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Gentechnologie macht s mög] ich

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Vor 15 Jahren galt Interferon als-sündteures „Wundermittel“. Heute weiß man mehr über die Anwendungsmöglichkeiten - und es kostet nicht mehr, als irgendein Antibiotikum.

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Vor 15 Jahren galt Interferon als-sündteures „Wundermittel“. Heute weiß man mehr über die Anwendungsmöglichkeiten - und es kostet nicht mehr, als irgendein Antibiotikum.

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In den siebziger Jahren noch als die „Wunderwaffe“ gegen Krebs bejubelt, konnte Interferon (IFN) diesbezügliche Hoffnungen nicht ganz erfüllen. Nach großer Enttäuschung und weiterer intensiver Forschung zeigen sich nunmehr bei einigen Krebsarten sehr gute Erfolge. Ein Verzicht auf diese Substanz ist heute in der modernen Medizin kaum mehr denkbar, das Anwendungsgebiet reicht bis zum einfachen Schnupfen.

1957 wurde Interferon als körpereigener Abwehrstoff entdeckt.Das erste Anwendungsgebiet war die Behandlung der Herpes Keratitis, einer schweren Infektionskrankheit der Augen. Sie kann mit Interferon rasch zur Abheilung gebracht werden.

Danach verzeichnete man die ersten Erfolge in der Krebsbehandlung. Das Heilmittel mußte jedoch enorm aufwendig zunächst aus menschlichen Blutzellen (Lymphozyten), später aus Zellkulturen von menschlichen Bindegewebszellen, Fibroblasten, isoliert werden. Ein Gramm Interferon kostete etwa 700 Millionen Schilling — eine Tagesdosis für 8.000 Schilling war für die meisten Patienten unerschwinglich.

Heute sind verschiedene menschliche Interferone bekannt, die in IFN alpha, IFN beta und IFN gamma sowie in zahlreiche Subtypen unterteilt werden.

Daß Interferone Substanzen sind, die mehrere unterschiedliche Wirkungen ausüben, bestätigt Christian Dittrich von der Universitätsklinik für Chemotherapie in Wien: „Es handelt sich um Proteine, die die Vermehrung von viralen Krankheitserregern im Organismus verhindern, das Wachstum bösartiger Zellen hemmen und auf komplizierte Weise das Immunsystem positiv beeinflussen können.“

Erst die Gentechnologie unserer Tage macht die Herstellung von Interferon in großen Mengen möglich. Als erstes „künstliches“ Interferon wurde in Österreich ein Präparat der Firma Bender, Wien, 1985 zugelassen.

So wird Interferon hergestellt: Die genetische Information der Zellen, die für die Büdung von Interferon verantwortlich ist, wird mit Hilfe von Enzymen aus den Zellen herausgelöst und in Coli-bakterien eingeschleust. Spezielle Nährlösungen sorgen für optimale Bedingungen, sodaß sich die Bakterien sehr rasch vermehren. Damit vervielfacht sich auch die genetische Information, die für die Interferonproduktion verantwortlich ist.

Während „natürliche“ Interferone nur etwa zwei Prozent an Reinsubstanz enthalten, kann man das Heilmittel heute in höchster Reinheit erzeugen — es kostet dadurch nicht mehr als ein Antibiotikum.

Obwohl das Mittel heute praktisch in unbegrenzten Mengen zur Verfügung steht, sind die eigentlichen Wirkmechanismen ungeklärt. „Jahrelange Studien“, berichtet Dittrich, „haben nachgewiesen, daß Interferon nicht nur den Verlauf verschiedener Krankheiten positiv beeinflußt, sondern auch vorbeugende Wirkung hat und das Wiederaufflammen einzelner Krankheiten verhindern kann.“

Durch Interferon-Therapie läßt sich zum Beispiel die Gürtelrose (Herpes zoster) leichter in den Griff bekommen. Mit IFN behandelte Patienten hatten weniger Schmerzen und eine geringere Ausdehnung der Erkrankung. Langwierige Folgeerscheinungen, wie Nervenschädigungen, blieben bei ihnen aus.

Kehlkopf Wucherungen (La-rynxpapillome), wie sie vor allem bei Kindern und Jugendlichen auftreten, wurden in herkömmlicher Weise in Vollnarkose operativ entfernt. Interferon wirkt sich hier positiv aus - es hemmt das Wachstum dieser warzenähnlichen Geschwülste entscheidend. Darüber hinaus zeichnet sich eine positive Beeinflussung der chronischen Hepatitis (Leberentzündung) durch IFN ab.

Die Wirkung von Interferon auf bösartige Tumore scheint nach wie vor ungeklärt zu sein. Nicht alle Patienten sprechen gleichermaßen auf diese Substanz an. Wahrscheinlich hängt der Erfolg einer Interferontherapie von der Tumorzellmasse im Körper ab.

Bei den „großen“ Krebsarten, wie Lungen-, Brust- oder Darmkrebs, hat sich IFN nicht so bewährt, wie man erhofft hatte. Bei Melanom (Hautkrebs), Hyper-nephrom (Nierenkrebs) und verschiedenen anderen Krebsarten, die von Zellen des Blutes oder Knochenmarks ausgehen (Lymphomen, Myelomen), hat sich eine Interferon-Therapie jedoch als wirkungsvoll erwiesen. Als besonderes Beispiel sei hier die Haarzell-Leukämie erwähnt, ein seltenes, aber bisher tödliches Leiden. Interferoninjektionen konnten bei zirka 75 Prozent der Patienten diese Haarzellen zum Verschwinden bringen und wieder zu einer Normalisierung des Blutbildes führen.

Eine wesentliche Bedeutung könnte Interferon auch bei der Behandlung des erworbenen Immunmangels „AIDS“ erlangen. Diese Erkrankung, die mit dem Auftreten von bösartigen Tumoren der Haut, Kaposi-Sarkomen, verbunden ist und sich an der häufigen Erkrankung an Infektionen zeigt, konnte bisher am erfolgreichsten mit IFN behandelt werden.

Ob sich Interferon als Mittel gegen Grippe, Schnupfen und Atemwegserkrankungen bewähren wird, ist noch unklar. Erste Studien sprechen vom positiven Einfluß eines Interferon-Nasensprays auf verschiedene Grippeviren. In Erkältungszeiten vorbeugend angewendet, kann das Medikament eine schwere Infektion verhindern, oder zumindest die Erkrankungsdauer verkürzen.

Wegen lokaler Nebenwirkungen, wie der Reizung der Nasen-Schleimhäute, Geschwüren oder Auftreten von kleinen Blutungen, sollte IFN nicht über längere Zeiträume eingesetzt werden. Letztlich wird IFN als „Hausmittel“ gegen Schnupfen oder Grippe vermutlich doch zu teuer sein.

Diskutiert wird der Einsatz von Interferon zur Prophylaxe von Infektionserkrankungen bei den immunsupprimierten Transplantatempfängern (diese Patienten werden durch Medikamente in ihrer Abwehrreaktion gegen Fremdsubstanzen, wie sie alle Transplantate darstellen, absichtlich eingeschränkt). Bei Nierenempfängern könnte mit IFN eine entscheidende Verbesserung bewirkt werden.

Im Umgang mit Interferon sind nach wie vor viele Fragen ungeklärt, viele Studien noch notwendig, um die Anwendungsgebiete der verschiedenen menschlichen Interferone mit ihren unterschiedlichen biologischen Wirkungen besser abgrenzen zu können. Für alle Erkrankungen müssen erst die jeweils wirksamste Interferonart, die optimale IFN-Dosis sowie die beste Behandlungsform und -dauer und eventuell günstige Kombinationen mit Chemotherapie sowie anderen Medikamenten gefunden werden.

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