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Geschichte Wiens
Das ist eine kurze, ganz eng zusammengedrückte Geschichte Wiens. Und zwar aus der Heurigenperspektive. So habe ich sie zumindest auf der letzten Messe in der Weinkost dem Mister Blackhill aus Boston erzählt. Er wollte Kleinigkeiten für seine Hausapotheke einkaufen. Wir saßen, wie gesagt, in der Weinkost, nur vertrage ich nicht viel, und nach einem Vierterl bin ich fertig. Aber es war ziemlich gleichgültig, was ich Mister Blackhill erzählte. Er war sehr zufrieden mit mir. Und ein größerer „Abschluß" kam zustande.
also, Mister, wie so um
Christi Geburt herum Wien zu bestehen begann, war dort Marc Aurel die einzige Sehenswürdigkeit. Aber vom Riesenrad, von der Grippe, vom .Stock im Eisen' noch gar keine Idee... Die Fiaker fuhren damals mit vier harben Rapperln, dafür aber ohne Grundtaxe. Die .Zeugerln' hießen .Quadriga und waren recht ungeschickt gebaut. Das Schönste aber waren die Bacchantenzüge. Vor den Toren des Städtchens Vindo-bona, im Dörfchen Dublingum, dem heutigen Döbling, befand sich eine kleine Heurigenschenke. Von dort aus zogen die .Bacchanten', die Angeheiterten', wie man sie nannte, nächtlicherweile durch die Stadt. In ihrer Begleitung befanden sich verwilderte, ausgelassene Wäschermädel, die sogenannten .Mänaden'. Beim Heurigen aber saß der wackere römische Hauptmann Pamphilus, der sich später in Wien niederließ und Stammvater aller Wiener wurde. Er war schon pensioniert, wollte seine Ruhe haben und rauchte eine der Diana geweihte Jungfrauenzigarre. (Die spätere .Virginia'.) Er trank sein Vierterl, seine ,amphora\ und schimpfte auf Kaiser Nero: ,... jaja, der Nero, der Lauser. Hätt' ihn die Frau Mama, die Agrippina, net so verwöhnt
Sein erstes Strandbad hingegen - Klosterneuburg - erhielt Wien viel später von Herzog Leopold, dem Babenberger. Der hatte die Gewohnheit, Schleier und andere Kleidungsstücke seiner Gemahlin im Lande zu verstreuen, und wo er dann sowas wiederfand, dort wurde rasch irgend etwas hingebaut. So auch Klosterneuburg. Gleichzeitig pflanzten die fleißigen Hunnen im benachbarten Burgenland den guten Karlowit-zer und Rüster, wohingegen ihre Versuche, auch die Wiener zu pflanzen, fehlschlugen.
Dann war ein paar Jahrzehnte lang in Wien und Umgebung ein großer Wirbel, das sogenannte Faustrecht oder der .Palla-watsch'. Die Zahl derer, die wegen verschiedener Raufexzesse in Schutzhaft genommen werden mußten, stieg ins Ungeheure, und die Wiener Redewendung ,Mir wem kan Richter brauchen' soll damals entstanden sein.
Etwas ruhiger wurde es erst zur Zeit der Wiener Türkenbelagerung. Die Wiener trauten sich nicht recht ins Grüne hinaus, und die türkischen Troßknechte tummelten sich auf der Hohen Warte. Auch litt man damals in Wien an unreinem Teint. Von wegen der Pest. Die kleine Heurigenschenke ,Zum Roßschweif' war schwach besucht. Dort saß der brave Herr Adam Sebastian Pürckhmayr, Urneffe des wackeren Pamphilus, und ließ sich vom Heurigenquartett, dem ewig benebelten Augustin, auf dem Dudelsack was vorraunzen. Der Augustin war ausgeglichen. Platzte unversehens in der Nähe eine türkische Mine, so pflegte er zu sagen: .G'schossen hams'. Womit er die Türken meinte. Er war ein lieber Kerl, nur daß er in Pestgruben zu übernachten pflegte. Aber Künstler haben ihre Eigenheiten. Der türkische Groß- ( vezier, Kara Mustapha, hätte gern Wien erobert und wollte das ganze Geschäft übernehmen. Leider erzählte er alles der Frau Blasch-ke, diese wieder alles der Frau So-pherl, und die Wiener waren gewarnt. Sie machten einen herzigen Ausfall und eroberten das Kipfel und den Kaffee, welche Beutestücke aus Pietät heute noch in Gebrauch stehen. Als die Türken bald darauf abgezogen waren, mußte die Stadt Wien .gründlich' gemacht werden, solchen Mist und Krawall hatten die Belagerer gemacht. Dafür rief ihnen aber auch der liebe Augustin von der Stadtmauer aus nach: .Gengan S' z'haus und sagen S\ es war nix!'
Maria Theresia war eine kreuzbrave, fleißige, riegelsame Frau. Nur ein bisserl streng. Zum Beispiel, das gemeinsame Motorrad-Weekend der jungen Leute konnte sie auf den Tod nicht ausstehen. Gegen den Heurigen aber hatte sie soweit nichts einzuwenden. Und der Prinz Eugen, der dann zur Regierung kam, schmiß die Türken überhaupt zum Land hinaus und verbrachte den Rest seines Lebens als stiller und solider Zimmerherr im Belvedere...
Etwas später war dann eine sehr stiere Heurigenzeit, denn der Exzellenzherr, der Metternich Clemens, hatte den Stimmungssängern alle Liedertexte konfisziert. Dafür aber erschien verhältnismäßig bald, an einem schönen Sommernachmittag des Jahres 1809, ein Deutschmeister beim Heurigen und erzählte, daß er soeben mit seinen Kollegen einen gewissen Napoleon in der nahegelegenen Lobau entsetzlich gehaut habe. Da freute sich der Herr von Birkmeyer, Urenkel Pürckhmayrs und Rechnungsrat in Pension.
Als aber bald darauf der Herr von Schubert starb und das Drei-mäderlhaus hinterließ und sich der Herr von Raimund erschoß, da sollen alle Heurigensänger geweint haben, denn die beiden Herren waren recht begabte Leute und gar nicht stolz gewesen. Und gewissermaßen ihre Kollegen.
Wirklich fesch wurde es aber, als Alexander Girardi mit dem Fiakerlied die Wiener Weltausstellung eröffnete. Da stand den neunziger Jahren und der goldenen Backhendelzeit des Wiener Burgtheaters nichts mehr im Wege. Johann Strauß dirigierte gerecht, milde und fesch. Leider nur artete das Ganze bald in die Vorkriegszeit aus. Und derzeit soll beim Heurigen nicht so viel los sein. Es heißt, weil die Leute kein Geld haben..."
Aus: STEIF WEHT DIE BRISE VON DER POSTSPARKASSA. Von Peter Hammerschlag. Paul Zsolnay Verlag, Wien-Hamburg 1984.
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