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Digital In Arbeit

Genosse Nguyên soll gehen

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Mit dem Übergang zur Markt - Wirtschaft gewinnt auch in der Tschechoslowakei das Schreck- gespenst „Arbeitslosigkeit" an Sub- stanz. Schon beginnen die Betriebe überflüssiges Personal abzubauen, der Kampf um den Arbeitsplatz hat begonnen. Die Redaktionen der Medien werden mit Leserbriefen bombardiert, die eine Abschiebung der zahlreichen Kubaner, Vietna- mesen und Angolesen, die sich in Böhmen und der Slowakei als Gast- arbeiter verdingen, fordern. Tenor der Klage: „Ich bin ohne Arbeit. Ich, ein Bürger dieses Landes!" Das Band der amtlich verordneten „Brü- derlichkeit" ist zerrissen. Es regt sich der Futterneid.

Derzeit gibt es in der Tschecho- slowakei 33.000 Vietnamesen, 6.000 Kubaner, 4.900 Polen, 300 Mongo- len und 200 Angolesen. Die 209 Nordkoreaner mußten schon zu Jahresende das Land verlassen.

Im Gegensatz zur Praxis im Westen werden/wurden die Gast- arbeiter im Osten staatlich subven- tioniert. Die Zeitung „Verejnost", das Organ der slowakischen Bür- gerbewegung „Öffentlichkeit gegen Gewalt", errechnete, daß jeder Gastarbeiter dem Staat jährlich 21.000 Kronen koste. Das sind acht Monatsgehälter eines Arbeiters. Das Geld für den Flug, die Einkleidung, Sprachkurse und Unterkunft kom- men aus der Staatskasse. Die Ku- baner und Vietnamesen erhalten aber daneben auch den gleichen Lohn wie ihre einheimischen Kol- legen. „Sie fühlen sich bei uns wie ein ostslowakischer Schafhirte, der Botschafter in Paris geworden ist", stichelte die „Verejnost". Die Kuba- ner stehen im Ruf „gute Tänzer, aber schlechte Arbeiter" zu sein. Da die Beziehungen zu Castro so- wieso auf dem Nullpunkt angelangt sind, will man die fidelen Samba- tänzer noch heuer heimschicken.

Schwerer tut man sich da mit den Vietnamesen, nicht nur mengenmä- ßig. Im Gegensatz zu Havanna, wo man „lieber Gras fressen, als den Sozialismus aufgeben" (Castro) will, glaubt Hanoi auch mit der neuen Regierung gut auskommen zu können. Man will für die CSFR- Wirtschaft „ein Sprungbrett zur Eroberung der südostasiatischen Märkte" sein, lockte der vietname- sische Generalkonsul Tran Hong Hai jüngst bei einem Interview. Außerdem übererfüllen die emsi- gen Nachfahren Ho Tschi Minhs häufig die gesetzte Arbeitsnorm, schuften unverdrossen nach Ar- beitsschluß weiter oder legen eine Extraschicht am Wochenende ein. Sehr oft haben sie Arbeitsplätze besetzt, die gesundheitsgefährdend oder besonders schmutzig sind. „Wenn wir diese Leute nicht mehr haben, können wir unmöglich den Plan erfüllen", wehrte sich kürz- lich der Personalchef der Kugella- gerfabrik in Skalice gegen die Kündigung seiner 97 vietnamesi- schen Arbeiter.

Im Arbeits- und Sozialministe- rium steht man der Problematik mit zwiespältigen Gefühlen gegen- über. Fachreferent Frantiäek Drobn^: „Ich war selber in Viet- nam und habe gesehen, wie die Leute auf das Leben bei uns vorbe- reitet werden. Sie saßen in einer Holzhütte auf dem staubigen Bo- den. Dort wurde ihnen erklärt, was das eigentlich ist, ein ,Kühlschrank', oder wie das ,WC funktioniert." Wer die Möglichkeit hat, in der Tschechoslowakei zu arbeiten, gilt als echter Glückspilz.

Das verschärfte Arbeitsklima erlaubt nun auch die Anwendung von Straf Sanktionen gegen j ene, die bisher mit Nachsicht behandelt wurden: Weil Le Quoe Veet im Preßburger Restaurant „DruZba" einen Raufhandel anzettelte, wur- de er ins nächste Flugzeug Rich- tung Hanoi gesetzt. Phan Quoc Hung und Tran Van Dang kamen zu spät in die Arbeit: Auch sie er- hielten von der Firmenleitung ein Ticket.Viele Vietnamesen wollen der Abschiebung zuvorkommen, und ihr Glück in Westeuropa su- chen. An der Grenze müssen sie er- kennen, daß die Freiheit der Tsche- chen und Slowaken nicht die ihre ist. An den Grenzübergängen sieht man sie stehen. Tränen in den Augen. Fassungslos.

Im Gefolge der nun praktizierten Selbstfinanzierung der Betriebe hat der Staat die Subvention der Gast- arbeiter aufgekündigt. Nun sollen die Betriebe selber für die Spesen aufkommen. Diese neue Regelung erregt den Groll der einheimischen Arbeiterschaft. Nun wird mit Fin- gern auf die Vietnamesen gezeigt: „Diese da liegen uns ja schwer auf der Tasche", heißt es. Die Werks- zeitung „Slovnaftar", das Medium der Preßburger Großraffinerie, brachte neulich einen tendenziösen Artikel mit dem Titel: „Wie löst man die vietnamesische Frage in den Herbergen?". Gängige Kli- schees, mit Untergriffen wie „die Bettwäsche ist schwarz vor Dreck, die Nähmaschinen rattern bis spät in die Nacht" versehen, sorgten für Klimaverschlechterung.

Schon Anfang der achtziger Jah- re wurde Kubanern, Vietnamesen und Angolesen verboten, öffentli- che Bäder zu besuchen. Vorwand: Sie würden dort nur Geschlechts- krankheiten verbreiten. Seit dem Vorjahr müssen potentielle Gast- arbeiter einen Aidstest machen. Für devisenträchtige Westler gilt diese Regelung nicht, auch wenn sie noch so intensiven Kontakt zu der hiesi- gen Weiblichkeit unterhalten.

Das Arbeits- und Sozialministe- rium der CSFR hat jedenfalls be- schlossen, das Kontingent der 45.000 Gastarbeiter auf 11.000 im Jahr 1994 zu reduzieren. Die so eingesparten 36 Millionen Kronen an Subventionsgelder weiß man anderweitig zu gebrauchen.

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