7059953-1991_32_08.jpg
Digital In Arbeit

Genialischer Sänger einer Gegenwelt

Werbung
Werbung
Werbung

Auch ein kleines Stückchen Geschichte der FURCHE verbirgt sich in diesem repräsentativen Band, welcher Thomas Bernhards Jugendentwicklung anhand seiner Gedichte aufzeichnet. Es sind drei Sonette, die am 31. Juli 1954 in der FURCHE erschienen sind, also Gedichte eines 23jährigen. In ihnen wird bereits die Traklsche Verfallskadenz spürbar, aber noch wirft die Salzburger Domkuppel ihren Schatten „ohne Mühe", was sie der „klaren Frühe" verdankt, vielmehr aber noch dem ,,-ühe", auf das sich die Mühe reimen soll.

Später im Mittag des Lebens wird Bernhards Schattenarbeit um vieles mühevoller, sie wird atemberaubend werden. Die Sonettform, wie originell man sie auch handhaben mag, bringt wie jede strenge Zucht einen bejahenden Zug der S innentspannung oder Widerspruch mit sich, indes in Bernhards späterer Lyrik die Absicht besteht, die völlige Inkohärenz leidvoll spürbar zu machen. Sehr bald nach diesen Anfängen, sind es ja freirhythmische Litaneien „ich bin unwürdig..." in denen er von „Millionen Bettelschaften" solange gequält wird, bis er als weltberühmter Autor alle

Bettelschaften eingebüßt hat und ihm nur noch die „Millionen purum" quälen, die „aufgeschwollene Seele", wie er es ahnungsvoll in einem Gedicht nennt: „Bringt mir Ruhm dann kann ich mich ruhig töten, bevor meine Seele aufschwillt und mein stolzes Gehirn sich bläht und alle mich Narren begaffen!"

Chiffre einer Epoche

Im Lauf zweier Jahrzehnte erfüllt sich diese Prophezeiung. Der genialische Autor wird zur Chiffre einer Epoche. Im Unterschied zu seinem Urgroßvater, der ihm - wie das Gedicht „Mein Urgroßvater war Schmalzhändler" kundtut - kein Stück Speck gibt für seine Verzweiflungen, überschüttet ihn die Epoche mit Ruhm und Anerkennung für den Ausdruck von ansonst gern verdrängten oder verleugneten Konflikten, in denen sie sich selber auch in ihrem Autismus haarscharf abgebildet sieht, obwohl ihrgewisse stilistische Übersteigerungen es ermöglichen, dies genußvoll zu leugnen.

In diesem Sinne am aufschlußreichsten sind die bedeutungsvollsten Partien des Buches, der Zyklus „In hora mortis". Man könnte diesen Zyklus als Psalmen Hiobs bezeichnen. Möglicherweise durch seine Krankheiten in der Jugend bedingt, hat Thomas Bernhard bewußter und tiefer als andere empfunden, daß die Konflikte und Bedrohungen in unserem Jahrhundert einer „Krise des Heiligen" entstammen, das heißt, einer Krise dessen, was dem Menschen als Quell alles Numinosen erscheint.

Gewiß haben die Glaubenskrisen des 17. Jahrhunderts den Anlaß dafür gegeben, daß pantheistische Züge immer mehr die Kunst und deren rel-giöse Gesinnungen geprägt haben. Seitdem sich mit dem Historismus auch die Skepsis und der Relativismus immer weiter ausgebreitet haben, ist pantheistische Stimmungsreligiosität zu einem literarischen Gemeinplatz geworden. Aber moderne Biologie und Naturwissenschaft sind nicht dazu angetan, die Natur in den Rang des Heiligen zu erheben, es sei denn, man wolle auch dem Schiwa in seinem Paarungs- und Tötungstanz die Kategorie des Heiligen nicht vorenthalten. In Thomas Bernhards Landschaftsnatur, wie sie sich dann in seiner großen Prosa darbietet, dominiert anstelle des Heiligen das Dämonische. Aber schon in diesen frühen Gedichten erlebt Bernhard den Tod und den Verfall mit solcher numinoser Intensität, daß er sie in seinen Dichtungen bis zum Heiligen schlechthin eskaliert. So kommt es zu Thomas Bernhards apokryphischem Evangelium: „Am Anfang war der Verfall." Mit solcher negativer Evolution liefert er dem positiv praktizierten Evolutionsglauben der westlichen literarischen Welt ein Schockerlebnis, das sie in Ermangelung anderer religiöser Grundlagen, begierig aufgenommen hat.

Schizophrenie einer Kultur

Die gleichsam vazierenden metaphysischen Energien der Gegenwart, die sich so häufig Sekten oder (para) psychologischen Experimenten zuwenden, finden in der Literatur Thomas Bernhards eine Zielrichtung, die sich mit einem entropisch-wissen-schaftlich auf den Verfall hinsteuernden Weltbild durchaus in Zusammenhang sehen läßt. De facto ist dadurch eine neue Abart der schizophren getönten Kultur des Abendlandes - eine Formulierung von Igor Caruso - zur künstlerischen Breitenwirkung gelangt. Zwei Welten leben nebeneinander und gegeneinander, ja vielleicht sogar füreinander: Eine Welt des todesbewußten Verfalls und eine der ungebärdigen Entwicklungsgewalt.

GESAMMELTE GEDICHTE. Von Thomas Bernhard. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 1991. 349 Seiten, öS 296,40.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung