6794938-1971_06_04.jpg
Digital In Arbeit

Georg, 9, zittert nicht mehr

Werbung
Werbung
Werbung

Georg G., 9, zittert nicht mehr: Es gibt für ihn im nächsten Jahr keine Aufnahmeprüfung in die Mittelschule mehr, die noch seinem Bruder Herbert, 11, nicht erspart geblieben ist. Aber es ist ja für Herbert alles gutgegangen. Mit Georg braucht auch sein Vater nicht mehr zu zittern, da Väter bei solchen Anlässen immer mehr aufgeregt sind als die Söhne. Überhaupt wenn es sacäi — wie in diesem Faii — um einen Vater dreht, der gleichzeitig Unterrichts-miinister ist und Leopold Gratz heißt. In die Schiukeform ist wieder Leben gekommen. Oder besser gesagt: fünf Monate brodelte es im stUlen. Nachdem die öffentlchkeit seit der letzten Sitzung der Schulreformkommission am 16. September 1970 nicht mehr allzuviel von Minister Graitz gehört hatte, jedenfalls zu Fragen der Schulreform, meldete sidi dieser endlich wieder im Jänner zu diesem Th«ma: Er wartete mit einigen kleinen Sensationen auf. Mat dem Entfall 1. der Aufnahmeprüfung ab dem Schuljahr 1971/72 für die alllgemedmibdildendein höheren- Schulen, die die Schulreformkommission bereits am 9. Juni 1970 beschlossen hatte, alber auch mit der Ankündigung des koedukativen Schultyps. Diese beiden Pläne sind in der 4. Schulorganasationtsgesetznovelle enthalten. Eine gemeinsame Er-Zielhung von Buben und Mädchen werde von nahezu allen Pädagogen befürwortet, erläuterte Gratz. Tatsächlich hat auch die Volkspartei auf weite Sicht odchts dagegen einzuwenden.

Außerdem soll die 13. Schulstufe auf weitere vier Jahre siistiert werden. Und die pädagogischen Gymnasien würden, lanit Unterrichtsminister, künftighin eine eigene Oberstufe erhalten.

Nach einem fünfmonatigen Bremsmanöver des Unterrichtsministers berief dieser endlich Ende Jänner die Hauptkommassion und die Okonomaekommissdom der Sdiul-reformikommiission zu einer Sitzung ein. Dieses Zaudern war vor allem deshalb unlbegreifUch, da zahlreiche weit vorangeschrittene und vor der Voililendiinig stehende Arbeiten vorliegen.

Im Mittelpunkt der Hajuptkommäs-sionssitzung stand jedoch, Freud und Lend der geplagten Pädagogen in Österreich, das Sdiuilversuchs-pipogramm:

Seit dem 9. Jund 1969, dem Tag, an dem unter Minister Dr. Mock die Kugel ins Rollen gekommen ist, wird das Versuchsprogramm stufen-wedse erweitert. 1971/72 sollen nun diese Experimente aiuf die all-gemednbd’kJenden höheren Schulen und die pädagogischen Akademien ausgedehnt werden. Ob die Schüler der allgemeinbildenden höheren Schulen acht oder neun Jahre in den Bänken schmachten müssen, sollen weitere Versuche an den AHS an den Tag bringen. Minister Gratz gibt sich in der Frage der Schuildauer sehr tolerant. Die Pädagogen drücken sich recht klar aos. Für sie ist das 13. Schuljahr überflüssig. Es ist einfach nicht unterzuibrimgen. Es gibt zu viele Schüler, jedoch zu wenig Lehrkräfte und der Schulraum ist knapp.

In etwa 100 Volksschulein wurden bisher Kinder mit Fremdsprachen konfrontiert und die Ergebnisse sind durchaus ermuitigend. Die Kinder fassen schneller auf, die Fortschritte sind beachtlich. Hier scheint man einer zukunftsträchtigen Reform auf der Spur ziu sein.

Hingegen stießen die Versuche in den Schulen der 10- bis 14jährigen nicht überall auf Gegenliebe. Die Tests bestehen vor allem darin, daß in einem AHS-Zug an Hauptschulen Miittelschulbildunig geboten wird. Dagegen wetterte der Verband österreichischer Mittelschullehrer: Es zeige sich inrnier wieder, daß einfach nicht die befäh’igten Lehrkräfte da sind und diese Schüler letzten Endes wieder von Hauptschullehrem unterrichtet werden. Die integrierte Gesamtschule, ein Schultyp der 10- bis 14jährigen also, muß in der Praxis zu einem Chaos führen. A/ndere Stinimen yerurteflen iaius diesen Erfatoungen heraus die von ÄEiallsttsäier Seite so ofit lecker servierte Einheiitsschule. Dieser Plan wird unter tristen Aspekten betrachtet. Die Einheitsschule würde das Bildungsniveau drücken. Immerhin: Österreich hat Zelt — bis 1975. Und daß man sich Zedt nehmen muß in dieser für die Zukunft Österreichs wohl entscheidenden Frage, darüber sind siich Regierung und Opposition einig.

„Es wird sich herausstellen, daß kein Schul versuch ein absoluter Mißerfolg ist”, meint Minister Gratz, und Abgeordneter Dr. Mock: „Weder die Lelirerschaft noch die interessierte öfEentlichkeit könnte Schulversucäie ernst nehmen, von denen es von vornherein hieße, sie würden sicher zu einem bestimmten Ergebnis führen.”

Und noch etwas Wird sich auf dem Schulsektor in allernächster Zeit tun: Die Volkspartei, die im Juli 1970 mit einem Entwurf für ein Bildungs-konzept herausrückte, wird demnächst die Endredaktion des darauf b^ierenden Büdiunigsprogrammes vornehmen.

Besonders liegt der ÖVP in diesem Pragramm die Büdungsförderung am Herzen. Diese soll durch eine verstärkte Bildumgsinforroation und Bildiungsiberatunig ermöglicht werden. Gefordert wird weüters eine Neugestaltung des Schulwesens, wobei man natürlich den Scihul-versuchen freien Ravim lassen wall: Lockerung des Jahrgangklassen-systeros, Differenzderunig nach Leistungen und Zielen, Baidung von Leistungs- und FördOTungsgruppen, Vermehruing der Wahlmöglichkeiten im Bildungsgang.

Eine wesentliche Bedeutung mißt das Programm auch der vorschulischen Erziehung bei. Die Volkspartei will daher eine Eltern-beratung einführen und die dafür erforderlichen Voraussetzungen schaffen. Auch die Kindergärten werden die Kleiniktinderbilduing übernehmen müssen. Wenn das Schuljahr 1974/75 anbricht, soll Klein Georg, 6 — diesmal nicht der Sohn des Unterrichtsministers —, nicht mehr am Anfang eines Bildungsexperiments mit möglicherweise ungewissem Ausgang stehen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung