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Geräte mit Geschichte

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Verschollen geglaubte jüdische Kultgeräte sind nach der Wende im Osten wieder ans Tageslicht gekommen. Sie lassen gleichzeitig die Kultur des Ostjudentums wieder lebendig werden.

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Verschollen geglaubte jüdische Kultgeräte sind nach der Wende im Osten wieder ans Tageslicht gekommen. Sie lassen gleichzeitig die Kultur des Ostjudentums wieder lebendig werden.

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Ein naiv dreinblickender feister Stier auf einer idyllischen Grasweide, umgeben von Bäumen, mit einem Kräuselwölkchen und einer Widmungsinschrift aus dem Jahr 1848 darüber, schmückt das achteckige silberne Thoraschild in reliefierter Treibarbeit. Dies ist ein atypisches, aber originelles Beispiel aus den etwa 120 Objekten der Ausstellung „Thora und Krone", die im Wiener Kunsthistorischen Museum jüdische Kultgeräte aus der Ukraine zeigt.

Wie überall hatten auch die Juden der Ukraine eine sehr bewegte Geschichte von zaristischen Vertreibungen, Pogromen, Wiederansiedlungen innerhalb sogenannter „Grenzen der Seßhaftigkeit" und Förderung aus vordergründigen Wirtschaftsinteressen. In Kiew beschränkte sich die Ansiedlung auf zwei Stadtbezirke, trotzdem waren die Juden bald höchst erfolgreiche Unternehmer in der Zuckerraffinerie, Mühlenbesitzer, Reeder oder Juweliere. Sie förderten und finanzierten dort das Bildungswesen, unterhielten Kranken- und Waisenhäuser, ließen Synagogen errichten. Ende des vorigen Jahrhunderts betrug ihr Bevölkerungsanteil in Kiew etwa zehn Prozent.

Die Ereignisse des Jahres 1917 veränderten schlagartig auch ihre Welt. Viele Juden hatten sich - des Antisemitismus im Zarenreich wegen - der Revolution angeschlossen, aber bald bestand Religionsfreiheit auch nur auf dem Papier. Im Jahr 1922 wurden einem Erlaß des allukrainischen Zentralausschusses entsprechend die kostbaren kirchlichen Geräte beschlagnahmt und in staatliche Depots - teilweise nach Sibirien -gebracht. Erst 1963 kehrten sie ins Museum der Historischen Kostbarkeiten in Kiew zurück. Und erst 1989 wurden die etwa 400 Objekte quasi wiederentdeckt und seither restauriert und wissenschaftlich aufgearbeitet.

1991 wurden diese Sammlung in Verbindung mit dem 50jährigen Gedenktag der Tragödie von Babij Jar -wo 1941 Zehntausende Kiewer Juden von den Nazis zu Tode gequält worden waren - erstmals in Kiew gezeigt, ebenfalls 1991 dann im finnischen Turku und 1992 in Shitomir in der Ukraine. Jerusalem und New York haben bereits ihr Interesse an dieser Schau angemeldet.

In all den hier gezeigten Objekten spiegelt sich die große Liebe und Verehrung der Juden für ihre heiligen Schriften. Die Thora, das sind die Fünf Bücher Mose, in Rollenform niedergeschrieben und an zwei Stäben befestigt, steht im Mittelpunkt des Synagogengottesdienstes. Beeindruckend sind vor allem die Thora-kronen, meist mehrstöckige Gebilde aus Silber mit teilweisen Vergoldungen, die mit Blüten und Früchten, Tierfigürchen und Rankenwerk kostbar verziert sind.

Eine galizische Thorakrone aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigt zwischen fruchtgefüllten Vasen und Rocaille-Ornamenten am Stirnreif den Doppeladler in Nielloarbeit. Und aus derselben Zeit stammt die dreireihige höchst filigran gearbeitete Krone (aus der Ukraine oder aus Polen), auf deren unterstem Reif Hirsche springen, über deren kunstvoll gedrehten, mit Blättern, Eicheln und Blumen verzierten Bögen knabbernde Eichhörnchen hocken und darüber sich Löwenfigürchen aufbäumen. In einer kleinen Kuppel mit Hängeglöck-chen endet diese Krone.

Auch die Thoraschilder nehmen einen besonderen Stellenwert ein. Auf ihnen sind meist die Gesetzestafeln mit den zehn Geboten dargestellt,

oftmals auch die zwei Säulen der Bundeslade, Löwen- oder Vogelgestalten. Manchmal weist eine Inschrift auf den Stiftungsanlaß hin, etwa eine Geburt oder den Tod eines Familienangehörigen.

Auf einem Thoraschild aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus Polen oder der Ukraine tragen zwei freundliche Löwen die Widmungskartusche des Judlom für seine verstorbene Frau Tabla, Vögelchen umschwirren die Gesetzestafeln, elegante Säulchen und eine Blätterbordüre schließen dieses Schild kunst-

voll ab. Rimmonim - über die Spitzen der Rollstäbe für die Thorarolle gestülpte kleine Aufsätze, Thorazeiger, die meist in einer Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger enden, ergänzen die in der Synagoge in Gebrauch stehenden Gerätschaften.

Für die Feier jüdischer Zeremonien im Hause haben sich Chanukka-Leuchter,Kiddusch(Segens)-Becher, Besamim(Gewürz)-Büchsen, Waschbecken, Kerzenhalter und Schriftrollen-Benälter erhalten, die in liebevoller (wie die als Blüten oder Granatäpfel gestalteten Besamim-Büchsen) oder in eleganter (wie die Jugendstilmotive von Schwänen und Fischen zwischen Schilfhalmen am Schaft zweier Kerzenhalter) Weise verziert sind.

Generaldirektor Wilfried Seipel hat vom Vorhandensein dieser kostbaren Geräte anläßlich der Organisation der heuer schon im Kunsthistorischen Museum gezeigten Schau „Gold aus Kiew" erfahren und sofort sein Interesse angemeldet. Die Auswahl wurde dann gemeinsam mit den ukrainischen Experten vorgenommen, auch die Katalogtexte wurden in Kiew verfaßt. Die von Anfang des 18. bis Anfang des 20. Jahrhunderts stammenden Geräte sind anhand der erhaltenen Meistermarken und Punzierungen datierbar und den verschiedenen Handwerkszentren zuzuordnen. Künstlerisch bieten sie einen Querschnitt durch die verschiedenen Epochen.

Mehr noch als um den kunstgeschichtlichen Zusammenhang geht es aber bei diesen Objekten der bis 7. November zugänglichen Ausstellung um den historischen, um den „Lebenszusammenhang", der eine mahnende Erinnerung und ein Verbindungsglied zu den christlichen Ursprüngen zugleich darstellt.

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