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Geothermie und ihre Chancen in Österreich

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Will man einigen Meldungen glauben, die in letzter Zeit in der Presse auftauchten, dann wäre die Lösung des Energieproblems in Österreich nicht mehr fern: Der 2000 bis 4000 Grad Celsius heiße „Lavasee“ unter der Oststeiermark harrt in 8000 bis 9000 Meter Tiefe seiner Nutzung und das Kraftwerk Zwentendorf wird durch den Dampf einer gigantischen „Dampfblase“ in 9000 Meter Tiefe betrieben. Die Erdwärme wäre also der große Problemloser!

Das alles klingt ungemein wissenschaftlich und optimistisch - doch leider ist es kompletter Humbug!

Was kann aber mit der Erdwärme oder der geothermischen Energie wirklich erreicht werden, und - was für uns noch wichtiger ist - welche Chancen der Nutzung bestehen in Österreich?

Mit zunehmender Tiefe steigt die Temperatur in den Gesteinen an, und zwar durchschnittlich um etwa 30 Grad pro 1000 Meter („geothermische Tiefenstufe“); in vielen Gebieten auf der Erde ist der Temperaturanstieg rascher: Das sind die traditionellen Hoffnungsgebiete für die Nutzung von geothermischer Energie. In einer Reihe von Ländern nutzt man zur Energiegewinnung bereits Erdwärme in Form von Dampf oder Heißwasser: In Larderello in Italien erzeugt man elektrischen Strom aus Trockendampf; Reykjavik, die Hauptstadt Islands, wird fast zur Gänze mit geo-thermischem Heißwasser versorgt und beheizt; im Pariser Becken werden in zunehmendem Maße moderne Wohnhausanlagen durch natürliches Warmwasser beheizt, und auch in unserem Nachbarland Ungarn werden an verschiedenen Orten Wohnhäuser, Glashäuser, Frei- und Hallenbäder mit geothermischer Energie versorgt.

Der beste Anhaltspunkt dafür, ob in einem Gebiet mit dem Vorhandensein nutzbarer geothermischer Energie gerechnet werden kann, ist natürlich ein tätiger Vulkan oder damit verwandte geologische Erscheinungsformen, wie Fuma-rolen oder Geysire. Nun, diese gibt es in der geologischen Gegenwart Österreichs nicht, aber dennoch sind in einigen Gebieten in unserer Heimat die Chancen günstig, in tiefen Sedimentbecken natürlich vorkommendes Heißwasser durch Tiefbohrungen zu erschließen und zur Energiegewinnung zu nutzen.

Vor allem zwei Fragen müssen dabei vorher geklärt sein: Die Temperaturverteilung in der Tiefe soll so genau wie möglich bekannt sein, und in den entsprechenden Tiefen müssen wasserführende Gesteinsschichten vorhanden sein. Es ist nämlich keinesfalls so, daß in der Tiefe große Hohlräume bestehen, die einen unterirdischen Heißwassersee oder gar eine Dampfblase bergen. Die flüssigen und gasförmigen Medien - dies gilt für Wasser und Dampf genauso wie für Erdöl und Erdgas - sind fast immer in kleinsten, miteinander verbundenen Poren des Gesteins (Speichergestein) enthalten; dieses kann nun je nach Art seiner Porosität und Permeabilität und in den herrschenden Druckverhältnissen mehr oder weniger der in ihm enthaltenen Substanz abgeben.

Die verläßlichsten Auskünfte über die Verhältnisse in der Tiefe bekommt man aus Tiefbohrungen - und hier sind wir in Österreich in der glücklichen Lage, auf den reichen Erfahrungsschatz zurückgreifen zu können, der bei der Erschließung von Erdöl- und Erdgaslagerstätten gewonnen wurde.

Im sogenannten Steirischen Bek-ken, das sich südöstlich von Graz bis zur jugoslawischen und ungarischen Staatsgrenze erstreckt, erfolgt die Temperaturzunahme so rasch, daß man stellenweise bereits in 2000 Metern Tiefe Wasser mit Temperaturen um 100 Grad Celsius erhält. Vor einigen Jahren traf die nicht fündige Erdölaufschlußbohrung Binderberg 1 (abgeteuft von der Rohölaufsuchungs Ges. m. b. H.) in tiefen Schichten der tertiären Beckenfüllung (Tertiär -Erdneuzeit, Alter zwischen 2 und 65 Millionen Jahren) Heißwasser an; eine seither abgeteufte zweite Bohrung“ konnte diesen Erfolg wiederholen, so daß nun eine kombinierte Nutzungsanlage (Heilbad - Heizung) in Loipersdorf im Aufbau ist.

Zur Jahreswende 1977/78 wurde im Kurpark der Stadt Radkersburg in etwa 1900 Meter Tiefe eine Bohrung fündig, die Heilwasser erschließen sollte. Erste Tests ergaben ein mit rund 70 Grad Celsius frei an der Oberfläche ausfließendes (artesisches) Wasser. Weitere Ergiebigkeitstests werden zeigen, in welchem Ausmaß neben der angestrebten balneologi-schen Nutzung auch die enthaltene Wärme verwertet werden kann.

Zur Zeit läuft in Waltersdorf im steirischen Safental der erste in Österreich nur auf die Nutzung von geothermischer Energie angesetzte Test, finanziell unterstützt vom Bund und vom Land Steiermark. Die nichtfündige und teilweise verfüllte Erdölaufschlußbohrung Waltersdorf wird aufgebohrt, um vermutetetes heißes Wasser im paläozoischen Untergrund (Paläozoikum - Erdaltertum, zirka 230 bis 570 Millionen Jahre) in einer Tiefe zwischen 1094 und 1532 Meter auf seine Temperatur (wahrscheinlich 60 bis 70 Grad), Ergiebigkeit, Chemismus usw. zu testen. Wenn diese Untersuchungen erfolgreich sind, ist geplant, einige öffentliche Gebäude der Gemeinde zu beheizen.

In den zentralen, tiefsten Teilen des Steirischen Beckens ist im Raum Fürstenfeld in Tiefen um 2500 bis 3000 Meter sogar stark überhitztes Wasser mit Temperaturen um 150 Grad Celsius und darüber zu erwarten.

Das Wiener Becken birgt ebenfalls Möglichkeiten, natürliches Heißwasser zur Energiegewinnung zu nutzen. Hier sind es vor allem die Gebiete, in denen in größeren Tiefen die sehr guten Speichergesteine der Nördlichen Kalkalpen (Kalke und Dolomite aus dem Erdmittelalter) unter der tertiären Beckenfüllung liegen. In der Tiefbohrung Aspern 1 (ÖMV-AG) traf man in rund 3000 Meter Tiefe 105 Grad heißes artesisches Wasser an; durch seinen besonders hohen Salzgehalt von etwa 15 dag pro Liter ist jedoch die Frage einer Nutzung bisher noch nicht geklärt.

Die entlang der „Thermenlinie“ natürlich austretenden Thermalwässer bzw. die in Oberlaa erbohrte Therme stellen ganz besonders günstige Ausnahmen dar; diese hohen Temperaturwerte in geringen Tiefen darf man nicht verallgemeinern. Für eine bedeutendere Energiegewinnung werden sie auf Grund der zu geringen Ka-paziät nicht in Frage kommen.

Bessere Möglichkeiten als im Wiener Becken bestehen lokal auch im oberösterreichischen und salzburgischen Alpenvorland (Molassezone), wo man ebenfalls bei Erdölbohrungen im Raum Geinberg - Obernberg am Inn auf Heiß wasser gestoßen ist. Auch im Vorarlberger Rheintal ist es durchaus möglich, in Tiefen ab etwa 2000 Meter nutzbare Mengen von Heißwasser zu erschroten.

Die ersten hier angeführten Versuche, geotheftnische Energie in Österreich zu nutzen, sind also durchaus ermutigend und regen an, weitere Forschungs- und Nutzungsvorhaben auszuarbeiten und zu studieren. Sicher stehen die hohen und risikoreichen Anfangsinvestitionen bisher einem weiter verbreiteten Einsatz der geothermischen Energie entgegen. Das große Risiko kann aber durch besonders genaue Planung teilweise ausgeglichen werden. Es muß unbedingt angestrebt werden, in kombinierten Nutzungsanlagen, die geothermische Energie möglichst umfassend zu nutzen: z. B. Radiatorenheizung und sanitäre Warmwasserversorgung mit Vorlauftemperaturen bis etwa 70 Grad Celsius, daran anschließend Boden- und Tapetenheizung mit einem Vorlauf um 40 Grad, Schwimmbad mit etwa 25 Grad, zusätzlicher Einsatz von Wärmepumpen, Reinjektion des nunmehr abgekühlten Thermalwassers über ein zweites Bohrloch in den Entnahmehorizont und ähnliches.

Wenn dieser Fragenkomplex der Öffentlichkeit verstärkt bewußt wird und die laufenden und geplanten Untersuchungen mehr und mehr praktikable Lösungsvorschläge aufzeigen, wird man auch in Österreich einen gewissen, zunächst sicher nicht sehr großen Teil der importierten Erdöl-und Erdgasmengen durch diesen einheimischen Energieträger ersetzen können.

Ob in der Zukunft auch mit den hier aufgezeigten geothermischen Ressourcen elektrischer Strom erzeugt werden kann, hängt vom Fortschritt der Technologie mit Kälteflüssigkeiten ab, aber es gibt bereits jetzt im Entwicklungs- und Versuchsstadium Kleingeneratoren, die mit dem Dampf niedrig siedender Flüssigkeiten betrieben werden.

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