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Geschieden von der Kirche

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In den orthodoxen Kirchen wird das Ehegelübde „bis der Tod euch scheidet“ nicht als physischer, sondern als moralischer Tod interpretiert. Pater Häring geht der Frage nach, ob wir von diesem Modell lernen können, ohne an der Unauflöslichkeit der Ehe zu rütteln.

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In den orthodoxen Kirchen wird das Ehegelübde „bis der Tod euch scheidet“ nicht als physischer, sondern als moralischer Tod interpretiert. Pater Häring geht der Frage nach, ob wir von diesem Modell lernen können, ohne an der Unauflöslichkeit der Ehe zu rütteln.

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Unter dem Titel „Ausweglos?“ erschien im Herder Verlag vor kurzem ein Buch, das für viele Menschen Ermutigung und neue Hoffnung bedeutet. Schon der Name des Verfassers Bernhard Häring verleiht diesem Büchlein von nur 96 Seiten eine besondere Bedeutung. Dies kommt auch im Vorwort des Verfassers selbst zum Ausdruck, in dem es heißt: „Die heutige Situation fordert mich als Emeritus, nach fünfzigjähriger Tätigkeit als Moraltheologe und Seelsorger, mein vielleicht letztes und ermutigendes Wort zu sagen, aus Mitgefühl mit den Geschiedenen, aber auch mit den Bischöfen und seelsorglich Tätigen. Vielleicht gehört dieses Wort der Ermutigung und des Mitgefühls zu meiner nächsten Vorbereitung auf das Sterben, im zuversichtlichen Blick auf die Verheißung des Herrn:

.Selig die Barmherzigen, denn sie werden Erbarmen finden' (Mt. 5,7)“.

Bernhard Häring weiß um die Not vieler wiederverheirateter Geschiedener und um die Ausweglosigkeit, in der sie sich weithin befinden. Er schildert im vorliegenden Buch diese Not an konkreten Beispielen, die er selbst als Seelsorger in der Begegnung mit vielen Menschen erlebte. Häring beklagt, daß in manchen kirchlichen Ehegerichten ein kalter, bürokratischer Wind weht, der dem Evangelium direkt entgegengesetzt sei.

Kirchenfremdheit und Kirchen-austritte haben seiner Meinung nach im Rigorismus und in der bürokratischen Kälte in fast allen Ehefragen eine ihrer Hauptursachen. Die Ehegerichte, die den Nichtbestand einer Ehe feststellen, sind weithin überfordert, sodaß eine Entscheidung oft erst nach vielen Jahren erfolgt. Da die Ehenichtigkeitsgründe im neuen Kirchenrecht vor allem im psychischen Bereich stark erweitert wurden, dürfte eine große Anzahl von Ehen überhaupt nicht zustandegekommen sein. Dies muß jedoch in einem Eheprozeß festgestellt werden.

Martha Wegan, Advokatin am höchsten kirchlichen Ehegericht in Rom, erklärte, daß ihrer Ansicht nach dreißig Prozent aller zivil Geschiedenen ihre Ehe kirchlich als nichtig erklären lassen könnten. Es wäre gewiß übertrieben, das ganze Problem der wiederverheirateten Geschiedenen nur in der Zulassung zum Sakramentenempfang zu sehen. Man sollte dieses Problem aber auch nicht so verniedlichen, als ob das nicht so wichtig wäre. Es gelingt nur selten, den Betroffenen das Bewußtsein zu nehmen, daß sie als Katholiken zweiter Klasse gelten. Viele gläubige Katholiken fühlen sich von der Kirche im Stich gelassen und vermissen in der Kirche den Erweis der Güte und Barmherzigkeit Christi.

Häring verweist in seinem Buch darauf, daß sich die Gestalt von Ehe und Familie grundlegend verändert hat. In der bäuerlichen und handwerklichen Welt war die Ehe eingebettet in die Verwandtschaft, die Dorfgemeinschaf t und in ein Milieu, das vom Glauben geprägt war. Die Ehe ist heute ungeschützt, da fast alle Stützen wegfielen. Vom Ehepartner wird heute außerdem viel mehr erwartet als früher. Die Ehe ist anspruchsvoller und schwieriger

geworden, da sie fast nur in der gegenseitigen Beziehung von Mann und Frau wurzelt. Viele Eheleute sind diesen Ansprüchen nicht gewachsen, sodaß die Zahl der Ehescheidungen und damit auch die Anzahl der wiederverheirateten Geschiedenen sicher noch wachsen wird.

Der Autor hält auch in dieser Situation grundsätzlich an der unauflöslichen Ehe fest. Er betrachtet die Unauflöslichkeit der Ehe nicht bloß als ein unverbindliches Ideal, sondern als ein „den Christen voll und ganz in die Pflicht nehmendes Zielgebot“ . Ein gesetzlicher Rigorismus würde nach Häring jedoch den Zugang zu Gabe und Auftrag in unauflöslicher Treue im Ehebund nur verdecken. Die Gnade muß den Primat vor dem Gesetz haben, meint Häring. Eine entscheidende Rolle mißt er dem sakramentalen Verständnis der Ehe bei. Die Eheleute sollten sich der sakramentalen Würde ihrer Ehe viel mehr bewußt sein.

Unter Oikonomia Spiritualität versteht Bernhard Häring „die ganze Heilsordnung Gottes als des gütigen Hausvaters und eine Spiritualität, die geprägt ist vom Lobpreis des allbarmherzigen .Haushalters' der Kirche, vom Vertrauen auf den Guten Hirten, der jeden und jede bei ihrem Namen kennt und ruft und notfalls auch einmal die 99 eine Weile zurückläßt und in Erstaunen setzt, um einem einzigen verlorenen

Schäflein liebend, heilend nachzugehen.“

„Diese Spiritualität baut auf dem Glauben an den Heiligen Geist auf, dem Tröster und Ermöglicher alles Guten“, schreibt Häring. In den orthodoxen Kirchen ist diese Spiritualität ein Grundelement der Theologie und der Praxis. Die orthodoxen Kirchen bringen in ihrer Liturgie die unauflösliche Treue zum Ausdruck.

Das Wort „bis der Tod uns scheidet“ wird in den orthodoxen Kirchen jedoch nicht als physischer Tod, sondern als der moralische Tod interpretiert. Dermoralische Tod tritt ein, wenn in dieser Ehe nichts mehr an Heilsträchtigem übrigbleibt, ja wenn ein Zusammenleben sogar gegen das Heil des anderen Gatten wirkt.

Wenn die Wiedererweckung der Ehe auf das Niveau der Heilsökonomie nach intensiver Beratung nicht mehr erhofft werden kann, wird eine wenigstens zwei Jahre dauernde Trauerarbeit und Bußzeit erwartet. Diese Zeit kann bis fünf Jahre verlängert werden. Für die Zweitehe gibt es eine liturgische Feier, in der schmerzlich an das Scheitern der ersten Ehe erinnert und vor allem Gottes Langmut und Barmherzigkeit angesprochen wird. Das Bekenntnis der Sündhaftigkeit, die Bereitschaft zur Buße und der Lobpreis des barmherzigen Gottes sind wesentliche Teile der liturgischen Feier.

Die Segnung einer Zweitehe im Sinne der Oikonomia der Ostkirchen ist in der römisch-katholischen Kirche nicht erlaubt. Im Apostolischen Schreiben „Familiaris con-sortio“ ist es ausdrücklich verboten, für Geschiedene, die sich wiederverheiraten, irgendwelche liturgischen Handlungen vorzunehmen. Sie würden ja den Eindruck einer neuen sakramental gültigen Eheschließung erwecken und daher zu Irrtümern hinsichtlich der Unauflöslichkeit der gültig geschlossenen Ehe führen.

Häring sagt ausdrücklich, daß er niemand zur Rebellion oder einfachen Nicht-Beachtung der gegenwärtigen Disziplin der Kirche einladen möchte. Es geht ihm vielmehr um die Frage, welche Reform der kirchlichen Ausformulierung und der Disziplin sinnvoll und wünschenswert wäre.

Die Kirche ist um das hohe Gut der Ehe, besonders um deren Unauflöslichkeit in Sorge. Sie fürchtet, die Zulassung zum Empfang der heiligen Eucharistie würde bei den

Gläubigen hinsichtlich der Lehre der Kirche über die Unauflöslichkeit der Ehe Irrtum und Verwirrung stiften.

Der Autor zeigt konkrete Möglichkeiten auf, was heute schon im Hinblick auf den Sakramentenempfang wiederverheirateter Geschiedener getan werden kann. Dabei muß freilich einem Trend entgegengewirkt werden, der Ehescheidung und Wiederverheiratung als etwas Normales darstellen möchte. Es muß auch alles getan werden, zu einer Versöhnung der Ehepartner und zur Heilung bestehender Ehen beizutragen.

Häring bezeichnet als einen möglichen Weg zum Sakramentenempfang die Anwendung der Epikie. Der heilige Alfons von Liguori, Patron der Moraltheologen, lehrt: „Epikie bedeutet Ausnahme eines Falles, wenn in der Situation mit Sicherheit oder wenigstens mit hoher Wahrscheinlichkeit beurteilt werden kann, daß der Gesetzgeber nicht beabsichtigte, ihn unter das Gesetz zu beugen.

Diese Epikie hat ihre Anwendung nicht nur im Bereich menschlicher Gesetze, sondern auch bei natürlichen Sittengesetzen, wenn wegen der Umstände der Handlung keine Bosheit anhaftet.“ Epikie darf nicht als Willkür oder Egoismus verdächtigt werden. Epikie wäre nach Häring etwa anwendbar, wenn Betroffene und auch der Seelsorger zum Urteil kämen, ihre Ehe sei von Anfang an ungültig gewesen, wofür sie

für eine Nichtigkeitserklärung des Ehegerichtes nicht die erforderlichen Beweise erbringen können. Kraft der Epikie wären die Betroffenen dann auch grundsätzlich berechtigt, eine gültige Zweitehe einzugehen. Der Seelsorger könnte nach Meinung von Häring in diesem Fall eine stille Trauung vornehmen.

Im inneren Forum (pro f oro inter-no) gibt es je nach der Situation der Partner eine Lösung, wobei der äußere Rechtsbereich nicht bemüht wird. Das heißt, daß unter gewissen Umständen eine Lossprechung erfolgen kann und der Empfang der heiligen Eucharistie möglich erscheint. „Familiaris consortio“ nennt als Grund hier nur die Verpflichtung, völlig enthaltsam wie Bruder und Schwester zu leben. Dies wird weithin als Aufbinden einer kaum erfüllbaren Last empfunden. Was die Gefahr des Ärgernisses (Anstoßes) betrifft, so kommt es auf die Situation an, die sehr verschieden sein kann.

Hierzulande ist es oft so, daß es als Anstoß empfunden wird, wenn schuldlos Geschiedene, die wiederverheiratet sind, von den Sakramenten ausgeschlossen werden. Man braucht keine Sorge zu haben, daß durch eine großmütige Vorgangsweise die Dämme brechen und die Flut hereinbricht. Die Dämme sind leider nämlich schon längst geborsten. Die Kirche kann gewiß von der Grundsätzlichkeit der Botschaft Jesu keine Abstriche machen, sie muß jedoch offen sein für den einzelnen, für die vielen einzelnen, die im Bereich der ehelichen Partnerschaft ihrer heilenden Hilfe bedürfen.

Häring zeigt, daß eine scheinbar ausweglose Situation nicht ausweglos sein müßte und es letztlich nur im Erweis der Güte und Barmherzigkeit Gottes einen wirklichen Ausweg gibt. Der Gute Hirte zeigt uns diesen Weg.

Der Autor war Pastoralamtsleiter und Propstpfarrer in Eisenstadt. Derzeit ist er Geistlicher Assistent der Caritas der Diözese Eisenstadt.

AUSWEGLOS? Zur Pastoral bei Scheidung und Wiederverheiratung. Ein Plädoyer. Von Bernhard Häring. Verlag Herder, Freiburg i. Breisgau/Wien 1989.96 Seiten, öS 115,40.

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