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Geschichte der Umwelt

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Ein Fremder wird den Wienfluß möglicherweise vergeblich suchen: Man hat ihn kanalisiert, eingeengt und sogar zugedeckt. Seinem Aussehen nach ist er eher ein Bächlein, Flüßchen, offener Kanal. Alle paar Jahre aber wird er innerhalb von Stunden zur reißenden Flut und schießt tosend braun und gefährlich durch die Stadt.

Die Bewohner mußten sich jahrhundertelang in vielerlei Weise mit dem Gewässer auseinandersetzen. Fluß und Flußlandschaft wurden dabei von der Mündung aufwärts förmlich aufgefressen von der ständig wachsenden Stadt.

Heute sind gerade noch die kleinen Zuflüsse im Wienerwald als natürliche Gewässer zu bezeichnen, denn eine lange, geschlossene Siedlungskette reicht vom Westen Wiens aufwärts bis zum Talschluß bei Rekawinkel. So ist der Wienfluß ein besonders eindrucksvolles Lehrstück für das Verhältnis Mensch - Gewässer.

Wie haben wir uns den Wienfluß ab dem zwölften Jahrhundert vorzustellen? Zunächst noch recht lieblich, mit Inseln, kleinen Nebenarmen, Auen. Hochwässer verrinnen, ohne wirklich gefährlich zu werden. Der bescheidene Verkehr nutzt seichte Furten durch den Fluß, das Vieh kommt zur Tränke. Die Bauern leben gut, die Stadt muß versorgt werden.

Seit 1100 gibt es schon eine erste Nutzung der Wasserkraft. Zugleich mit der intensiveren Landnutzung entstehen zahlreiche Mühlen an der Wien.

Bis zum 18. Jahrhundert bietet sich noch das Bild einer ausgewogenen Kulturlandschaft am gesamten Wienfluß...

In den 200 Jahren bis zur Regulierung vollzog sich die Einbeziehung, ja Umklammerung des Wientales durch die Stadt bis herauf nach Hütteldorf.

Zunächst rückten die Vorstädte Wieden, Margareten, Rein-prechtsdorf, Mariahilf und Gumpendorf ganz nahe an den Fluß. Uberall entstanden neue Gewerbebetriebe, die später in Fabriken umgewandelt wurden. Gärten, Felder und Wiesen traten den Rückzug nach Westen an und machten Platz für schlechte Wohnquartiere.

Wiens Bevölkerung explodierte, das frühere Bauernland erhielt ein Rasternetz von neuen Straßen und Wohnblocks. Der Wienfluß war kein Fluß mehr, sondern ein schmaler Kanal.

Katastrophale Hochwässer kamen häufiger vom stärker gerodeten Wienerwald herab, überschwemmten meterhoch die Uferhäuser, vernichteten die Wehre, zerstörten die neuen Brücken.

Die Mühlbäche, an denen Färber, Bleicher, Gerber und Wäscher ihrer Arbeit nachgingen, wurden zu stinkenden, gefährlichen Kloaken, eine Gefahr für das Grundwasser, das in Hausbrunnen geschöpft werden mußte. Typhus, Cholera und Ruhr waren am Wienfluß ständig zu Gast.

Als um 1830 die Cholera wieder einmal verheerend wütete, entschloß man sich zum Bau von beiderseitigen — später geschlossenen — Abwässergerinnen, um den Fluß selbst rein zu halten. Wenn Hochwasser kam, war der Schmutz dann doch wieder im offenen Fluß, die Häuser blieben Seuchenherde. Mit wissenschaftlicher Akribie hat dies der große Geologe Eduard Suess Haus für Haus nachgewiesen und mit diesem Argument den Bau der ersten Hochquellwasserleitung durchsetzen können. Übrigens: Bauvorhaben in der Größenordnung der Cholerakanäle 1830 oder der Hochquellwasserleitung 1870 dienten auch der Beschäftigung zahlloser armer Arbeiter.

„Wer von einer der Brücken hinunterzuschauen den Mut hat, wird sich überzeugen, daß ein bedeutender Teil des Unrates nicht in die Donau gelangt, sondern gemütlich im Flußbett liegen bleibt, bis ein gnädiges Unwetter etwas davon wegträgt.“ So berichtet ein Beobachter von der Verseuchung und Verschmutzung der Wien.

Bis zum Beginn der eigentlichen Regulierungsarbeiten 1894 entstand eine Vielzahl von Projekten mit teilweise recht kuriosen Ideen... Die kühnsten Vorstellungen: Umleitung des Wienflusses über Hetzendorf zur Lie-sing und Zuschüttung des bisherigen Bettes, vollständige Einwöl-bung; Ausbau des Wienflusses für die Schiffahrt mit Schraubendampfern bis Purkersdorf...

1891 kam es zur Einigung über das gewaltige Bauvorhaben.

Von Weidlingau bis zur Mündung erstreckt sich heute die 17 Kilometer lange Regulierungsstrecke. Sie beginnt mit sieben mächtigen Staubecken. Sollte eine katastrophale Hochwasserwelle herankommen, könnten sie zusammen etwa zwei Drittel der Wassermenge zurückhalten. Der Rest würde dann ohne Gefahr für Wien abfließen.

Wer auf der Westausfahrt von Wien die rund zwei Kilometer an den Becken entlangfährt, bekommt einen guten Eindruck von den immerhin 37 Hektar umfassenden Anlagen. Freilich ging mit dem Bau auch die letzte große Aulandschaft am Wienfluß verloren — nur der Auhof erinnert noch daran.

Auszug aus „Umwelterziehung“ 5/85. In diesem Heft wird ein Wettbewerb zum Thema „Umwelt hat Geschichte“ ausgeschrieben.

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