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Genugtuung für erlittenes Unrecht

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40 Jahre nach der Enteig- nung besteht für Polens Kir- che die Möglichkeit, ihr Ver- mögen wieder zurückzube- kommen. Das wird aber Jahre dauern und dem Staat große Opfer abverlangen.

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40 Jahre nach der Enteig- nung besteht für Polens Kir- che die Möglichkeit, ihr Ver- mögen wieder zurückzube- kommen. Das wird aber Jahre dauern und dem Staat große Opfer abverlangen.

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Die Rückgabe des seinerzeit von den Kommunisten konfiszierten kirchlichen Eigentums in Polen ist Folge der im Vorjahr erfolgten po- litischen Umwälzungen. Im Juni 1989 erlitten die Kommunisten bei den Parlamentswahlen eine deutli- che Niederlage, im September wurde die neue demokratische Re- gierung unter Tadeusz Mazowiecki gebildet. Langjährige Bemühungen brachten im Mai dieses Jahres der Kirche die Anerkennung als juri- stische Person, im Juni wurden die diplomatischen Beziehungen zwi- schen dem Vatikan und Polen auf- genommen.

Die Regierung Mazowiecki stand von Anfang an auf dem Standpunkt, daß jedes Unrecht und jeder Scha-

den, die der Kirche seitens der staat- lichen Behörden in der Nachkriegs- zeit zugefügt wurden, zu kompen- sieren seien. Die neuen Gesetze und Verordnungen eröffnen der Kirche jetzt die Möglichkeit, ihr in den vergangenen vierzig Jahren verlo- ren gegangenes Vermögen - außer den Landgütern - zurückzu- gewinnen.

Im Mai dieses Jahres wurde eine aus Vertretern des Episkopats und des staatlichen Büros für konfes- sionelle Angelegenheiten gebildete Vermögenskommission ins Leben gerufen. Ihre Aufgabe besteht dar- in, die Anträge der verschiedenen kirchlichen Institutionen und" Or- ganisationen um Rückgabe ihrer Gebäude zu bearbeiten. Mittlerwei- le sind bei dieser Kommission 300 Eingaben um Vermögensrückgabe eingetroffen. Man schätzt, daß noch in diesem Jahr die Zahl dieser An- träge auf etwa 2.000 steigen wird. Das Verfahren zur Erledigung aller Ansuchen wird Jahre dauern.

Die Vermögenskommission ist - wie man voraussehen konnte - vor schwere Probleme gestellt. In den beschlagnahmten kirchlichen Ge- bäuden befinden sich heute Stadt- und Bezirksämter, Archive und Bibliotheken. Aus ehemaligen Klö- stern sind Schulen und Kranken- häuser entstanden. Kann man das alles sofort liquidieren?

Professor Sämsonowicz, Polens Unterrichtsminister, sagte letztens, daß in vielen Städten - zum Bei- spiel in Krakau - eine Absiedlung von Schulen und Schülerheimen aus früheren kirchlichen Gebäuden zur sofortigen Einstellung des betref-

fenden Schul- beziehungsweise Heim-Betriebes führen würde. In Warschau würde die Universität, die die Gebäude der Kirche zum heiligen Kreuz nützt, in eine außer- ordentlich schwierige Lage kom- men.

Das gleiche kann man über die Situation vieler Krankenhäuser sagen. In Polen gibt es ohnehin eine ungenügende Anzahl von Kranken- betten und Pflegeplätzen; und man kann sich nur schwer vorstellen, daß diese Zahl aufgrund der Rück- gabe der jeweiligen Gebäude an die Kirche noch niedriger werden soll. Es gibt zwar einige Ordensge-

meinschaften, die nach Rückerhalt ihres Vermögens die medizinische Versorgung in diesen Objekten weiterführen möchten - ein Hin- dernis dafür bilden aber die enorm hohen Kosten der Verwaltung ei- nes Krankenhauses. Außerdem sind die meisten Ordensleute - vor allem weibliche, die sich dafür interes- sieren - für die medizinische Für- sorge nur mangelhaft qualifiziert.

Man muß also damit rechnen, daß die Rückgabe vieler Objekte nicht möglich sein wird. In diesen Fällen will die Regierung Mazowiecki für eine finanzielle Kompensation sor- gen. In Warschau beispielsweise wird die Kirche wahrscheinlich eine Ablöse für jenes Grundstück erhal- ten, auf dem sich heute das Finanz- ministerium befindet.

Glücklicherweise versteht die Kirche die schwierige Lage des Staates sehr gut. Niemand will, daß die Kosten der Rückgabe des von den Kommunisten zu Unrecht be- schlagnahmten kirchlichen Vermö- gens auf die polnische Gesellschaft übergewälzt werden. Vertreter der Diözesen und Orden fordern nicht die sofortige finanzielle Ablöse. Die staatlichen Stellen sind ihrerseits entschieden dafür, die Regulierung des finanziellen Ausgleichs mit der Kirche konsequent zu einem Ab- schluß zu bringen.

Polen befindet sich in einer äu- ßerst prekären wirtschaftlichen Situation. Die Belastung des Staats- budgets mit den Entschädigungen aus den Folgen der Tätigkeit der kommunistischen Regierungen könnte als unvernünftiges Handeln gesehen werden. Die Regierung Mazowiecki hat nun einmal diesen Entschluß in der Überzeugung ge- faßt, daß Genugtuung für erlittenes Unrecht ein Hauptelement beim Aufbau eines Rechtsstaates ist.

Der Autor ist Generalsekretär im staatlichen Büro für konfessionelle Angelegenheiten.

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