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Gerechtigkeit in dieser Welt

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Im Rahmen der Vorbereitungen zum österreichischen Katholikentag 1983 obliegt es einem Arbeitskreis der Diözese Feldkirch, das Thema „Gesetz und Gewissen — Gerechtigkeit und Erbarmen” zu behandeln. Zu diesem Zwecke findet am 9. und 10. Oktober dieses Jahres eine Arbeitstagung statt, deren Aufgabe es ist, die Thematik inhaltlich näher einzugrenzen und zu konkretisieren. Im Februar 1983 soll dann eine Podiumsdiskussion (unter Teilnahme der Professoren Büchele, Furger und Mantl) abgehalten werden.

Angesichts der Gewalt- und Unrechtsverhältnisse in unserer Welt kommt der Forderung nach Verwirklichung von mehr Gerechtigkeit gerade in der heutigen Situation besonderes Gewicht zu, und es stellt sich für diesen Vorarlberger Arbeitskreis die zentrale Frage: Welchen Beitrag kann der christliche Glaube für das Streben nach Gerechtigkeit leisten? Worin kann das spezifisch Christliche des Einsatzes für Gerechtigkeit bestehen?

Diese Fragen sind in einer für das christliche Rechtsverständnis grundlegenden Perspektive zu sehen: dem Verhältnis von Gerechtigkeit und Erbarmen, in welchem sowohl die Spannung als auch die notwendige strukturelle Bezo-genheit von Rechts- und Liebesgebot gegenwärtig ist. Christliche Nächstenliebe überschreitet einerseits alle rechtlichen Dimensionen, macht aber das Recht keinesfalls überflüssig, sondern bildet vielmehr die Grundlage der Gerechtigkeit im christlichen Verständnis.

Soll nämlich das Liebesgebot wirksam werden, bedarf es des Eintretens für das Recht der Menschen, der Gestaltung bzw. Veränderung rechtlicher Strukturen.

Der vom Liebesgebot her motivierte Einsatz für die Gerechtigkeit bildet so gesehen einen wesentlichen Bestandteil der Verwirklichung der christlichen Botschaft.

Gerechtigkeit im Zeichen des Liebesgebotes stellt die Anforderung, in allen sozialen Bezügen für die unverfügbare Würde des Menschen, seine Freiheit, einzutreten. Dabei wäre es unzulässig, aus dem Evangelium kompakte Rechtskonzepte ableiten zu wollen. Unter Anerkennung der relativen Eigenständigkeit rechtlicher Strukturen gilt es vielmehr, die christliche Botschaft von Liebe und Gerechtigkeit als kritischen Impuls für die Auseinandersetzung mit dem Recht zu erweisen, was verlangt, inhumane Rechtsstrukturen aufzudecken; die Nöte der Menschen ernstzunehmen und zu bekämpfen; für die Menschenrechte einzutreten; auf sittliche Verantwortlichkeit und deren Berücksichtigung im Recht zu pochen und so weiter.

Was folgt aus diesem prinzipiellen Befund für die heutige österreichische Situation? Ohne den Diskussionen des Vorarlberger Arbeitskreises vorgreifen zu wollen, können beispielhaft folgende Fragenkomplexe genannt werden:

• Zur Verwirklichung der Menschenrechte in Österreich: Hier wäre zu prüfen, ob zwischen den formellen Menschenrechtsgarantien und ihrer Verwirklichung nicht allzuoft eine Kluft herrscht. Wie steht es um die Rechte derer, die trotz aller formellen Verbürgungen an den Rand der Gesellschaft gedrückt, sozial deklassiert sind? Welchen Anteil hat daran die fortschreitende „Monetarisie-rung” sämtlicher Lebensprozesse? Liegt es an einem auf egoistische Interessen- und Rechtsbehauptung gerichteten Anspruchsdenken, in dem für die christliche Solidarität mit den Gedemütigten und Erniedrigten kein Platz ist?

• Zur Umweltproblematik: Angesichts des szientistisch-techno-kratischen Umgangs mit der Welt und den damit verbundenen Bedrohungen stellt das Eintreten für den Schutz von Natur und Umwelt ein sehr wichtiges Bewäh-rungsfeld christlicher Gerechtigkeit, insbesondere der Solidarität mit künftigen Generationen dar.

• Zum Verhältnis von Recht und Verantwortungsethos: Die jüngsten Entwicklungen (Korruptionsskandale!) haben deutlich gemacht, daß unsere Rechtsordnung in einem nur unzureichenden Maße vom Ethos der Verantwortlichkeit gegenüber der Gesamtgesellschaft getragen ist und damit schwerwiegende Legitimationsprobleme verbunden sind. Aufgabe christlich motivierten Gerechtigkeitsverständnisses wäre es, nachdrücklich, auf den notwendigen Zusammenhang zwischen Recht und gelebtem, von Mitverantwortlichkeit geprägtem Ethos zu insistieren und für eine Verbesserung der Situation zu kämpfen. • Zur Dimension der Schuld im Recht: Die neuere Rechtsentwicklung ist durch die Tendenz geprägt, die Dimension der Schuld aus dem Recht zu verdrängen, zugunsten eines Rechtsverständnisses, das bloß auf die soziale Ange-paßtheit bzw. Unangepaßtheit menschlichen Handelns abstellt. Ohne einer problematischen „Moralisierung” des Rechts das Wort zu reden, ist doch zu fragen, ob damit nicht eine Preisgabe des Menschen als sittlich verantwortliche Person zugunsten eines durch das bloße soziale Funktionieren bestimmten Menschentyps stattfindet.

Diese und andere Fragen aufzugreifen, wird Aufgabe der Diskussionen des Vorarlberger Arbeitskreises sein. Hinter allem sollte trotz mancher Auffassungsunterschiede das Bewußtsein stehen, daß der Einsatz für die Gerechtigkeit Prüfstein der Glaubwürdigkeit der christlichen Botschaft ist.

Der Autor ist außerordentlicher Uruversitäts-professor für Rechtsphilosophie und Kirchenrecht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.

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