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Geschieden will es sein

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Seit 1974 registrieren österreichische Ehestatistiker jährlich einen anhaltenden Trend: In der Alpenrepublik nimmt die Zahl der Ehescheidungen konstant zu.

Letzter Stand der Erhebungen: Im Vorjahr trennten sich 13.072 Verheiratete rechtskräftig von ihren Partnern. Um 5,4 Prozent mehr als im Jahr davor.

Die große spektakuläre Familienrechtsreform, die Justizminister Christian Broda im vergangenen Jahrzehnt etappenweise und in fast allen Aspekten gemeinsam mit ÖVP-Justizspre-cher Walter Hauser über die Gesetzesbühne gebracht hat, konnte bislang die Tendenz nicht umkehren.

Aber auch der letzte Teil des Paragraphenwerkes, das per 1. Juli 1978 in Kraft gesetzte Scheidungsrecht, zeigt bis heute wenig Niederschlag bei der Scheidungshäufigkeit. Die autorisierte Erleichterung und insbesondere das Novum der einvernehmlichen Regelung ließen - entgegen vieler Vorhersagen - die Scheidungsziffern keineswegs sprunghaft in die Höhe schnellen.

Der Trend blieb seit 1974 konstant. Weder Ehe- noch Scheidungsreform schlugen bislang im Statistikfeld zu Buche.

U nd die Zahlenentwicklung der siebziger Jahre scheint Christian Broda rechtzugeben. In der Diskussion um das neue Gesetz hatte der sozialistische Familienrechtler stereotyp seine Reform-Motive formuliert: Gesellschaftliche Verhaltensweisen im Nachziehverfahren in Gesetzesform zu gießen.

Im Rückblick attestiert ÖVP-Jurist

und Ideenspender der einvernehmlichen Scheidungsvariante („Das habe ich angeregt"), Walter Hauser: „Ich glaube nicht, daß die einvernehmliche Form die Lockerung der Ehesitten nach sich gezogen hat." Der Oppositionspolitiker vermutet vielmehr anderswo die Wurzeln: „In Wahrheit sterben die Ehen an inneren Gebrechen."

Und vehement verteidigt er die Broda-Hauser-Produktion: „In einer Gesellschaft, in der insgesamt die Ehegesinnung nicht gestärkt wird, kann man wirklich nicht behaupten, daß durch das Scheidungsgesetz Ehen zugrunde gehen."

Als vor rund zwei Jahren die Para-graphenschlingen der neuen Scheidungsordnung den Nationalrat passierten, sagten Auguren einen Scheidungsboom, insbesondere durch die Auflösung der sogenannten „Papierehen" voraus. Mit der umstrittenen und von der Regierungspartei im Alleingang beschlossenen Scheidungsvariante 55, Absatz 3, wonach dem Scheidungsbe-gehen stattzugeben sei, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten seit sechs Jahren aufgehoben ist, wollten die SPÖ-Rechtspolitiker die Scheinehen aus der Welt schaffen. Ihre Überlegung:

Eheliche Gemeinschaften, die nur mehr auf dem Papier bestehen, tatsächlich aber schon lange getrennt sind, sollten auch de facto gelöst werden können.

Tatsächlich machten Betroffene von dem Juristenspruch Gebrauch, ein Ansturm auf die Gerichte jedoch ist ausgeblieben.

„Die Sensation ist meiner Meinung

nach nicht eingetroffen", urteilt der scheidungserfahrene Anwaltskammerpräsident Walter Schuppich. „Viele bleiben getrennt, sehen aber auch weiterhin keine Notwendigkeit, eine Scheidung herbeizuführen".

Anders verhält es sich bei der Inanspruchnahme der einvernehmlichen Lösung (55 a). Dieser Modus wird immer häufiger in Anspruch genommen: „Immer mehr Leute lassen sich nach diesem Paragraphen scheiden" (Schuppich).

Freilich nimmt die Version mitunter zweifelhafte Formen an. Denn: Es verlockt geradezu, sich am Weg ins Büro scheiden zu lassen", zeichnet Anwalt Schuppich die Kehrseite der Medaille. Und er prangert die Praktiken der Bezirksrichter an: „Die Gerichte arbeiten zu lasch und überprüfen wenig".

Überdies vermißt der Advokatenchef die Nutzung der Bedenkzeit für die scheidungshungrigen, „meist jungen" Eheleute: „Von der Nachdenkzeit wird nicht allzu viel Gebrauch gemacht".

Dennoch macht sich Schuppich für die „Einvernehmliche" stark: „Aus Distanz besehen, scheint mir diese Möglichkeit eine würdigere Form zu sein als der bisherige Scheidungsstreit."

Die Gesetzespassage zielt nämlich auf die Fähigkeit der Partner ab, sich außergerichtlich über

• die persönlichen Rechte und Pflichten gegenüber den gemeinsamen Kindern,

• die Ausübung des Rechtes auf persönlichen Verkehr sowie die Unterhaltspflicht gegenüber den Kindern sowie schließlich über

• Unterhalts- und vermögensrechtliche Aspekte im Verhältnis zueinander zu einigen.

Dabei, so der Familienexperte im Justizministerium,' Herbert Ent, träten den beiden Ehegatten die Konsequenzen ihres Entschlusses stärker ins Bewußtsein. Dies wieder führe zu reiflicherer Überlegung und dem konkreten Vor-Augen-Führen einer Zukunft ohne Ehepartner.

Der Broda-Helfer kann so dem Justizprodukt nur Gutes abgewinnen: „Die Auswirkungen des Gesetzes zeigen die Reife, der Bevölkerung und die Zweckmäßigkeit der Reform."

Er trifft sich hierin mit dem Oppositionellen Hauser. Auch dieser will die Regelung der persönlichen Verhältnisse bei den Betroffenen besser als beim Richter aufgehoben wissen: „Ich halte es für menschenwürdiger, wenn halbwegs gereifte Personen das selber austragen."

Offen bleiben die Langzeitprognosen der Scheidungsreform. Gegner der Neuerung argumentieren, daß ein solches Gesetz das Fundament der Familie in Frage stellt. Gesellschaftswissenschaftler aller Disziplinen vermeiden es, das heiße Eisen der „Scheidungserleichterung" und ihrer längerfristigen Auswirkungen auf das Normenbild der Gesellschaft hin anzufassen.

Keiner wagt konkrete Aussagen! „Es ist noch zu früh für ein solches Urteil", ist die weitverbreitete Antwort. Allerdings bestreitet niemand, daß - ganz allgemein - Gesetze das gesellschaftliche Bewußtsein verändern. Tiefenpsychologe Hans Strotzka dazu: „Natürlich tun sie das."

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