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Geplagte Erbinnen der Madame Curie

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Die Hälfte aller Studenten sind Frauen, aber nur ein Sechstel aller Universitätsassistenten. Ganze 45 Professorinnen verlieren sich unter mehr als 1.500 männlichen Kollegen.

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Die Hälfte aller Studenten sind Frauen, aber nur ein Sechstel aller Universitätsassistenten. Ganze 45 Professorinnen verlieren sich unter mehr als 1.500 männlichen Kollegen.

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„Die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei": eines Tages war dieser Schriftzug im Wiener Neuen Institutsgebäude von ungelenker Hand ergänzt worden. Der Zusatz lautete: „ — von Frauen".

Die „Täter" blieben unerkannt. War es vielleicht eine aus ihrer Vorlesung kommende Jus-Stu-dentin, die über ein lustig-locker vorgetragenes Rechts-Beispiel zum Thema Vergewaltigung nicht so recht hatte lachen können?

Waren es die Teilnehmerinnen an einem Seminar, denen von ihrem Betreuer soeben eröffnet worden war, ihr Frauenthema sei

„wissenschaftlich nicht relevant"?

Oder war es gar die Assistentin, die von ihrem Ordinarius gefragt wurde, warum sie sich eigentlich habilitieren wolle, ihr Gatte sei doch ohnehin schon Vorstand an einem anderen Institut?

Ein Lokalaugenschein an den meisten Hochschulen scheint die Behauptung, die Wissenschaft sei frei von Frauen, als Lüge zu entlarven. Auch ein erster Blick in die aktuellen Zahlen: Der Anteil der weiblichen Erstinskribenten hat die 50-Prozent-Marke erreicht. Bloß verläuft die Kurve von da an geradlinig nach unten.

Stellen die Studentinnen noch 43 Prozent aller Studenten, so ist die Promotion bereits eindeutig in männlicher Hand: 1983/84 standen 2.873 weiblichen Universitätsabsolventen 4.799 männliche gegenüber. 1985 stellten die Frauen ein Sechstel der Universitätsassistenten, und nur 45 Professorinnen verlieren sich unter insgesamt 1.612 Ordinarii.

Für Helga Matuschek, mit inneruniversitären Dingen befaßte Soziologin, ist die Interpretation solcher Zahlen eindeutig: „Je weiter nach oben Frauen auf der wis-

senschaftlichen Karriereleiter kommen, desto mehr Prügel werden ihnen vor die Füße geworfen."

Wie das geschieht, ist am aufgeklärten Ende des 20. Jahrhunderts schwer zu erfragen. Kaum ein männlicher Vorgesetzter würde sich auch offen dazu bekennen, Geschlechtsgenossen bei der Aufnahme zu bevorzugen. Blitzlichter müssen groß angelegte Erklärungsmuster ersetzen.

Die eingangs erwähnte Assistentin hatte wirklich Schwierigkeiten mit ihrer Habilitation, weil die Karriere ihres Mannes als ausreichende Versorgungsgrundlage für eine Familie empfunden wurde.

Die Bestellung der ersten Primaria für Gynäkologie wurde von Anfeindungen und unüblichen Prüfungen seitens der männlich dominierten Kollegerlschaft begleitet.

Und Ingrid Cella, außerordentliche Professorin am Germanistik-Institut sowie Fachfrau für weibliche Literatur, bekommt bei Ausflügen in andere Bereiche ihres Faches oftmals zu hören: „Warum beschäftigen Sie sich plötzlich damit, Sie haben ohnehin Ihr Frauen-Spezialgebiet!"

Es sind meist Einzelerlebnisse, die Frauen im Universitätsbetrieb deutlich machen, daß sie sich selbst in der Heimstätte des Denkens vielfältiger Diskriminierung gegenübersehen.

Erst spät in ihren zeitgeschichtlichen Arbeiten bemerkte Erika Weinzierl, eine der ganz wenigen Lehrstuhl-Inhaberinnen Österreichs, daß ihr Geschlecht in der gängigen Literatur eigentlich kaum vorkommt. Ihr Resümee heute: „Die Frauengeschichtsschreibung war einmal ein leeres Feld, aber da ist viel geschehen in den letzten Jahren. Wir haben unsere Geschichtslosigkeit abgelegt."

Der mangelnde Frauenbezug des universitären Lehrstoffes: Dies machen viele Soziologen und Psychologen mitverantwortlich für das vielfache Scheitern von Frauen im Wissenschaftsbetrieb. Schon wird von einer „männlichen" und einer „weiblichen" Wissenschaft gesprochen. Worin besteht letztere?

„Wenn ich mit Frauen zusammensitze, kommt mehr Persönliches in die Diskussion als in gemischten Runden", meint Luise Gubitzer, Assistentin an der Wiener Wirtschaftsuniversität. „Weil die Universität jahrhundertelang in männlicher Hand war, haben sich auch entsprechende Verhaltensweisen gefestigt — eben, daß Persönliches .unwissenschaftlich' sei oder daß nur über Autoritäten wie Zitate verkehrt wird."

Und Gertraud Diem-Wille, die als Lektorin am Pädagogik-Institut der Universität Wien Semester für Semester um die Zulassung ihrer Lehrveranstaltung mit Frauenthemen kämpfen muß, fügt hinzu: „Jede Wissenschaft, die ganzheitlich zu denken versucht, ist verpönt — somit auch die weibliche."

Alternativen zum gängigen Betrieb sind schon entstanden: Eine jährliche „Frauen-Sommeruniversität", ein Dokumentationsarchiv Frauenforschung, ein vielfäl-

tiges Angebot an Lehrveranstaltungen mit feministischer Aus- ■ richtung.

Der Zankapfel, um den es zu Beginn solcher Seminare meist geht, spaltet auch die Frauen in zwei Lager: Männer sollen zu solchen Seminaren über Frauenfragen nicht zugelassen werden, „weil sie sich oft in eine missionarische Position begeben" (Hoch-schülerschafts-Referentin Johanna Riegler), lautet die eine Position, die andere, man dürfe ihnen „nicht Gleiches mit Gleichem heimzahlen" (Erika Weinzierl),

Weinzierl selbst hat sich in ihrer Karriere „nur zweimal" diskriminiert gefühlt — da aber an entscheidenden Stellen: „Zuerst gab es Schwierigkeiten mit meiner Pragmatisierung in einem Dokumentationsarchiv, und später hieß es auch bei meiner Habilitation: ,Was, muß die das machen?'" Insgesamt habe sie die Erfahrung gemacht, als Frau müsse man mehr leisten als die männlichen Kollegen, um sich genauso durchzusetzen.

Sorgen machen Weinzierl die Studentinnen von heute, wenn diese besonders die (Lehramtsund philosophischen) Fächer mit eher geringen Arbeitsplatzchancen überbelegen. Nur logisch, daß Frauen die Mehrheit bei den Studienabbrechern stellen. Die laut zynischer Geister „akademische Sekretärinnenausbildung" des Ubersetzer- und Dolmetschstudiums mit rund 90 Prozent Frauenanteil mag hier als krasses Beispiel dienen. Die Posten in diesem Bereich sind größtenteils besetzt. Rosemarie Dorrer vom Arbeitsamt für Akademiker: „Unsere Sorgenstudien sind Frauenstudien."

Kritik an ihren Geschlechtsgenossinnen übt auch die Germanistin Ingrid Cella: „Ein sehr ungünstiger Trend in der Frauenbewegung ist die Scheu vor dem Computer." Ebenso braucht die Anrede „Frau Diplomingenieur" noch nicht geübt zu werden: In Maschinenbau und Elektrotechnik liegt der Frauenanteil bei unter drei Prozent.

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