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Gespaltenes Bewußtsein

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■■ Ob Staatsprotokoll, steife Würde und echte Pietät so etwas wie Steigerungsstufen hin zu menschlichem Empfinden bilden — dieser für Politiker recht ungewöhnliche Disput lastet gegenwärtig über drei Bundestagsfachausschüsse. Ihr Auftrag: eine öffentliche Anhörung über die umstrittene Frage eines nationalen Mahnmals in der Bundeshauptstadt Bonn vorzubereiten.

Als mit dem Beginn der achtziger Jahre die NS-Geschichte medienwirksam in TV-Serien gegossen

wurde, entdeckten auch die Großen in Bonn die Polit-Lücke: Erst Helmut Schmidt, der weiland als Regierungschef am 6. Mai 1981 deklamierte, in der Bundeshauptstadt fehle ein Denkmal für jene, die an Irrtümern und Verbrechen des Dritten Reiches zugrunde gegangen waren. Und am 4. Mai 1983 verhieß Helmut Kohl als Nachfolger im Kanzleramt, sein Kabinett werde der Stadt Bonn helfen, „ihrer Funktion als Bundeshauptstadt gerecht zu werden“.

Denn das Staatsprotokoll, so ein mittlerweile erstelltes „Infor-mations- und Sachstandspapier“ aus dem Hause von Bundesbau-minister Oscar Schneider (CSU), dieses Staatsprotokoll erfordere eine würdige Mahn- und Gedenkstätte. Was konkret Gehalt und Gestalt eines solchen Mahnmals der Nation sein soll, ja ob es denn

wirklich notwendig sei, darüber ist man sich freilich uneins.

In der totalen Ablehnung treffen sich groteskerweise die Grünen und Vertreter der Juden in Deutschland, wenngleich mit unterschiedlicher Motivlage. Maßgebliche Grüne wollen es den offiziellen Besuchern aus dem Ostblock nicht zumuten, an einem Mahnmal Blumengebinde niederzulegen, das auch Gefallenen der Hitlerarmee gilt, während der Sprecher der jüdischen Gemeinde in Bonn ein „deutsches Dilemma“ darin sieht, Ermordete — und er meint andere — zusammen mit denen zu ehren, die ihren Tod verursacht hätten.

Damit steht nun sogar der — zuerst bloß von den Grünen boykottierte—bisher gefundene Konsens in Frage, statt eines herkömmlichen Kriegerdenkmals eine Stätte zu schaffen, die gleichermaßen an die Gefallenen wie auch an die verfolgten Juden und Zigeuner, Widerstandskämpfer und KZ-Opfer erinnern soll.

Die jüdischen Einwände reichten bis in die vorgelegten Gestaltungspläne hinein. Proteste gab es vor allem gegen das ursprünglich vorgesehene Symbol der überdimensionierten Dornenkrone Christi als Bestandteil des Ehrenmals. Eine solche Darstellung, so das Argument von jüdischer Seite, das prompt berücksichtigt wurde, entlarve ein gerütteltes Maß an „Unsensibilität“, weil die Dornenkrone auch ein Symbol des Antisemitismus gewesen sei.

Gescheitert ist inzwischen ebenso ein Versuch von Bundestagspräsident Philipp Jenninger,

die Fraktionen auf eine gemeinsame Entschließung für den Gedenkstättenbau einzuschwören.

Jetzt präsentierte die Union eine eigene Vorstellung, wonach die Gedenkstätte „insbesondere den Toten unseres Volkes gewidmet sein“ solle. SPD und Grüne witterten darin sofort ein „kollektives Verdrängen der deutschen Schuld an den Naziverbrechen“ und drechselten ihrerseits Anträge: Die Grünen für einen Bauverzicht zugunsten regionaler Gedenkstätten in ehemaligen Konzentrationslagern; SPD-Vertreter regten an, für die Gestaltung des Mahnmals Künstler und Architekten aus der DDR einzuladen.

Die FDP-Abgeordnete Hildegard Hamm-Brücher indes sprach in der Bundestagsdebatte von einer „gespaltenen Unsicherheit“ des deutschen Selbstverständnisses und meinte resigniert, so lange ein angemessenes Geschichtsbild fehle, solle man besser auf den Bau überhaupt verzichten.

Das neue Mahnmal wird in der Parklandschaft Gronau am Rhein stehen, die an das Abgeordnetenhochhaus des Bundestages anschließt. Für das Staatsprotokoll gewiß attraktiver. Allerdings kann niemand in Bonn, niemand im Bundespräsidialamt oder in der personell wohlausgestatteten Protokollabteilung des Auswärtigen Amts Auskunft darüber geben, wer oder was „das Staatsprotokoll“ eigentlich ist. Es gebe da gewisse ungeschriebene Regeln, heißt es; man orientiere sich an „vergleichbaren“ Ländern...

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