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Gerüstet für den nächsten Krieg

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„Wir zeigen genausowenig Verantwortungsbewußtsein wie unsere Pioniere, die den Indianern Feuerwasser verkauften!“, kritisierte soeben der ehemalige amerikanische Vizeaußenminister George W. Ball die Lieferung von hochmodernen Mittelstreckenraketen vom Typ „Pershing“ an Israel. Mit diesen Raketen kann der Judenstaat nicht nur erstmals das gesamte arabische Hinterland mit den Hauptstädten Kairo, Amman, Damaskus, Bagdad und Beirut bedrohen; die Hauptgefahr liegt in der möglichen Bestückung der Raketen mit Atomsprengköpfen. Wertet man diese Entwicklung auf dem Hintergrund der kürzlichen amerikanischen und ägyptischen Enthüllungen, daß Jerusalem — möglicherweise schon seit etwa einem Jahrfünft — über Eigenbau-Atomsprengköpfe vom Kaliber der Hiroshima Bombe verfüge, erkennt man erst ihre ganze Tragweite.

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„Wir zeigen genausowenig Verantwortungsbewußtsein wie unsere Pioniere, die den Indianern Feuerwasser verkauften!“, kritisierte soeben der ehemalige amerikanische Vizeaußenminister George W. Ball die Lieferung von hochmodernen Mittelstreckenraketen vom Typ „Pershing“ an Israel. Mit diesen Raketen kann der Judenstaat nicht nur erstmals das gesamte arabische Hinterland mit den Hauptstädten Kairo, Amman, Damaskus, Bagdad und Beirut bedrohen; die Hauptgefahr liegt in der möglichen Bestückung der Raketen mit Atomsprengköpfen. Wertet man diese Entwicklung auf dem Hintergrund der kürzlichen amerikanischen und ägyptischen Enthüllungen, daß Jerusalem — möglicherweise schon seit etwa einem Jahrfünft — über Eigenbau-Atomsprengköpfe vom Kaliber der Hiroshima Bombe verfüge, erkennt man erst ihre ganze Tragweite.

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Auch Kairo erhält amerikanische Waffen, und wer die Gefahr eines fünften arabisch-israelischen Krieges noch immer höher einschätzt als die Chance für einen dauerhaften Nahost-Frieden, für den wird die Apokalypse eines grauenhaften Völkermordes mit Hilfe amerikanischer Su-perwaffen auf beiden Seiten zu einer schrecklichen Zukunftsvision. Dies ist die Kehrseite der Medaille.

Ägyptens Verteidigungsminister Abdel Ghani el-Gamassy zufolge, übersteigt die Waffenstärke der ägyptischen Streitkräfte heute diejenige vor dem Ausbruch des „Ramadan-Krieges“ im Oktober 1973 um hundert Prozent. Seit dem Ende dieses Waffenganges, vor genau zwei Jahren, „investierten“ beide Seiten in den Rüstungswettlauf mehr als acht Milliarden Dollar. Im Laufe

Ägyptischer Verteidigungsminister Gamassy: Seit 1973 mehr als acht Milliarden Dollar

Photo: AP eines weiteren Jahres wollen die Araber in ihre Rüstung und die im Aufbau befindliche eigene Rüstungsindustrie weitere acht Milliarden stecken. Spätestens dann wird der Judenstaat kaum noch mithalten können. Schon jetzt fließen mehr als die Hälfte des israelischen Bruttosozialproduktes in die Rüstung, und das kleine Land treibt am Rande des Staatsbankrotts dahin.

Wie sich jetzt herauszustellen beginnt, beruhten die amerikanischen Vermittlungserfolge im Nahost-Konflikt vorwiegend auf Waffenlieferungszusagen an beide Seiten. Das Kalkül Kissingers mag dahin gegangen sein, man könne etwaige künftige bewaffnete Konflikte an diesem neuralgischen Punkt der Erdkugel leichter unter Kontrolle halten, wenn die potentiellen Kontrahenten alle beide von amerikanischen Waffen abhängig seien. Dieses Konzept wurde jedoch schon jetzt durchkreuzt durch die Waffenverkäufe anderer westücher Produzenten an nahöstliche Abnehmer. Hauptlieferanten ohne moralische Skrupeln sind dabei Großbritannien und Frankreich. Von den damit verbundenen politischen Gefahren will in London und Paris niemand etwas hören.

Ägypten kann sein stehendes Heer von derzeit 320.000 Mann binnen einer Woche auf eine Personalstärke von 820.000 Mann aufstocken. Die Luftwaffe verfügt über 560 Kampfflugzeuge aller Typen, einschließlich der hochmodernen sowjetischen Mig-23, und 80 Helikopter. Zahl und Ausbildungsstand der Piloten lassen jedoch noch immer sehr zu wünschen übrig. Von größerer Effektivität sind, wie sich im Oktoberkrieg 1973 herausstellte, die rund 4500 ägyptischen Panzer und Panzerfahrzeuge. Dieses Waffenarsenal wird ergänzt durch etwa 1500 Artilleriegeschütze verschiedener Kaliber, 150 „Sam“- und zwei Brigaden „Scud-B“-Raketen. Für den verständigungsbereiten Präsidenten es-Sadat mögen diese Waffen lediglich zur militärischen Absicherung seiner Friedenspolitik dienen. Für jeden seiner möglichen Nachfolger stellen sie eine ungeheure Versuchung dar, die Entscheidung noch einmal auf dem Schlachtfeld zu suchen.

Die Syrer sind womöglich noch furchterregender gerüstet. Ihre stehende Armee ist zwar kleiner und die Zahl mobilisierbarer Reservisten geringer, dafür haben die als „Preus-sen des Orients“ geltenden Damaszener aber die bessere Kampfmoral. Ihre Luftwaffe besteht heute aus 460 Kampfflugzeugen sowie 60 Helikoptern, ihre Bodenstreitkräfte verfügen unter anderem über 2000 Panzer.

Zu den 140.000 syrischen Soldaten kämen im Ernstfall 75.000 der inzwischen mit Damaskus verbündeten Jordanier mit 490 Panzern und 50 Kampfflugzeugen, und 112.000 Iraker mit 220 Kampfflugzeugen und 1400 Panzern. Nicht mitgerechnet ist die stärkste Militärmacht des Orients.

Persien, das im Ernstfall durchaus den Ausschlag geben könnte.

Israels einzige Chance scheint mehr und mehr die atomare Überlegenheit zu werden. Ob sie wirklich besteht, oder erst 1985 oder 1990 erreicht wird, wie manche westliche Experten glauben, könnte leicht zur Schlüsselfrage der nahöstlichen Entwicklung der nächsten Zeit werden.

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