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Georg Prader erinnert sich

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(Fortsetzung von Seite 4)

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(Fortsetzung von Seite 4)

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ich informierte anschließend den Bundespräsidenten.

Zwei möglichen Schwerpunktaufgaben galt es gerecht zu werden:

• Falls es zu militärischen Kampfhandlungen in der CSSR kommen sollte, war mit dem Übertritt militärischer Kampfverbände oder versprengter Truppenteile zu rechnen. In diesem Fall müßten die übergetretenen Verbände auf CSSR-Gebiet zurückgedrängt oder entwaffnet und interniert werden. Geschähe das nicht, würden wir unsere Neutralitätsverpflichtung verletzen. In diesem Falle würden mit Sicherheit die Sowjets die auf unser Territorium übergetretenen Kampfverbände selbst verfolgen.

Diese Situation mußte unter allen Umständen verhindert werden. (Gemäß Artikel 5 und 10 des V. Haager Abkommens ist der neutrale Staat verpflichtet, kriegsführenden Mächten die militärische Benützung seines neutralen Territoriums, einschließlich der Lufträume darüber zu verwehren und die Verletzung der Neutralität notfalls mit Gewalt zurückzuweisen.)

• Beim Einsetzen gewaltiger Flüchtlingsströme, die die hiefür zuständigen Grenzsicherungsorgane (Zoll und Gendarmerie) nicht mehr bewältigen können, muß zur Verhinderung chaotischer Zustände in den Grenzgebieten auf Anforderung Assistenz geleistet werden.

Da es unmittelbar nach dem Einmarsch von Warschauer- Pakt-Truppen bis in die frühen Morgenstunden und auch später nicht zu Kampfhandlungen mit der CSSR-Armee oder Milizverbänden gekommen ist, erschien es mir nicht erforderlich, sofort nach Meldung der Abmarschbereitschaft den Abmarsch zu befehlen, sondern erst in einem angemessenen zeitlichen Abstand (daher 16 Uhr). Es war noch genügend Zeit, in die vorgesehenen Räume einzurücken.

Ich wurde auch oft gefragt, warum wir nicht gleich ganz an die Grenze verlegt und warum wir nicht Reservetruppen mobilisiert haben. Letzteres war nach meiner Lageeinschätzung nicht notwendig. (Das Panzer-Grenadierbataillon in Großmittel wurde dort bereits als Reserve belassen.) Die Bereitstellung zum Einsatz in einigen Abständen von der Grenze erschien mir aus vielerlei Gründen taktisch richtiger, zumal es sich um vollmotorisierte Verbände handelte.

Zudem kam es — zu meiner Überraschung und im Gegensatz zur „Ungarnkrise“ - zu keinem von den Grenzorganen nicht mehr zu bewältigenden Flüchtlingsstrom. Es war daher für einen Assistenzeinsatz unmittelbar an der Grenze keine Veranlassung gegeben. Im übrigen schützten die Kontakte zu den Grenzexekutivorganen, die bestens funktionierten, und die ständig an der Grenze patrouillierenden motorisierten Spähtrupps, so wie die Grenzaufklärungsflüge hinreichend vor Überraschungen.

Vor allem am zweiten Tag kam es dann zu immer häufigeren Uberflügen sowjetischer Militärmaschinen, die von unseren Radarstationen genau registriert wurden. Eine Gesamtschau machte deutlich, daß es sich um ganz systematische Aufklärungsflüge handelte.

Hierauf erhielt die Jabo-Staffel den Befehl, bewaffnete Patrouillenflüge durchzuführen, und dem sowjetischen Botschafter wurde mit einem Protest und der genauen Darstellung der Uberflüge (was ihn in dieser Präzision sichtlich überraschte) die Forderung übergeben, dafür zu sorgen, daß diese Flüge eingestellt wurden. Tatsächlich geschah dies dann auch, und die sowjetische Regierung hat sich sogar wegen dieser Luftraumverletzungen entschuldigt.

Wäre es zu Kampfhandlungen und damit zum Übertritt von Kampfverbänden gekommen und hätten wir dagegen nichts getan oder etwa nichts tun können, wäre es selbstverständlich zu einem Einmarsch der Sowjets gekommen, weil die ja nicht zuschauen hätten können, wenn von unserem Staatsgebiet aus CSSR-Truppen sie angreifen.

Diesem Einmarsch wäre dann auch ein Einmarsch von NATO- Truppen gefolgt, und bestenfalls hätten wir wieder neue Demarkationslinien und Besatzungszonen gehabt und einen neuen Krisenherd im Herzen Europas. Völkerrechtlich wären an dem Dilemma auch noch wir die Schuldigen gewesen, weil wir unserer Pflicht als Neutrale nicht nachgekommen wären.

Wenn wir aber eine solche Entwicklung jeweils durch unseren rechtzeitigen Einsatz verhindern — und dazu brauchen wir unser Heer —, leisten wir einen großen Friedenseinsatz nicht nur für unser Land, sondern weit darüber hinaus, weil wir verhindern, daß sich ein lokaler Konflikt in unserer Nachbarschaft zu einem internationalen entwickelt.

Gott sei Dank waren unsere Truppen beim CSSR-Konflikt nicht gezwungen, Kampfhandlungen durchzuführen, aber wir haben der Welt unsere Entschlossenheit dokumentiert, unsere Neutralitätspflichten zu erfüllen. Das scheint mir sehr wichtig — vor allem auch, daß unsere Anrainerstaaten nicht das Gefühl haben, daß ihre Grenze zu uns eine offene Flanke ist.

Erstaunliches tut sich im Zusammenhang mit dem CSSR- Konflikt von 1968 auf der geschichtlichen Gerüchtebörse. Angeblich — so wird es kolportiert — gab es ein Befehlswirrwarr, keiner wußte, wer für was zuständig war, eine Streiterei in.der Regierungsmannschaft und dergleichen mehr. An all dem ist kein wahres Wort.

Natürlich gab es nachher auch eine Manöverkritik, die sich vor allem auf die Ausrüstungsmängel des Bundesheeres bezog. Als praktische Auswirkung kam es zur von der SPÖ heiß bekämpften „Wehrmilliarde“, mit der vor allem die völlige Neuausstattung des KFZ-Parkes in die Wege geleitet wurde und viele andere Mängel wenigstens zum Teil behoben werden konnten.

Zwei Aspekte seien noch zum Schluß besonders hervorgehoben: die höchst verantwortungsvolle Berichterstattung der Medien und die ruhige und besonnene Haltung der Bevölkerung, vor allem der Grenzbevölkerung, die dem Bundesheer jede mögliche Unterstützung zukommen ließ.

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