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Genug Watergate?

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Es ist wohl bezeichnend für unsere Zeit, daß der Kitsch des Melodramas und der Kitzel des Thrillers über allen unseren Alltagssorgen zu schweben scheinen. Zumindest war dies der Fall, bevor Präsident Nixon seine Botschaft „über die Lage der Nation“ gesprochen hatte. Wie würde sich das seit über einem Jahr gejagte Wild verhalten? Wieweit hatte der unvermeidliche Blutverlust die Neigung zur Resignation verstärkt?

Nach einer bemerkenswert sachlich und analytisch klar vorgetragenen Rede war es jedoch Feind und Freund bald klar: dieser Mann gibt nicht auf, er wird seinen Gegnern im Kongreß das Handeln nicht erleichtern. Wenn sie seinen Skalp wollen, so werden sie in einem blutigen politischen Kampf ein „Impeachment-Verfahren“ einleiten müssen, das noch an kommenden Generationen Narben hinterlassen wird. Das Wild schien keineswegs gezeichnet, vielmehr im Vollbesitz seiner ungewöhnlichen Nerven und seiner Selbstkontrolle.

Nun ist das oft zitierte und selten verstandene Impeachment-Verfahren kein Justizakt. Hier gibt es keine klaren Gesetze oder Richtlinien — es sei denn, daß ein klar definierbares Crimen vorläge, das aber scheint bis jetzt nicht der Fall zu sein. Das heißt also, daß der zustandige Ausschuß des Abgeordnetenhauses auf politischer Ebene Richtlinien aufstellen muß, deren Durchbrechung mit Amtsenthebung zu ahnden wäre. Daß man bei der Aufstellung derartiger Richtlinien einen auch nur weitmaschigen Con-sensus erzielen könnte, ist bei der Zerrissenheit der politischen Lager unwahrscheinlich. Auch wenn im Lager der Gegner des Präsidenten echte moralische Motive vorliegen sollten — sie könnten das Stigma einer Vendetta nicht vergessen machen. Die US-amerikanische Innenpolitik würde in den Augen der Weltöffentlichkeit einen südamerikanischen Anstrich erhalten, wenn auf einen erschossenen und einen durch Studenten und andere radikale Elemente aus seinem zweiten Term gedrängten Präsidenten nur einer folgen würde, den die Presse und unversöhnliche politische Hasser auf der Linken absetzen konnten. Und wenn diese Deutung auch dem Präsidenten zuviel Gerechtigkeit, seinen Gegnern zuviel düstere Motive unterschöbe — die Geschichte, die ja immer vereinfacht, wird ähnlich urteilen —, es sei denn, man könnte Nixon ein klares kriminelles Delikt anlasten.

Die Entscheidung fällt daher nicht so sehr im Kongreß wie in der großen Öffentlichkeit, wo Nixon zwar in der Meinungsbefragung schlechte Zensuren erhalten hat, wo aber eine klare Mehrheit gegen das Impeach-ment vorherrscht. Nixons klug gewählter Slogan: „Ein Jahr Watergate ist genug“, dürfte Zuspruch finden, und das um so mehr, als die Mehrzahl der Parlamentarier aus den Weihnachtsferien mit dem Eindruck nach Washington zurückgekehrt sind, daß Watergate sicher nicht Priorität hat, sondern daß die Preissteigerung und die Energiekrise — also Anliegen, die den einzelnen persönlich befassen — in der Sorgenliste obenan stehen.

Vom breiten Publikum wird aber kaum ein Druck in Richtung auf eine Amtsenthebung ausgehen, und wenn sich die Abgeordneten von ihren Wählern beeinflussen lassen, wird das Verfahren nicht einmal zur letzten Abstimmung im Senat gelangen, wo zwei Drittel der Senatoren für eine Amtsenthebung stimmen müßten, um Präsident Nixon aus dem Weißen Haus zu verdrängen.

Die Befürworter des Impeachments dm demokratischen Lager hoffen nun auf republikanische Schützenhilfe. Im November gibt es die sogenannten „Halbzeitwahlen“, und ein vom Impeachment bedrohter Präsident wäre eine arge Belastung für viele republikanische Kandidaten, die um ihre Mandate kämpfen. Könnte Nixon daher mit Hilfe eigener Partisanen gestürzt werden, so würde diese Belastung wegfallen. Meinem Dafürhalten nach ist diese politische Überlegung völlig falsch und wenig durchdacht. Nixon ist für die republikanischen Kandidaten auf jeden Fall eine Belastung' — ob er nun im Amt ist oder nicht. Watergate wird den Republikanern noch durch viele Wahlkampagnen nachhängen. Gewiß ist aber, daß ein nicht amtsenthobener Präsident, ein von allen Hunden gehetztes und sich doch behauptendes Wild eine kleinere Belastung darstellt als ein vom Kongreß abgesetzter Präsident.

So liegt es nun an Nixon, sich um Watergate möglichst wenig zu scheren und zu trachten, die Anteilnahme des Publikums für seine Pläne und Absichten zu gewinnen. Trotz des abgrundtiefen Hasses, den die Mehrzahl der Journalisten ihm gegenüber empfindet, ist er es, der Nachrichten schafft, die in einer freien Presse abgedruckt werden müssen. Und wenn die Frage der Benzinrationierung das Publikum eben mehr interessiert als Watergate, dann muß selbst eine feindliehe Presse der Benzinrationierung mehr Raum widmen als Watergate.

So stehen im Vordergrund der „Botschaft an die Nation“ wirtschafte- und energiepolitische Programme, Pläne für eine allgemeine Krankenversicherung, für den Ausbau von Massenbeförderungsmitteln,erziehungspolitische Fragen und nicht zuletzt, und nicht ohne Ironie, Pläne zur Stärkung der Privatsphäre des einzelnen gegen Ubergriffe des Staates. Schließlich soll das überall kritisierte und Korruption schaffende System der sozialen Fürsorge reformiert und sollen internationale Probleme wirtschaftlicher Zusammenarbeitbehandelt werden.

So gesehen, scheint sich Nixons Lage zu verbessern, je länger sich das parlamentarische Verfahren hinzieht. Das scheint auch der Fraktionsführer der Demokraten im Senat, Mansfield, erkannt zu haben,als er in einer bemerkenswerten Pressekonferenz nach Nixons „Botschaft an die Nation“ dem Präsidenten bescheinigte, daß Watergate nicht die erste Sorge der Nation darstelle und daß seine Partei mit dem Weißen Haus zusammenarbeiten wolle, um die schwierigen wirtschaftspolitischen Probleme zu meistern, die sich derzeit aufdrängen. Er hat damit aufgezeigt, daß die Demokraten untereinander uneins sind und daß somit eine ausreichende Mehrheit für die Amtsenthebung im Augenblick und auf Grund der vorhandenen Grundlagen kaum vorhanden sein dürfte.

Was mag Mansfield, den höchsten Parlamentarier der demokratischen Mehrheitspartei, veranlaßt haben, Nixon einen Rettungsgürtel zuzuwerfen? Sicherlich die Erkenntnis, daß man der Nation den blutigen Impeachmentkampf ersparen müsse, aber auch die Erkenntnis, daß die Legislative bei allen Entgleisungen der Exekutive sich keine Lorbeeren verdient habe. Auch sind, wie Mansfield richtig formulierte, die Funktionen der Legislative gesetzgeberischer und nicht „inquisitorischer“ Natur. Die Vereinigten Staaten werden zur Zeit von einer Stimmung des Mißtrauens gegenüber jeglicher Autorität beherrscht und dieses richtet sich ebenso gegen das Weiße Haus wie gegen Parlamentarier, die ihre Aufgabe vorwiegend politisch und nicht sachlich sehen. Dieser allgemeinen Skepsis Einhalt zu gebieten, scheint Mansfield wichtiger, als den Skalp des ersten amtsenthobenen Präsidenten an das Totem seiner Partei zu heften.

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