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Geschäft mit der Sonne

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Deutschlands Ostseeküste zwischen Flensburg und Lübeck, «inst wegen ihrer Naturidylle gepriesen, ist heute die größte Baustelle der Bundesrepublik. Die alte Vorstellung von Wäldern, die bis an den Sandstrand reichen, von bunten Fischerdörfern, Vogelschutzrevieren und alten Leuchttürmen — sie stimmt großenteils nicht mehr. Wo einst Kühe auf der Weide grasten oder Fischer ihre Netze trockneten, lärmen heute Baumaschinen, ragen Baukräne in den Himmel, schießen hinter den Dünen gigantische Betonburgen aus dem Boden. Und das nicht nur in Deutschland. Bauunternehmer machen Millionengewinne mit der Errichtung von Ferien-Appartementhochhäusern. Denn immer mehr Europäer legen ihr überschüssiges Geld — um es vor der Inflation und der Steuer zu retten — in Ferienwohnungen an, in protzigen Villen, Berghütten, Strandbungalows oder in Eigentumsappartements.

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Deutschlands Ostseeküste zwischen Flensburg und Lübeck, «inst wegen ihrer Naturidylle gepriesen, ist heute die größte Baustelle der Bundesrepublik. Die alte Vorstellung von Wäldern, die bis an den Sandstrand reichen, von bunten Fischerdörfern, Vogelschutzrevieren und alten Leuchttürmen — sie stimmt großenteils nicht mehr. Wo einst Kühe auf der Weide grasten oder Fischer ihre Netze trockneten, lärmen heute Baumaschinen, ragen Baukräne in den Himmel, schießen hinter den Dünen gigantische Betonburgen aus dem Boden. Und das nicht nur in Deutschland. Bauunternehmer machen Millionengewinne mit der Errichtung von Ferien-Appartementhochhäusern. Denn immer mehr Europäer legen ihr überschüssiges Geld — um es vor der Inflation und der Steuer zu retten — in Ferienwohnungen an, in protzigen Villen, Berghütten, Strandbungalows oder in Eigentumsappartements.

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Allein in den letzten drei Jahren zogen an der deutschen Ostseeküste etwa 50.000 Käufer in ihre Ferienwohnungen. In Travemünde, Heiligenhafen und nordöstlich von Kiel entstanden oder entstehen ganze Ferienparks, jeder mit 4000 bis 7000 Betten. Auch Deutschlands Nordseeküste bleibt von der Bauwut nicht verschont.

Noch größer ist der Andrang von Kapitalanlegern an den Sonnenküsten Spaniens und Italiens. Im südspanischen Torremolinos erheben sich in langer Reihe einförmige Wohntürme, deren Stockwerke als Eigentumsappartements an Ausländer verkauft wurden. Ähnliche Betonriesen säumen die Ufer der Costa Bianca, der italienischen Adria, der Mittelmeerinsel Mallorca oder des atlantischen Ferienzentrums Teneriffa.

Wohlstandsbürger kaufen die Appartements, um sie durch Vermittlung von Reiseunternehmen an Touristen zu vermieten oder auch, um hier als Dauerurlauber den Lebensabend oder den Winter in gesundem Klima zu., yerbringen. Man schätzt, daß allein 200.000 bis 300.000 Deutsche außer ihrem eigenen Quartier zu Hause Zweit- und Drittwohnungen in aller Welt ihr eigen nennen — zwischen Ostseeküste und Tunesien, zwischen dem Bayerischen Wald und den Bahamas.

Als Regel kann gelten: Je größer die Entfernung zwischen Erst- und Zweitwohnung, desto häufiger überwiegt der Rendite-Gesichtspunkt, desto mehr also ist die Zweitwohnung dazu bestimmt, durch Vermietung Geld einzubringen.

Der Handel mit Ferienwohnungen hat — so scheint es — eine gute Zukunft. Vieles spricht dafür, daß der Urlaub in den eigenen vier Wänden, der sogenannte Investitionsurlaub, an Bedeutung gewinnt. Die Leute verdienen mehr Geld, und sie müssen dafür im Durchschnitt weniger arbeiten. Die Pensionsgrenze sinkt, die Freizeit nimmt zu. Bis 1985 werden nach Meinung von Futurologen acht bis zehn Wochen Urlaub im Jahr die Regel sein. Hinzu kommt, daß die südlichen Gefilde mit niedrigen Grundstückspreisen locken und daß die Inflation zur Flucht in Sachwerte ermuntert. Anderseits verteuern und verschlechtern sich auch in den Urlaubsländern die Dienstleistungen. All diese Probleme löst offenbar der Urlaub in den eigenen vier Wänden.

So rosig wird die Lage jedenfalls von denen beurteilt, die in dieser Branche ihr Geld verdienen. Freilich: In vielen Gebieten wurde bereits am Bedarf vorbeigebaut. So warten an der Costa Brava, der Costa del Sol, der Costa Dorada oder an der Cöte d'Azur zahlreiche Häuser und Wohnungen auf einen Käufer, ebenso in der portugiesischen Algarve oder auf Gran Canaria und Teneriffa. Auch in der Bundesrepublik — vornehmlich an der Ostsee und im Harz — stehen Betten leer. Die Aussicht auf Steuergewinn machte offensichtlich blind gegenüber den Bedürfnissen des Marktes.

Nach Ansicht von Horst F. G. Angermann, Präsident des Bundesverbandes Ring Deutscher Makler, wird die Entwicklung in den kommenden Jahren unterschiedlich verlaufen: „Während man in einigen Gebieten erkannt hat, daß man zu-

viel gebaut hat und nun erst verkaufen muß, notfalls mit Verlust, gibt es nach wie vor Gebiete, wo munter drauflos gebaut wird, und zwar ohne Rücksicht auf all die Dinge, auf die jeder Kaufmann eigentlich zu achten hat, nämlich die Bedürfnisse des Marktes; zweitens aber auch ohne Rücksicht auf die Landschaft, die in einigen Gegenden zugebaut wird und dadurch ihren bisherigen Reiz verliert.“

Der Weg zum Wohneigentum, besonders an fremder Küste, ist mit Risiken gepflastert; dafür sorgt schon die Branche selbst. Profitjäger mit abenteuerlichem Geschäftsgebaren brachten sich um ihren Ruf und ihre Kunden ums Geld. So mancher Landaufkäufer übernahm sich und ging in Konkurs. Käufer, die ihren Strandbungalow bereits vor der Umschreibung bezahlt hatten, verloren Haus und Kapital. Halbfertige Hotelgiganten stehen als Pleitedenkmäler in der Landschaft. Manchmal reichte das Geld gerade noch, um die Fundamente fertigzustellen.

Berühmt wurde der Konkurs des Immobilienhändlers Moos im Jahre 1967. Moos ließ sich durch Anfangserfolge dazu verleiten, in Spanien mehr Land aufzukaufen, als er verdauen konnte. Der Absatz stockte und Tausende von Kunden verloren ihre Ersparnisse. Wie Moos erging es zahlreichen weiteren Ferienhaus-und Ferienhausfondsgesellschaften.

Der Kölner Immobilienverkäufer Jürgen Amann, der sich selbst am Ferienwohnungsgeschäft beteiligt, vertritt die Ansicht, daß nur Trägergesellschaften, die über ein Eigenka-

pital von mehreren Millionen DM verfügen, auch eine gewisse Gewähr dafür bieten, daß sie ihre Objekte planmäßig zu Ende führen.

In dem Maße, wie das Ferienhausgeschäft blühte, witterten aber auch dunkle Existenzen den Boom. Sie verkauften mit fingierten Grundverträgen Parzellen, die sie bereits anderweitig verkauft hatten. Oder sie verhökerten gegen Anzahlung Bungalows und Appartements, die nur auf dem Reißbrett existierten, um

sich dann still vom Geschäft zurückzuziehen. Andere ließen vor Besichtigungen am kahlen Strand Pflanzen und Palmen in Kübeln in den Sand eingraben, um eine nicht vorhandene Vegetation vorzutäuschen.

Auch nicht eingehaltene Renditeversprechen schadeten dem Ruf der Branche. Pensionäre, die durch Vermieten ihres Eigenappartements in Spanien ihren Lebensunterhalt bestreiten wollten, waren schließlich froh, wenn sie wenigsten die laufenden Unkosten für Verwaltung, Steuern usw. wieder hereinbekamen. Renditegarantieren von 10 bis 14 v. H. entpuppen sich meist als glatter Werbeschwindel. Sie erweisen sich als irreal, sobald derÄustrom an Käufern versiegt oder die Touristen ausbleiben.

Ein bekanntes Ferienhausunternehmen garantiert da seinen Käufern per Urkunde eine Jahresrendite von 12 v. H., und das gleich 20 Jahre lang. Auf die Frage, was aus dieser Rendite wird, wenn einmal der Touristenstrom ausbleibt, erklärt man bei der Firma: Dann müßten wir eben mit den Leuten reden. Aber das wird nie vorkommen. Die Attraktivität der Appartements in Spanien würde schon durch den umfangreichen Freizeitservice garantiert, der mitgeliefert wird: Schwimmbad, Tennis, Minigolf, Reiten usw. Doch diese Zutaten liefert auch die Konkurrenz immer häufiger mit. Wer garantiert im übrigen, daß die Firma nach 20 Jahren überhaupt noch existiert?

Schlimmer noch sind für manchen Kunden bauliche Mängel, die sie schon bald nach Bezug ihres Eigenheimes feststellen müssen; tropfende Decken, brüchige oder feuchte Wände, schlechte Isolation und Installation, Fliesen, die von den Wänden fallen... Das ist zwar nicht die Regel, aber eine doch nicht seltene Ausnahme.

Größter deutscher Anbieter von Ferienhäusern ist mit einem Marktanteil von etwa 50 v. H. die Stuttgarter Contracta AG. Das Unternehmen schloß im letzten Jahr Kaufverträge von mehr als 200 Millionen DM ab und erzielte 3,2 Millionen DM Gewinn. Seit Gründung der Contracta im Jahre 1959 wurden in acht Ländern mehr als 16.000 Objekte an den Mann gebracht, davon 9000 Wohnungen allein in Spanien.

Gründer, Chef und Starverkäufer der Contracta war bis zu seinem Ausscheiden vor etwa einem Jahr Rudolf Ratzel. Der frühere Verkaufschef wandte ausgeklügelte Tricks an, um seine Sonnenhäuser unter die Leute zu bringen. Sein oberster Grundsatz: Die Leute müssen sehen, was sie kaufen. Verkäufe vom Schreibtisch aus gab es für ihn nicht. Mit gecharterten Boeings transportierte' er die Interessenten zur Besichtigung an Ort

und Stelle. Sie wurden in First-class-Hotels untergebracht, fürstlich bewirtet und in abendlichen Lagebesprechungen bei gutem Wein für den Kauf präpariert.

Ratzel und seine Helfer nahmen sich, in richtiger Einschätzung der Lage, besonders der Ehefrauen an. Je nach Individualität wurden den potentiellen Käufern die gesundheitlichen oder die steuerlichen Vorteile vor Augen geführt, das Prestigedenken oder die Sorge vor der politischen Zukunft Deutschlands angesprochen.

Der Erfolg solcher Verkaufsbemühungen blieb nicht aus: Allein 1972 unterschrieben fast 90 v. H. der Teilnehmer von Besichtigungsreisen einen Kontrakt. Ihre größten Triumphe erlebten die fliegenden Händler, wenn die Kaufabschlüsse

bereits im Flugzeug, noch vor der Landung unterzeichnet wurden.

Als die Kapitalmehrheit der Firma kürzlich in amerikanische Hände kam, änderten sich die Verkaufsmethoden. Etwa 30 bis 40 v. H. der Interessenten schließen jetzt — oft nach einer Filmvorführung — bereits in Deutschland einen Vorvertrag ab, ehe sie an einer Besichtigungsreise teilnehmen. Entspricht das Feriendomizil dann nicht ihren Erwartungen, so haben sie grund-

sätzlich die Möglichkeit zum Umtausch, nicht aber mehr zum Rücktritt. In Stuttgart gibt man aber beschwichtigende Erklärungen ab: „Findet jemand wirklich nicht, was er haben will, so lassen wir ihn wieder heraus aus dem Verteag. Wir drehen keinem den Hals ab.“

Makler-Präsident Angermann warnt vor übereilten Kaufentschlüssen: „Unendlich viele kommen zu einem Auslandsgrundstück einfach dadurch, daß sie in Urlaubsstimmung unter dem Eindruck von Sonne, einer wunderschönen Landschaft und dem Flair der Ferien sich zu einem Entschluß durchringen, den sie meistens schon sehr bald bereuen, nämlich dann, wenn sie erkennen, daß sie nunmehr an ein Ferienziel so gut wie lebenslänglich gebunden sind und daß sie dieses Ferienziel meistens nicht so vermieten können, wie man es ihnen vorher gesagt hat.“

Im übrigen sollte niemand im Ausland ein Grundstück kaufen, ohne sich zuvor über das fremde Immobilienrecht informiert zu haben. Angermann warnt: „Gerade in Spanien sind schon unzählige Fälle bekanntgeworden, daß Deutsche ein Haus gekauft und bezahlt haben, ohne Eigentümer geworden zu sein, weil sie — um die spanische Grunderwerbssteuer zu sparen — nicht in den Besitz der ,Escritura', der Besitzurkunde, gelangten.“

Ein wichtiger Kaufanreiz ist für viele, besonders für Gutverdienende, die Aussicht auf Steuergewinn. Die Immobilienhändler sparen denn auch nicht mit dem Hinweis auf hohe Sonderabschreibungen.

Freilich: Was Herr Müller in den ersten Jahren dank der hohen Sonderabschreibungen an Steuern spart, muß er später mehr zahlen.

Schlimm wird es aber, wenn die Abschreibungsgesellschaft pleite macht und das Hochhaus nicht fertig wird. Dann gehen alle Steuervorteile verloren, und der arme Kommanditist sieht nicht nur seinen Traum von der Ferienwohnung zerrinnen, er verliert wahrscheinlich auch seine Kapitalanlage und muß auf alle Steuervorteile verzichten.

In der Ferienhausbranche ist also längst nicht alles Gold, was in den Prospekten glänzt. Da der Wohlstand breite Bevölkerungsschichten erfaßt hat, wächst naturgemäß die Zahl geschäftsunerfahrener Käufer, die den unseriösen Vertretern der Branche das Leben leichtmachen.

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