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Georg Trakl zur Debatte

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Die österreichische Gesellschaft für Literatur mußte ihre längst geplante Trakl-Woche verschieben, sie hätte sonst mit einem Trakl-Kongreß in England kollidiert. Das allein zeigt, wie wichtig dieser Dichter heute genommen wird, der im November 1914, drei Monate vor seinem 28. Geburtstag, auf dem Truppenverbandplatz von Grodek freiwillig aus dem Leben ging, verzweifelt über seine Hilflosigkeit als Sanitäter, den laut klagenden Verwundeten gegenüber.

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Die österreichische Gesellschaft für Literatur mußte ihre längst geplante Trakl-Woche verschieben, sie hätte sonst mit einem Trakl-Kongreß in England kollidiert. Das allein zeigt, wie wichtig dieser Dichter heute genommen wird, der im November 1914, drei Monate vor seinem 28. Geburtstag, auf dem Truppenverbandplatz von Grodek freiwillig aus dem Leben ging, verzweifelt über seine Hilflosigkeit als Sanitäter, den laut klagenden Verwundeten gegenüber.

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„Georg Trakl und der Expressionismus“ lautete das Thema, das im Beethoven-Saal des Wiener Palais Palffy in vier großen Abendvorträgen, sechs kürzeren Statements an den Nachmittagen und einer anderhalbstündigen Schlußdiskussion behandelt wurde. Insgesamt zehn Experten aus Österreich, der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz kamen zu Wort: Hochschullehrer, Trakl-Spe-zialisten und die letzten Überlebenden des Expressionismus. Untersucht wurde unter vielem anderen Trakl als Briefschreiber, das komplizierte Problem der Trakl-Literaturgeschichts-schreibung, die typisch expressionistische Zivilisationskritik im Werk Trakls, die Sprache in seinen späten Gedichten, aber auch die Grundfrage „Gibt es einen österreichischen Expressionismus?“ Es ging also im ganzen darum, Georg Trakl als eine Hauptfigur einzuordnen in den kaum abzugrenzenden und als zweifelhafte Einheit nach wie vor umstrittenen Expressionismus. Er gilt als undefinierbare Rahmenerscheinung; paßt das Bild des großen, schwer interpretierbaren Salzburger Poeten hinein?

Der gewiegte Hans Mayer (Tübingen) hielt das breite Einführungsreferat und gestand, ein Liebhaber Trakls, aber kein Kenner zu sein. Mit „Menschheitsdämmerung - Expressionismus und die Folgen“ versuchte er pointiert die sozialen und literarischen Elemente jener Epoche (1910-1925) darzulegen, in die der Expressionismus als lyrische, dramatische und epische Erscheinung gewöhnlich verlegt wird. Er unterschied zwei Etappen: Den durchaus echten geistig-moralischen Aufbruch junger Dichter in der als gespenstig empfundenen Vorkriegszeit und eine nach dem Kriege inflationistisch zur Mode gewordene Technik stilistischer Eskapaden, leicht erlernbar und schwer zu durchschauen. Von damals datiere, bis in die Gegenwart reichend, die mühsame Unterscheidbarkeit des Echten vom routinierten Schwindel. Mayer zitierte als geradezu vernichtenden Beleg aus der satirischen „Magischen Operette“ von Karl Kraus, „Literatur oder Man wird doch da sehn“ (1921): Die herangezogenen Originalwendungen der „Magier“ sind von der parodistischen Einbettung kaum zu unterscheiden.

Der respektvollen Skepsis des Siebzigjährigen widersprachen zum Teil die jüngeren Referenten. Sah Mayer im

Expressionismus eine wesentlich mitteleuropäische Erscheinung (seiner Meinung nach sogar ursprünglich im österreichisch-süddeutschen Gebiet wurzelnd und gegen das wilhelminische Berlin gerichtet), zum Unterschied vom typisch französischen Surrealismus, werteten andere Teilnehmer die expressionistische Phase als das vielleicht wichtigste (und bleibende) einer Gesamtentwicklung, die mit Baudelaire und Rimbaud beginnt und bis in die Gegenwart weiterwirkt.

So verschieden die Einzeluntersuchungen waren, die von Walter Meth-lagl und Alfred Doppler (beide Innsbruck), Peter Weibel und Albert Ber-

ger (Wien), Peter Horst Neumann (Fri-bourg) oder Heinz Rölleke (Wuppertal) geleistet wurden, so einig waren sich alle, daß der sogenannte späte Georg Trakl (neben Else-Lasker-Schüler) der sprachlich wie geistig subtilste unter den expressionistischen Lyrikern ist; denn erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1912 verändert sich die humane Grundhaltung des Dichters: ein zweifaches Dunkel nimmt überhand, sowohl in der vom Letalen bestimmten Seelenlage, als auch in einer nunmehr hermetisch verschlüsselten Ausdrucksweise.

Der Alt-Expressionist Otto Basil (Jahrgang 1901) deponierte lapidar, Trakl sei „der expressionistische Mensch schlechthin“ gewesen. Die Germanisten aber fragen nach wie vor: Was ist (war) Expressionismus? Zwischen August Stramm (1874-1915) und Georg Trakl etwa gibt es nur geringe Vergleichsmöglichkeiten, und doch werden beide aus guten Gründen dem Expressionismus zugezählt. Der Name ist durch Zufall aufgekommen und dann gang und gäbe geworden: Bei einer Pariser Ausstellung (1901) wurde eine Gruppe moderner Bilder als „ex-pressionisme“ zusammengefaßt. Erst zehn Jahre nachher nahm man die Bezeichnung für eine künstlerische Bewegung in Anspruch, die von der Bil-

denden Kunst, über Literatur und Musik, bis zur (weltanschaulich ziemlich vagen, wiewohl radikal verstandenen) „Menschheitserneuerung“ reichte. Es war wohl auch zum erstenmal eine unerbittliche Revolte der „Söhne“ gegen die „Väter“, aber nicht der „Töchter“ gegen die „Mütter“ (wie die Lasker-Schüler beweist), somit kein totales Generationsproblem. Der „neue Ton“ ging gegen das Tonangebende. Das tut er freilich, auf andere Weise, auch heute noch.

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