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Gesetze voll der Ästhetik

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„Neue Wissenschaft” -war der Titel eines Beitrages (FURCHE 29/1987) über neue Einsichten der Physik. Im folgenden ein kritischer Kommentar zu diesem Thema.

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„Neue Wissenschaft” -war der Titel eines Beitrages (FURCHE 29/1987) über neue Einsichten der Physik. Im folgenden ein kritischer Kommentar zu diesem Thema.

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Es ist natürlich richtig, daß die moderne Wissenschaft, und hier besonders die Physik als Wissenschaft von den Grundgesetzen alles Seienden, sich heute in viel stärkerem Maße als in früheren Entwicklungsperioden der Grenzen ihrer Aussage- und Anwendungsmöglichkeiten bewußt ist. Hierbei spielt tatsächlich neben der Relativitätstheorie die Quantenmechanik mit ihren (prinzipiell) statistischen Aussagen eine große Rolle.

Daß es jedoch „Zusammenhänge zwischen kleinsten Teilchen” gibt, die „naturgesetzlich nicht erklärbar sind”, ist schon ein Widerspruch in sich. Denn ein beobachteter „Zusammenhang” stellt eben schon ein (neues) Naturgesetz dar, das nur vielleicht mit früheren — unvollständigen oder gar falschen — Versionen dieses Gesetzes nicht übereinstimmt.

Diese Aussage nennt der Verfasser überdies „Bellsches Gesetz”. Es ist zu vermuten, daß hier die berühmten „Bellschen Ungleichungen” des CERN-Physikers John Bell gemeint sind. Diese sagen aber etwas ganz und gar Verschiedenes aus:

Nicht nur der alternde Albert Einstein, sondern auch noch einzelne Physiker unserer Tage haben nicht aufgehört, hinter den experimentell unzählige Male bestätigten Gesetzen der modernen „unanschaulichen” Quantenmechanik doch noch eine „anschauliche” mechanistisch-deterministische physikalische Erklärung zu suchen.

Es war das Verdienst John Beils, sehr allgemeine Kriterien für statistische Meßresultate bestimmter Zerfallsprozesse angegeben zu haben, die im klassischdeterministischen Fall gültig wären. Zahlreiche Experimente der jüngsten Zeit haben uns jedoch gezeigt, daß diese Ungleichungen nicht erfüllt sind und die Meßresultate den quantenmechanischen Voraussagen entsprechen.

Gerade in den letzten 15 Jahren gab es überdies eine Umwälzung im Verständnis der Elementarteilchenprozesse, die in dem genannten Artikel leider mit keinem Wort erwähnt wird. Die Vereinigung der elektromagnetischen Theorie Maxwells mit der Theorie der schwachen Wechselwirkungen wurde 1979 durch Nobelpreise an die Theoretiker Sheldon Glas-how, Abdus Salam und Steven Weinberg und 1984 an die CERN-Physiker Carlo Rubbia und Simon Van der Meer belohnt.

Die Entdeckung der W- und Z-Bosonen durch die Arbeiten der Teams beim CERN in Genf war die endgültige Bestätigung einer Theorie, die nicht eine „freie Schöpfung des Geistes”, sondern das Resultat scharfsinniger Uber-legungen darstellte, die auf einer Vielzahl von experimentellen Fakten aufbaute. Plausible Spekulationen weisen auf eine weitere Vereinigung in Richtung eines allumfassenden Grundgesetzes hin, das auch die Eichtheorie der Kernkräfte und Einsteins allgemeine Gravitationstheorie umfaßt.

Statt dessen wird Geoffry Chew zitiert, der zwar in den heroischen Zeiten der Elementarteilchenüberschwemmung vor 20 Jahren wichtige Beiträge zu „behelfsmäßigen” theoretischen Beschreibungen leistete, leider aber (wie frühere berühmte Vorbilder: Albert Einstein, Erwin Schrödinger und so weiter) schließlich dogmatisch auf einem mittlerweile längst überholten Standpunkt verharrte. Bei Chew ist dies die Ablehnung jedes fundamentalen feldtheoretischen Naturgesetzes.

Gerade wenn der mathematisch geschulte Physiker jedoch voll Bewunderung vor der ästhetischen Schönheit solcher Grundgesetze steht und den Gedanken auszuloten versucht, daß in einem knappen mathematischen Zusammenhang letztlich alle komplexen Strukturen bis hinauf zum Leben enthalten sind, hat er damit selbstverständlich auch noch längst keine Erklärung dafür gefunden, warum diese Gesetze gerade so - und nicht anders - lauten.

Eine Antwort auf die klassischen drei Kantschen Fragen ist daher sicher nicht physikalisch begründbar. Physik und - nicht fundamentalistisch aufgefaßte — Religion können einander gar nicht widersprechen.

Der Autor ist Professor für Theoretische Physik an der Technischen Universität in Wien und Präsident des CERN-Rates.

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