Teilung gelang nicht, aber ebensowenig gelang die Gründung einer Arbeiterjugend oder Studentenjugend. Aus dem ständigen Gezänk der Gliederungen wurde nur eines erreicht: der Zerfall in eine lose Arbeitsgemeinschaft, dessen letzter gemeinsamer Überlebender eine vereinsrechtliche Körperschaft, nämlich das katholische Jugendwerk Österreichs ist.

Aus diesem Beispiel ist ersichtlich, wie wenig die KA Österreichs weder eine eigene Organisation geworden ist, noch eine Zusammenfassung bisheriger Organisationen darstellt, sondern nur ein niemanden befriedigendes Mixtum compositum ist.

Im Zeichen progressiver Tendenzen gefielen sich schließlich Vertreter der. KA darin, ihr Unabhängigkeit gegenüber den Bischöfen durch nicht immer sehr disziplinare Erklärungen zum Ausdruck zu bringen. Dem gegenüber entwickelten die Bischöfe da und dort die Tendenz, neue und alte apostolische Bewegungen und Erweckungsgruppen als gutes Beispiel der in ein Prokrustes-Bett gefangenen KA vorzustellen.

Am ehesten überlegte die KA alle Schwierigkeiten dort, wo sie unbeschwert von organisatorischen Experimenten von oben ihre enge Verbundenheit mit der pfarrlichen Seelsorge bewahren konnte. Wenn es heute noch so etwas wie katholische Jugend in größerem Ausmaß gibt, dann auf Pfarrebene. Ohne äußeren Druck ist die KA als Organisation heute jenen Weg gegangen, den ihr die verschiedensten totalitären Tendenzen bereiten wollten, nämlich den Weg zu Stäben und Generälen ohne Soldaten, zu sich selbst beschäftigenden Zentralstellen. Wo sie über lebendigen Kontakt nach unten verfügt, dort verdankt sie dies in erster Linie bewährten katholischen Verbänden oder der auf Standesseelsorge basierenden Pfarrarbeit.

Während der ganzen Zeit ihres Bestandes aber hat sich gezeigt, daß die KA, die doch eine Laienbewegung ist, weitgehend von priesterlichen Mitarbeitern abhängig ist. Was früher der Vereinpräses war, das würde nun der geistliche Assistent der KA, der nur dann, wenn er eifrig und bemüht war, dieses sogenannte Laienapostolat vorwärtsbrachte. Aber die Generation jener Seelsorger, die ununterbrochen mit Freude den Einsatz in der Seelsorge und vor allem in der Jugendseelsorge ausübte, ist dahin. So kommt es, daß man allenthalben die Hoffnung auf Clubs und Heime setzt. Man vergißt aber, daß solche nur das Ergebnis einer guten Seelsorgearbeit sein können. Aber ein Zentrum arbeitet nicht von selbst, sondern bedarf der eifrigen seelsorgerlichen Bemühung. Was einst einer der großen, bereits verstorbenen Wiener Pfarrer sagte, gilt auch heute: „Was uns heute bei den Priestern fehlt ist der Zelüs animarum.“ *

So stehen wir wieder beim Primat der Seelsorge. Woher soll er kommen? Als neue Hoffnung bieten sich die „Basisgruppen“ an, die integrierten Gemeinden. Aber wer genauer hinsieht, wird in den Basisgruppen entweder Eintagsfliegen oder Sammelpunkte Unzufriedener entdecken, wird sehen, daß die Basisgruppe einfach die Entdeckung der Kirche im kleinen Kreis ist. Ein wesentlicher Ansatz ist nach wie vor das Erlebnis der Pfarre und der größeren Gemeinschaft der Kirche, daß das Volk Gottes sich aufbaut aus kleinen Kreisen bis hinauf zur Welt-kirche.

KA scheint somit in ihrer Grundidee nicht organisierbar zu sein. So wie die Kirche dem Volk Gottes entspricht und der Bischof Seelsorger für alle ist, so werden sich immer wieder Trägergruppen für die Idee des Apostolates finden, die zugleich auch das Sozialisierungserlehnis der Kirche suchen. Nie aber können solche Gruppen die Kirche und den Bischof für sich vereinnahmen. So gehört der Primat nach wie vor der Seelsorge und die KA nimmt an dieser nur insoweit teil, als sie allein Idee ist und auch bleibt.

Die Folgerung lautet somit: ein Aufbau der KA kann nur aus der Seelsorge erfolgen. Parallel dazu geht der Verzicht auf leere Hülsen der Bewegung, die dann nur den großen Um-funktionierern dienen, den pressure groups, die es auch in der Kirche gibt. Zum Glück allerdings können diese pressure groups nie viel anstellen, vorausgesetzt, daß die Bischöfe nicht zu viel auf sie hören. Denn sie bleiben Generäle ohne Soldaten, die Ideen bleiben ohne Aussicht auf Verwirklichung. Aus der Einsicht in diese Realität kann aber eine Gesundung dessen, was KA als Idee ist, kommen. Die Mittel, über die sie heute — auch durch staatliche Subventionen — sehr reichlich verfügt, könnten aber besser denen zugewandt werden, die etwas in der Seelsorge und in der katholischen Volksbewegung tun. Und für diese sollte doch die KA Hilfe und nicht Hindernis, sein?

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