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Menschenrechte: Genügt die moralische Autorität?

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In einer Zeit krasser Verletzungen der Würde des Menschen im politischen Leben vieler Teile der Welt jährt sich zum 25. Male der Tag, an welchem die Generalversammlung der UNO in Paris die Deklaration der Menschenrechte beschloß.

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In einer Zeit krasser Verletzungen der Würde des Menschen im politischen Leben vieler Teile der Welt jährt sich zum 25. Male der Tag, an welchem die Generalversammlung der UNO in Paris die Deklaration der Menschenrechte beschloß.

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Die Wurzeln dieses Bemühens der Vereinten Nationen um die Anerkennung der Menschenrechte reichen zurück in die letzte Zeit des Weltkrieges, als nach dem Kriegseintritt der USA die Kriegs- beziehungsweise Friedensziele zunächst zwischen Präsident Roosevelt und Premierminister Churchill in der Atlantik-Charta festgelegt wurden, der nach und nach alle Alliierten beigetreten waren. Schon damals brachten die Alliierten ihre Hoffnung zum Ausdruck, daß auf den Krieg ein Frieden folgen möge, ,der Gewähr dafür bietet, daß alle Menschen in allen Ländern der Welt ihr Leben frei von Furcht und Mangel leben können“.

Die UNO übernahm diesen Gedanken und brachte ihn in ihrer Satzung an verschiedenen Stellen zum Ausdruck. So wird bereits in der Präambel bei der Aufzählung der Motive der Gründungsmitglieder der Organisation darauf Bezug genommen. Es heißt dort: „Wir, die Völker der Vereinten Nationen — fest entschlossen ... unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen, ob groß oder klein, erneut zu bekräftigen ...“

Wenngleich die UNO verhältnismäßig bald nach ihrer Gründung die Initiative zum Schutz der Menschenrechte ergriffen hat, ist es ihr doch nur möglich geworden, eine Deklaration zu beschließen, die zwar als Dokument von höchstem moralischem Gewicht, nicht aber rechtlich verbindlich ist. Die Deklaration räumt daher dem einzelnen Menschen weder ein Klage- noch ein Petitionsrecht vor einem Organ der UNO edn. Es bleibt dem einzelnen nur der innerstaatliche Rechtsschutz. Der britische Delegierte empfahl daher, die Menschenrechtskommission möge ihre Arbeit an einem Entwurf eines Menschenrechtsabkommens unverzüglich fortsetzen.

In der Tat kam es dann in der Folgezeit zur Annahme einer Reihe von Konventionen, die sich mit dem Schutz von Menschenrechten befassen. So zum Beispiel: Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, von der Generalversammlung 1948 vorgelegt und 1951 in Kraft getreten; das Flüchtlingsabkommen, abgeschlossen im Jahre 1951, in Kraft seit 1954; die Konvention über die politischen Rechte der Frau, beschlossen im Jahre 1952, in Kraft seit 1954; Konvention über die Beseitigung aller Formen der Rassendiskriminierung, beschlossen 1965, in Kraft seit 1969. Um nur einige wenige zu nennen.

Die beiden wohl bedeutendsten Konventionsentwürfe, nämlich der Weltpakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und der Weltpakt für bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966 kamen allerdings über die Annahme durch die Generalversammlung nicht hinaus. Sie erhielten nicht die für ihr Inkrafttreten notwendigen 35 Ratifikationen.

Diesem Umstand ist es zuzuschreiben, daß die allgemeine Erklärung der Menschenrechte nach wie vor das einzige wirklich universelle Dokument über den Schutz der Menschenrechte darstellt. Darüber hinaus ist aber ihre besondere Bedeutung auch darin zu sehen, daß es sich nicht auf die sogenannten klassischen Grundrechte, wie zum Beispiel das Recht auf Freiheit (Art. 1), das Verbot der Diskriminierung (Art. 2), das Recht auf Leben (Art. 3), das Verbot der Sklaverei und des Sklavenhandels (Art. 4), das Verbot der Folterung (Art. 5), die Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 7), Schutz vor Verhaftung und Ausweisung (Art. 9), Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 10), Eigentumsschutz (Art. 17), Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 18), Versammlungs- und Vereinsfreiheit (Art. 20), und ähnliches beschränkt, sondern auch vorausschauend und wegweisend die soziale und ökonomische Dimension der Grundrechte berücksichtigt, indem sie etwa das Recht auf soziale Sicherheit (Art. 22), das Recht auf Arbeit, gleiche Entlohnung und die Koalitionsfreiheit (Art. 23), das Recht auf Erholung und Freizeit (Art. 24), und schließlich das Recht auf soziale Betreuung (Art. 25) und ähnliches postuliert.

All das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Erklärung der Menschenrechte keine Rechtsverbindlichkeit zukommt. Dennoch wäre es übertrieben, der Menschenrechtsdeklaration jegliche Wirkung abzusprechen. Ihre besondere Wirkung wird wohl darin zu sehen sein, wie der belgische Delegierte in der 3. Kommission der 3. Generalversammlung ausdrückte, daß nunmehr Prinzipien vorliegen, die von der moralischen Autorität einer einstimmigen Entschließung der Völker und der Regierungen der Vereinten Nationen getragen sind. Und in der Tat liegt wohl ihre größte Bedeutung in dem Umstand, daß sie vor allem für die Errichtung der Verfassungsordnungen der neu entstandenen Staaten richtungweisende Akzente setzte. Auch darf nicht übersehen werden, daß die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, wie alle Resolutionen der Generalversammlung, für die Organe der Vereinten Nationen den Charakter einer Weisung bat und daher auf diesem Weg über die Bedeutung einer bloßen Empfehlung hinausgeht. Das findet unter anderem seinen Ausdruck in der Errichtung einer Reihe von Einrichtungen der Vereinten Nationen, wie etwa der Kommission über die Beseitigung von Rassendiskriminierung, der Unterkommission über die Verhinderung von Diskriminierung und den Schutz von Minderheiten, die Errichtung von verschiedenen Unterausschüssen, die sich mit bestimmten Spezialaspekten des Schutzes der Menschenrechte befaßten und ähnlichem seinen Ausdruck. Und nicht zuletzt zeigt sich die Bedeutung der Menschenrechtskonvention auch darin, daß immer wieder, besonders bei zwischenstaatlichen Konflikten, der Vorwurf ihrer Verletzung erhoben wird.

Allerdings soll das Gedenken der 25. Wiederkehr des Jahrestages des Beschlusses der Allgemeinen Deklaration der Menschenrechte nicht dazu führen, daß die grundlegende, auch innerstaatlich nicht zu umgehende Frage nach der Funktionsfähigkeit der Grundrechte in der Gegenwart und Zukunft vernachlässigt wird. Einer der Gründe für die Notwendigkeit, die Funktionsfähigkeit der Grundrechte in der gegenwärtigen Gesellschaft neu zu überdenken, ist in dem Umstand zu sehen, daß jene besonderen sozialen Bedingungen, die seinerzeit die Einrichtung von Grundrechten erforderlich machten, nicht mehr im selben Umfange gegeben sind.

So sind die Grundrechte mehr auf den Staat als auf die heute immer mehr von Einfluß auch auf den einzelnen werdenden kollektiven Mächte der Gesellschaft, wie Parteien und Interessenverbände, abgestellt. Weiters stellt sich heute mit wachsender Deutlichkeit die Notwendigkeit, dem einzelnen nicht nur in klassischen Grundrechten die persönliche und politische Freiheit sowie in sozialen Grundrechten auch die zu ihrer Nutzung erforderlichen kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Voraussetzungen zu bieten, sondern auch in existentiellen Grundrechten die Möglichkeit, diese als physisch und psychisch gesunder Mensch überhaupt zu erleben. Dies verlangt unter anderem den Schutz vor Lärm, vor Verunreinigung der Luft und des Wassers in gleicher Weise.

Im Hinblick auf diese Problemstellung hat die Erklärung (der Menschenrechte einen' gewissen Vorteil. Ihre Bestimmungen sind zum Teil so weit gefaßt, daß sie den jeweiligen Verhältnissen zumindest teilweise angepaßt werden können. So kann zum Beispiel erkannt werden, daß das Recht auf Leben (Art. 3) auch auf das ungeborene Leben zu erstrecken ist und daß etwa der Formulierung des Art. 25 Abs. 1: „Jeder Mensch hat Anspruch auf eine Lebenshaltung, die seinem und seiner Familie Gesundheit und Wohlbefinden einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung ... gewährleistet...“, den gesamten Problemkreis des Schutzes des Menschen vor gesundheitsschädlichen Einflüssen seiner Umwelt wie auch der gesundheitsschädlichen Nahrungsmittelzutaten subsumieren kann. Die erst kürzlich in Genf von der Weltgesundheitsorganisation der UNO (WHO) und der UNESCO veranstaltete Round-Table-Conferenz über den „Schutz der Menschenrechte und der Fortschritt in Biologie und Medizin“ hat sich auch mit diesen Fragen beschäftigt.

Konfrontiert man die UNO-Menschenrechtsdeklaration mit der österreichischen Rechtslage, kann festgestellt werden, daß unser Land schon seit Jahrzehnten diesen Grundrechtsempfehlungen nachkommt. Schon 1867 erhielt Österreich seinen Grundrechtskatalog im Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, welches im Art. 149 des Bundes-Verfassungsgesetzes 1920 in die Rechtsordnung der Republik Österreich übernommen wurde und noch heute gilt. Österreich hat auch die europäische Grundrechtsentwicklung beachtet. Der Beitritt Österreichs zur Europäischen Menschenrechtskonvention und zur Europäischen Sozialcharta zeigen dies ebenso wie umfassende Arbeiten einer schon von Bundeskanzler Josef Klaus berufenen und seit einigen Jahren bestehenden Kommission im Bundeskanzleramt zur Neukodiflkation der Grundrechte. Dabei sea nicht unerwähnt, daß Österreich nicht nur viele klassische Grundrechte lange vor der UNO-Men-schenrechtsdeklaration und der Europäischen Menschenrechtskonvention in seinem Verfassungsrecht ausgeführt hat, sondern auch die sozialen Grundrechte und die sich immer mehr als existentielle Anliegen des einzelnen ergebenden Notwendigkeiten des Umweltschutzes in Gesetzen verwirklicht hat.

Diese Grundrechte gilt es als Rechts- und Sozialgestaltungsauf-trag in der Gesetzgebung zu beachten und weiterzuentwickeln. Das Wollen der Politik ist an diesen Geboten des Rechtes zu messen. Darum ist es bedauerlich, daß dies bei der Strafrechtsreform zuwenig geschehen ist und die Fristenlösung im Widerspruch zu Art. 3 der UNO-Menschenrechtsdeklaration und zu Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention, die in Österreich sogar Verfassungsrang hat, beschlossen wurde; ein anderer Beitrag wäre für dieses Jubiläum der Menschenrechte würdiger gewesen!

Bedauerlich ist, daß noch in vielen Teilen der Welt und damit in Mitgliedstaaten der UNO Menschen unter anderem wegen ihres religiösen Bekenntnisses, ihrer politischen Überzeugung und ihrer ethnischen Zugehörigkeit verfolgt werden und in einer Zeit, in der auf einem Erdteil Uberfluß und Wohlstand herrscht, auf einem anderen Kontinent, wie jetzt in Äthiopien, Menschen verhungern. Das Wissen um diese Zustände sollte ein Grund sein, sich darüber auch ein Gewissen zu machen und zu handeln. Das Jubiläum der Menschenrechtserklärung der UNO sollte dazu vielen ein Anlaß und Verpflichtung sein.

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