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Gerechter für Familien

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Ab 240.000 Schilling Jahreseinkommen keine Kinderbeihilfe mehr: Dieser Diskussionsbeitrag der Familienministerin gab Anlaß zu folgenden Grundsatzüberlegungen.

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Ab 240.000 Schilling Jahreseinkommen keine Kinderbeihilfe mehr: Dieser Diskussionsbeitrag der Familienministerin gab Anlaß zu folgenden Grundsatzüberlegungen.

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Die beiden Regierungsparteien haben sich in ihrem Arbeitsübereinkommen das vielversprechende Ziel gesetzt, die Lebensbedingungen der Familie zu verbessern und an der Schaffung einer kinderfreundlichen Gesellschaft mitzuwirken. Sie wollen dazu unter anderem für eine verstärkte steuerliche Berücksichtigung der Familie und für eine Staffelung der Familienbeihilfen nach sozialen Gesichtspunkten (wohl beides) unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sorgen.

Der pointierte Vorstoß der Frau Bundesminister Marilies Flemming hatte immerhin zur Folge, daß nunmehr die weitere Entwicklung des Ausgleiches der Familienlasten in Österreich in seiner ganzen Breite zur Diskussion steht.

Die eindrucksvoll einhellige Ablehnung der Idee, die Staffelung der Familienbeihilfen durch Einkommensgrenzen zu erreichen, hat die familiengerechte Besteuerung der Einkommen mit einem Mal zum Schlüssel des Systems gemacht. Folgendes Konzept würde eine widerspruchsfreie und systemgerechte Verwirklichung der Regierungsabsichten gewährleisten.

Die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des bzw. der Familienerhalter erfordert die Steuerfreiheit des Existenzminimums für jedes Familienmitglied vor der Bemessung der Einkommenssteuer durch einen Steuerfreibetrag.

Mit dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wird unser System der progressiven Besteuerung des Einkommens begründet: mit steigendem Einkommen steigt die wirtschaftliche Fähigkeit, aus diesem Einkommen eine relativ höhere Steuer zu leisten. Das Einkommen im Umfang eines Existenzminimums bleibt folgerichtig steuerfrei, die Progression setzt erst bei einem darüber liegenden Einkommen ein.

Aufgrund dieses Zusammenhanges vermindert umgekehrt jede gesetzliche Sorgepflicht für ein Kind die wirtschaftliche und damit die steuerliche Leistungsfähigkeit eines gegebenen Einkommens. Die Unlogik des erst mit Jahresbeginn wieder eingeführten Kinderabsetzbetrages hegt darin, daß unser Einkommenssteuersystem wohl die höhere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aus einem steigenden Einkommen anerkennt und progressiv besteuert, bei der Reduzierung der Einkommenssteuer aufgrund der geringeren wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit infolge der Sorgepflicht für Kinder aber auf die Progression vergißt!

Die Rückvergütung von 50 Schilling Absetzbetrag) für jedes Kind eines Familienalleiner-halters aus dem progressiven Steuerbetrag, der so berechnet wurde als ob keine Sorgepflicht vorliegen würde, ist nicht zuletzt die Folge auch einer politischen Grundeinstellung: Zuerst kommt die Erfüllung der Steuerpflicht durch den Staatsbürger, dann erst werden Kinder vom Staat „berücksichtigt”!

Muß es in einer humanen Gesellschaft nicht umgekehrt sein: zuerst die Sorge für das Existenzminimum (wie immer berechnet) für alle Familienangehörigen,dann die Verpflichtung zum Beitrag zur Deckung der (wie immer abzugrenzenden) Staatsausgaben?

Das Argument, daß diejenigen, die mehr an Einkommenssteuer bezahlen, mit einem Steuerfreibetrag mehr gewinnen als mit einem bloßen Absetzbetrag, ist richtig, aber eine gerechte und notwendige Folge aus diesem System: Sie bezahlen ohne Freibetrag ja auch einen progressiv berechneten Steuerbetrag, das heißt, sie zahlen um die jeweilige Differenz zwischen den Folgen eines Freibetrags und dem Absetzbetrag progressiv zu viel!

Zu diesem System hatten sich die beiden heutigen Koalitionspartner bereits in einer früheren Phase ihrer Kooperation zusammengefunden: Im Bericht des Finanz- und Budgetausschusses des Nationalrates zum Familien-lastenausgleichsgesetz 1954, der damals von Pius Fink (ÖVP)als Berichterstatter und von Ferdinanda Flossmann (SPÖ) als Vorsitzende unterzeichnet war.

Demgegenüber kann es wohl nur als Hohn empfunden werden, daß es zur Förderung des Energiesparens und für die Deckung der Fahrkosten zum Arbeitsplatz sehr wohl und seit langem progressionswirksame Steuerfreibeträge gibt!

Der von den Familienverbänden immer wieder mit Recht verlangte Kinderfreibetrag sollte -wieder systemgerecht — nicht der vollen Höhe des Existenzminimums entsprechen, sondern (ihrem Zweck entsprechend) um die Famüienbeihüf e vermindert werden.

Eine solche Lösung würde auch die Beseitigung einer anderen Systemwidrigkeit möglich machen: die Beseitigung der Ausnahme des Einkommens, welches aus der Familienbeihilfe gewährt wird, aus der Besteuerung.

Und dies hätte noch eine weitere ebenso systemkonforme Folge, die offenbar auch der Frau Bundesminister als wünschenswerte Zielsetzung vorschwebte, nämlich die Staffelung der Familienbeihilfen nach der Einkommenshöhe. Die auf diese Weise progressiv besteuerte Familienbeihilfe würde damit als Netto-Bei-hilfe automatisch sozial gestaffelt sein.

Es muß aber ganz deutlich gemacht werden, daß die progressive Besteuerung der Familienbeihilfen nur im Zusammenhang mit einer progressionswirksamen Berücksichtigung des verbleibenden Existenzminimums bei der Steuerbemessung sinnvoll, also sowohl systemkonform wie auch gerecht ist.

Die so angestrebte soziale Staffelung der Netto-Familienbeihil-fen wird nicht eintreten, solange es die Individualbesteuerung der Bezieher der Familienbeihilfen möglich macht, daß diese durch den Elternteil in Anspruch genommen werden, der über das geringere oder gar kein Einkommen verfügt.

Die Durchführung dieses Konzeptes wird daher erst im Rahmen der zweiten Phase der Einkommenssteuerreform möglich sein, die unter anderem auch die allgemeine Veranlagung der Einkommenssteuerpflichtigen bringen wird.

Bundeskanzler Franz Vranitzky hat die Verwirklichung der familienpolitischen Absicht des Koalitionsabkommens daher auch für diese zweite, entscheidende Phase der Steuerreform angekündigt. Eine sinnvolle und in sich widerspruchsfreie Verwirklichung dieser Koalitionsvereinbarung der beiden Regierungsparteien läßt eigentlich nur die Wiedereinführung des Kinderfreibetrages mit den oben dargestellten Folgen zu!

Bis dahin sollte die Zeit genutzt werden (und sie wird wahrscheinlich auch dazu gebraucht werden), um die vielseitigen Vorteile dieses Systems, das allmählich wieder in beiden Regierungsparteien auf wachsendes Verständnis stößt, allen Beteiligten überzeugend nahezubringen.

Es besteht eine große Chance, in dieser Legislaturperiode einen entscheidenden Schritt zu einem konsequenten Ausgleich der Familienlasten in Österreich zu verwirklichen.

Der Autor ist ehemaliger Finanzminister.

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