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Gespaltenes Nikaragua

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Bedrängte Sandinisten, ein zur „Abwehr des Kommunismus“ entschlossener US-Präsident, Spaltungstendenzen in der Kirche: Stoff genug für engagierte Diskussionen während der Lateinamerika-Wochen 83 im Wiener Messepalast (bis 26. Juni), bei denen Nikaragua ein Schwerpunktthema bildet.

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Bedrängte Sandinisten, ein zur „Abwehr des Kommunismus“ entschlossener US-Präsident, Spaltungstendenzen in der Kirche: Stoff genug für engagierte Diskussionen während der Lateinamerika-Wochen 83 im Wiener Messepalast (bis 26. Juni), bei denen Nikaragua ein Schwerpunktthema bildet.

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Am 11. Dezember 1978 bricht im Kugelhagel der Nationalgardisten Somozas der spanische Herz-Jesu-Priester und „Coman- dante“ der sandinistischen Revolution, Gaspar Garcia Laviana, tot zusammen. „Kommunistischer Priester fuhr zur Hölle“, meldet am nächsten Tag die so- mozatreue Tageszeitung „Nove- dades“.

„Er war ein Priester“, so der legendäre Sandinistenführer „Co-

mandante Zero“ alias Eden Pa- stora damals in einem Nachruf, „wie sie heute in Lateinamerika nötig sind“.

Pastoras Urteil dürfte sich außer Laviana freilich kaum auf die übrigen Priestergestalten der sandinistischen Revolution beziehen. Denn inzwischen hatte sich der „Comandante“, überzeugter Sozialdemokrat, „Sandinist in alle Ewigkeit“, wie es auf seiner Visitenkarte steht, 48 Jahre alt, Vater von 18 Kindern (durch vier Ehefrauen und zwei Companeras in den Bergen), zum verbitterten

Feind seiner ehemaligen Weggefährten gewandelt.

„Sicher: das Volk in Nikaragua ist gegen die Amerikaner und gegen die Nationalgardisten Somozas eingestellt, aber ebenso auch gegen das Nationaldirektorium der Sandinisten“, sagt Pastora.

Die Sandinisten hätten den Haß des Volkes gegen die Somozisten und Amerikaner ausgebeutet und dadurch vergessen machen wollen, daß Nikaragua schon seit langem unter einer anderen Invasion leidet: unter der Invasion der Kubaner Pastora: „Alle diese Lehrer, Ärzte, Ratgeber aus Kuba… Die Sandinistische Revolution ist kubanisiert worden.“

Der Beweis: „Von zehn Reisen, die ich damals als Mitglied der sandinistischen Revolutionsregierung ins Ausland unternahm, führten acht nach Kuba oder in sozialistische Länder. Das sind einfache Tatsachen mit großer Signifikanz. Die Comandantes ahmen in ihrer Rhetorik, in ihren Posen, selbst in der Art, wie sie applaudieren. Fidel Castro nach.“

Nein, er sei weder eine Marionette Reagans noch sonst irgend jemandes, wehrt Pastora ab. Dafür könne er nichts, daß manche seiner Feststellungen, etwa bezüglich der mangelnden Meinungsfreiheit in Nikaragua, ähnlich wie die von Reagan klängen.

Natürlich sei es die verfehlte Politik der Amerikaner, ihr wirtschaftlicher, politischer und nunmehr auch militärischer Druck (wie damals in Kuba und Vietnam auch), die Nikaragua und seine Sandinisten in diese Situation gedrängt hätten. .Aber man wußte ja schon von allem Anfang an, daß es so enden wird, schließlich hatte es den amerikanischen Imperialismus in Lateinamerika schon immer gegeben. Nur: heute gibt es auch noch die marxistisch-leninistische Bedrohung.“

Pater Miguel d’Escoto, Priester des Maryknoll-Ordens und Außenminister der sandinistischen Regierung, sieht das alles freilich völlig anders. „Es ist nicht wahr, daß sich der Sandinismus verändert hat, während Pastora ein integrer Revolutionär geblieben ist. Er hatte die sandinistische Revolution verraten, wie einst Judas Jesus verraten hat…“

Es stimme nicht, daß es in Nikaragua keine Meinungsfreiheit gebe. Lediglich dann, wenn einer darunter den bewaffneten Ver such verstehe, die Revolution zu vernichten, trete man ihm ebenfalls mit der Waffe in der Hand entgegen.

Es ist nicht uninteressant, wie d’Escoto die Papstreise einschätzt: „Die Nikaraguaner haben bezüglich des Besuchs des Heiligen Vaters große Hoffnungen gehegt. Doch der Besuch wurde für alle eine große Enttäuschung.“

„Viele Gläubige sagten mir, daß sie erwartet hätten, der Papst werde auf ihre Probleme einge- hen. Es ist für eine Familie, in der die Tränen für einen ermordeten Vater noch immer nicht versiegt sind, sehr schmerzlich, einen Besucher zu empfangen, der kein Wort der Stärkung für sie findet. Entweder wurde der Papst nicht informiert, oder es war seine persönliche Entscheidung, eine solche Haltung einzunehmen …“

Was den Vatikan betrifft, interessiere ihn wenig — so der „Padre“ —, ob man mit seiner Funktion als Außenminister einer sandinistischen Regierung, die marxistisch-leninistischen Denkmustern nicht abhold ist, in Rom zufrieden sei oder nicht. Dann reitet d’Escoto eine rhetorische Gegenattacke:

Der Vatikan habe geschwiegen, als Diktator Somoza die Städte Nikaraguas bombardieren ließ und einen Völkermord, verübte: „Ich verurteile dieses Schweigen, das ich persönlich als Komplizenschaft betrachte. Es trifft’ mich umsomehr, da dies der Kirche schadet. Wie ihr auch das kompli- zenhafte Schweigen des Erzbischofs von Managua, Monsignore Miguel Obando y Bravo, angesichts der imperialistischen Invasion der USA, schadet.“

Die nikaraguensische Revolution sei ein Vorbild für ganz Lateinamerika. Lateinamerika werde sich befreien, ob mit oder ohne Kirche. Daher sei die einzige Frage nur, ob sie sich auf die Seite des Volkes oder ihrer Feinde stelle.

Versöhnliche Geste des Priester-Ministers: Man sei jederzeit bereit, das Verhältnis mit den Vereinigten Staaten zu normalisieren, wenn diese die Souveränität und das Selbstbestimmungsrecht Nikaraguas respektiere:

„Wenn aber ein solches Übereinkommen eine Unterwerfung einschließt, werden wir es niemals akzeptieren.“

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