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Gesamtschule durch die Hintertür der Lehrpläne

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Das Ziel des neuen Hauptschul-lehrplanes, der jüngst vom Unterrichtsministerium zur Begutachtung versandt wurde, ist die „Wortidentität“ mit dem Lehrplan für die Allgemeinbildenden höheren Schulen (AHS). So formuliert das ministerielle Begleitschreiben programmatisch, was dann im Lehrplanentwurf Tatsache ist. Künftig sollen also in allen Gegenständen für Hauptschule und AHS-Unterstufe wortwörtlich dieselben Lehrstoffe gelten.

Das von Minister Fred Sinowatz selbsternannte Ziel der Wortidentität hat jedenfalls einen Schönheitsfehler: Es fehlt ihm die gesetzliche Basis. Das Schulorg*anisationsgesetz, das übrigens im Verfassungsrang steht, definiert Hauptschule und AHS als zwei verschiedene Schultypen mit verschiedenen Zielsetzungen.

Als eine eigene Aufgabe der Hauptschule wird genannt, „geeigneten“ Schülern den Ubertritt in die höhere Schule zu ermöglichen. Auch an diese - wohl von niemandem in Frage gestellte - Bestimmung des Schulor-ganisationsgesetzes hält sich der ministerielle Entwurf offensichtlich nicht, indem er diesen Bildungsauftrag auf alle Schüler der Hauptschule ausdehnt.

Ein fortschreitender Prozeß“

Entspricht es den vorhandenen Begabungen und kann es sinnvoll sein, alle Zehn- bis Vierzehnjährigen über denselben Lehrplanleisten zu schlagen? Wäre es nicht gerade die spezifische Aufgabe des (zu reformierenden) zweiten Klassenzuges einer Hauptschule, intellektuell weniger begabte Schüler in ihren jeweiligen Talenten zu fördern und ihnen eine

lebens- und berufsorientierte Ausbildung zu vermitteln?

Es ist klar, daß die Lehrplangleichheit einen unerläßlichen Zwischenschritt auf dem Weg zur Integrierten Gesamtschule als der Einheitsschule aller Zehn- bis Vierzehnjährigen darstellt. So spricht das ministerielle Begleitschreiben bereits von einem „fortschreitenden Prozeß“. Die einzige inhaltliche Alternative zur fortschreitenden Lehrplanangleichung bildet meines Wissens das Modell des Wiener Katholischen Familienverbandes, das für den zweiten Zweig der Hauptschule (ab der dritten Klasse) einen eigenen Lehrplan vorsieht.

Nicht nur Gremien kann man aufblähen, bis der Aufblähende darin die Mehrheit hat, sondern auch Lehrpläne können mit (neuen) Prinzipien und Aufgaben befrachtet werden, bis die neuen die alten dominieren. Daß solcherart überfrachtete Lehrpläne logisch und praktisch nicht mehr nachzuvollziehen sind, sei an Hand des Hauptschulentwurfes demonstriert.

Dieser enthält sowohl „didaktische Grundsätze“ als auch „Unterrichtsprinzipien“, etwa Politische Bildung. Beide sind aber nur verschiedene Worte für ein und dieselbe Sache. Denn „didaktisch“ bedeutet dasselbe wie „Unterricht-“, und „Prinzip“ dasselbe wie „Grundsatz“. Um der Logik die Ehre zu geben, kann auch ein Prinzip zugleich Prinzipiiertes sein: Verkehrserziehung ist ein für alle Fächer gültiges Unterrichtsprinzip und zugleich ein eigenes Unterrichtsfach. Zudem werden im Entwurf einigen Gegenständen noch zusätzlich eigene didaktische Grundsätze angehängt. Ein pädagogisch motivierter Lehrer wird einen solchen Lehrplan Papier sein lassen.

Nicht minder aufschlußreich ist der vorgelegte heue Volksschullehr-plan, der eine nicht unwesentliche

Stundenkürzung vorsieht. Im Pflichtgegenstand „Sachunterricht“ beispielsweise, der Heimat- und Naturkunde, Geschichte und Sozialkunde, Geographie und Wirtschaftskunde, Biologie und Umweltkunde sowie Naturlehre zu umfassen hat, wird zumindest für die vierte Klasse eine Stunde gestrichen.

... und zur Fünf-Tage-Schule

Dieser exemplarischen Stundenstreichung steht der unveränderte Lehrstoff gegenüber. Wenn aber nicht mehr alle wesentlichen Lehrinhalte im Unterricht gebracht werden können, ist ein Bildungs- und Niveauverlust die logisch zwingende Folge. Die Situation wird noch verschärft, da im Sachunterricht auch neue Unterrichtsprinzipien wie Politische Bildung zu berücksichtigen sind, was ein Mehr an Unterrichtszeit erfordern würde.

Was also ist das Ziel der Vorlage, da es kein pädagogisch vertretbares ist? Das Ministerium ist bemüht, eine Vorbedingung für die Einführung der Fünf-Tage-Kurzschule zu erfüllen: austauschbare Lehrpläne. Austauschbar sind nur solche Stundenzahlen, die gleich gut auf fünf oder sechs Schultage verteilt werden können.

Bürgermeister Leopold Gratz weiß, warum er auf die neuen Volks-schullehrpläne des Ministeriums wartet, bevor er sich einmal klar zur wahlweisen Fünf-Tage-Kurzschule in Wien äußert.

Universitätslektor

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