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Genialer Glossator in Vers und Prosa

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Zwölf Jahre nach dem Ableben Friedrich Torbergs (der Kettenraucherstarb am 10. November 1979 an der notwendig gewordenen Operation seines Raucherbeines) liegt der neunte und letzte Nachlaßband vor: „Voreingenommen wie ich bin" sammelt (wieder herausgegeben von Marietta Torberg und David Axmann), was er „Von Dichtem, Denkern und Autoren" veröffentlicht oder für sich notiert hat. Neun Nachlaßbände sind erstaunlich viel, bedenkt man, daß als eigene Schriften von 1929 bis 1978 nur zwölf Werke in Buchform erschienen sind: Romane, Erzählungen, Gedichte, Premierenberichte und andere Essays.

Dazu kommen freilich Übersetzungen, vor allem die auflagenstarken Satirenbände von Ephraim Kishon (nicht aus der israelischen Urfassung, sondern über den Umweg der englischen Ausgabe übertragen, weil Torberg nicht genug hebräisch konnte), die dem Spottfreudigen derart gut lagen, daß seine Verdeutschung absolut eigenständig wirkte, so daß Kishon einmal bei einem Wiener TV-Auftritt beteuerte, er wisse den Witz seines Freundes zu schätzen, möchte aber doch hinzufügen, daß auch die Originalfassung nicht ganz ohne Humor sei.

Die folgenschwerste Leistung aber: Friedrich Torberg hat den Dichter Fritz von Herzmanovsky-Orlando (1877-1954) erfunden und binnen kurzem nicht nur berühmt, sondern geradezu populär gemacht. Gut gefunden haben diesen literarischen Sonderling (eigentlich war er Maler und gelernter Architekt) viele, aber kein Verlag und keine Redaktion wollte ihn drucken und kein Theaterdirektor aufführen. Nur sein Roman „Der Gaulschreck im Rosennetz" war 1928 ediert (und später verramscht) worden, so gut wie ohne kritische Resonanz.

Literarhistorische Sensation Friedrich Torberg bewunderte den genialen Dilettanten schon zu dessen Lebzeiten, erreichte seine Zustimmung für eine Bearbeitung, rodete in mühevoller Arbeit den schier undurchdringlichen Wildwuchs der stilistisch ausschweifenden Manuskripte und schuf mit einer posthumen Werkausgabe (1957-1959) eine literarhistorische Sensation: Alsbald hatte Österreich und das deutsche Sprachgebiet einen neuen Klassiker, ja eine neue literarische Kategorie. Hinterherfielen etliche Germanisten (die bis dahin von Herzmanovsky-Örlando nichts gewußt hatten) über den Entdecker her und hielten ihm rügend vor, was er selber im Nachwort als nötig klargestellt hatte: daß er den für Lektoren und andere Leser unzugänglichen Amateur professionell zugänglich gemacht habe. Von „glätten" kann keine Rede sein; Torberg hatte nur einen gangbaren Leserweg gebahnt.

Überhaupt bleibt bei diesem Autor entscheidend: Er war Kenner und Könner, allerdings unterschiedlichen Ranges. Durchaus verstand er es, gute Verse zu schreiben, war ein gewiegter Erzähler, aber darüber weit hinaus ein genialer Glossator. In Gedichten und Geschichten, noch stärker in seinen Essays und bei den literarturpoli-tisch immer treffsicheren Seitenhieben erwies sich das Glossieren als Torbergs Hauptstärke. Von Anfang an war das Wortspiel keine Spielerei für ihn, sondern emsthafte Sprachkunst. Zum Beispiel in dem frühen Roman „Die Mannschaft" (1935) eine hämische Zwischenbemerkung über fußballfeindliche, aber immerhin den Schwimmsport tolerierende Eltern: „Schwimmen - wunderbar, ein Aufatmen. Aber sie meinten: baden." Oder, noch als Prager Premierenrezensent (Mitte der dreißiger Jahre) übereine „Maria-Stuart"-Aufführung lakonisch: Es spielte „den Leicester Herr Siedler, und leider war auch das Theater schwach besetzt." Diesem Autor kam es stets auf die Besetzung mit dem richtigen Stichwort an, und das gelang ihm beim stichhältigen Kommentieren am besten. Von Karl Kraus ausgehend, wurde Alfred Polgar sein geheimes Vorbild. Femer war er ein großartiger Briefschreiber, und er wußte das. Seine Mitteilungen waren immer auch Kritik, die oft genug den Adressaten einbezog: Die Briefsammlungen können als Beleg dienen.

Literaturkritiker-Band Der Schlußband Gesammelter Schriften, „Voreingenommen wie ich bin", demonstriert Friedrich Torberg als Literaturkritiker, immer ohne Ansehen der Person und ihres persönlichen Ansehens. In seiner Antwort auf eine Umfrage zum 100. Geburtstag Thomas Manns findet sich der distanzierende Satz: „Ich respektiere ihn, aber ich liebe ihn nicht." Samt gut belegter Begründung dieser paradoxen Beziehung, versteht sich. Torberg sprach sich auch gegen die Veröffentlichung der sehr privaten Liebesbeteuerungen seines Idols Karl Kraus fürdie Baronin Sidonie Nädhemy von Borutin aus und betitelte seine Ablehnung: „Briefe, die uns leider erreichten". Und selbstverständlich hielt er von Bertolt Brecht mehr als von den ideologischen Brecht-Anhängern; er meinte sie bei seiner Umfragebeantwortung „Worauf ich gut und gerne verzichten könnte..." (1968). Denn der Lyriker (teilweise auch der Dramatiker) Brecht war ihm teuer, die politisch mißbrauchbare Gesinnung hingegen suspekt: Durchaus auf die Gefahr hin, mißverstanden zu werden und selber suspekt zu erscheinen -voreingenommen wie er war.

VOREINGENOMMEN WIE ICH BIN. Von Friedrich Torberg. Langen/Muller Verlag, München 1991.212 Seiten, öS 249,60.

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