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Geopolitische Reifung?

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Die Energiekrise hat zu einer wirtschaftlichen und s politischen Umwälzung in Lateinamerika geführt. Ihre Wirkung wird sich nicht darauf beschränken, daß Mordamerikaner und Westeuropäer mehr für das Kupfer, aber auch für Lebensmittel wie Kaffee und Bananen werden bezahlen müssen.

Während sich Kissinger mit Lateinamerika in ähnlicher Form wie mit Europa über den Begriff der „Partnerschaft“ auseinandersetzte, faßte der venezolanische Präsident Carlos Andres Perez bei seiner Antrittsrede die Wandlung in den Worten zusammen: „Wir erleben einen lateinamerikanischen Reifungsprozeß zu einem neuen geopolitischen Konzept im Gesamtbild der Dritten Welt.“ Auf der Konferenz von Tlate-loco hat eich der Gegensatz zwischen dem nordamerikanischen und dem lateinamerikanischen Ziel darin gezeigt, daß Kissinger eine Einheit des Kontinents ansteuerte, während die Lateinamerikaner sich umgekehrt, soweit als möglich, nach Westeuropa, dem Ostblock und der afri-kaniseh-asöatisohen Welt orientieren wollen.

Dabei ergibt sich die überraschende Situation, daß Venezuela, das reichste lateinamerikanische Land, nicht etwa zu den Industriestaaten übergeht, sondern sich als Wortführer der Entwicklungsländer vorstellt. Der soeben abgetretene venezolanische Außenminister Are-stides Calvami, einer der führenden politischen Köpfe des Kontinents, erklärte, in derselben Form, in der man den Satz „Proletarier aller Länder, vereinigt euch“ geprägt habe, müsse man jetzt den Slogan entwickeln „Rohstoffländer, vereinigt euch!“ Dabei schwimmt Venezuela in Geld. In diesem Jahr werden die Staatseinnahmen 10,5 Milliarden Dollar übersteigen, 7 Milliarden mehr als 1973. Perez hat versprochen, den Fortschritt Lateinamerikas zu finanzieren, wobei er die Entwicklungsgelder über die Interamerikanische Entwiokkmigsibank (BID) leiten will.

Noch wichtiger ist ein Plan, die rohstofferzeugenden Länder Lateinamerikas nicht nur zu einer Konferenz zusammenzurufen, sondern mit ihnen einen ähnlichen Block für alle Rohstoffe zu schaffen, wie ihn die petroleumproduzierenden Staaten gebildet haben.

Von den 3,5 Millionen Faß Petroleum, die Venezuela zur Zeit täglich produziert, entfallen 86 Prozent auf die großen — vor allem nordamerikanischen — Erdölkonzeime, deren Konzessionen man nicht erst bei ihrem Ablauf 1983, sondern in den nächsten zwei Jahren beenden will. Doch dürfte sich aus dieser Nationalisierung kein Protest der USA ergeben, weil Venezuela weiter mit den Gesellschaften, wenn auch unter veränderten Eigentums- und Kontrollverhältnissen, zusammenarbeiten will.

Ob eine Konfliktsituation zwischen USA und Argentinien aus dessen Wirtschaftsbeziehungen zu Kuba entsteht, wird von Kissinger abhängen. Perön hat den Ausschluß Kubas aus der OAS als den „tragischesten Irrtum der USA“ bezeichnet und nicht nur die diplomatischen Beziehungen aufgenommen, sondern auch Darlehen in der Höhe von 1200 Millionen Dollar gewährt. Die argentinische „Fiat“-Gesellsohaft wird Eisenbahnmaterial für 200 Millionen Dollar nach Kuba Ueferh, während Kraftwagen im Werte von 42 Millionen Dollar von den in Argentinien arbeitenden Ford, Chrysler und General Motors geliefert werden sollen. Nun liegt auf der Hand, daß r\ro T .lofowiniTon nnprlamorilranicoTiör Kraftwagen durch lateinamerikanische Filialen eine entscheidende Durchlöcherung der Blockade darstellen. Der argentinische Wirtschaftsminister Gelbard erklärte vor der Reise nach Kuba: „Argentinien ist souverän. In Argentinien entscheiden wir. Der Kredit an Kuba ist unwiderruflich, die Gesellschaften haben zugestimmt, und die nordamerikanischen Vorstandsmitglieder begleiten uns.“ Entgegen widersprechenden Meldungen hat Washington den gordischen Knoten noch nicht durchschnitten, doch rechnet man in Lateinamerika damit, daß Kissinger seine Entspannungspolitik dem Kontinent gegenüber nicht durch einen Prestigekampf belasten will.

Wieweit die nordamerikanischen Firmen dem brennenden Souveräni-tätsanspruoh der Lateinamerikaner nachgeben müssen, dürfte eine spektakuläre Forderung der „Bananenländer“ Honduras, Costa Rica, Nicaragua und Panama an die umstrittene „United Fruit Company“ ergeben. Sie haben eine gemeinsame „Bananenfront“ gebildet und verlangen nicht nur einheitlich höhere Preise, sondern eine Steuer von 2,5 Dollarcente pro Pfund. Die „United Fruit Company“ droht, die Exporte aus Honduras einzustellen. Sie übt organisatorisch und finanziell ein solches Monopol aus, daß Widerstand nur auf kontinentaler Ebene denkbar ist.

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