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Gespenstische Neuauflage

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Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Führer der (Eigendefinition) National-Liberalen die regelmäßig wiederkehrende Diskussion um die Liberalität seiner Partei mit einem unüberhör-baren „Schluß der Debatte” beenden würde.

Beim Neujahrstreffen der FPÖ am 10. Jänner 1993 in Graz war es soweit. Eine in seiner politischen Laufbahn und in seiner Geisteshaltung seit Jahren zu beobachtende Entwicklung hatte eines ihrer Ziele erreicht: Das Haider-Volksbegehren „Österreich zuerst”. Haider hat nämlich mit der Einleitung dieses Volksbegehrens -neben den vordergründigen innenpolitischen Absichten dieser Initiative -die endgültige Abkehr von den Grundwerten liberalen Denkens auch öffentlich vollzogen.

Begonnen hatte alles damit, daß sich die Ende der sechziger Jahre aufkeimenden politischen Bemühungen, den sozialdemokratischen und damit in seinen Wurzeln dogmatischen Vertretungsanspruch von „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit” in Frage zu stellen und dem politischen Liberalismus Chancengleichheit zu erarbeiten, schon bald.mit der Gegnerschaft Ewiggestriger in allen politischen Lagern, aber auch mit aufstrebenden Talenten konservativ-deutschnationaler Gesinnung konfrontiert sahen.

Eines dieser Talente war damals zweifellos Jörg Haider, der schon im Alter von 16 Jahren mit einem Referat zum Thema „Sind wir Österreicher Deutsche?” einen Redewettbewerb des Turnerbundes gewonnen hatte. Es war nur folgerichtig, daß diese Rede in der wiederholt wegen nationalsozialistischer Schreibweise gerichtlich belangten „Deutschen National-Zeitung” - dort unter dem Titel „Österreich bleibt deutsch” - abgedruckt wurde.

Andererseits gab es manche, unter ihnen den damaligen Obmann der Freiheitlichen, Friedrich Peter, denen solche Talentproben und die unübersehbaren politischen Ambitionen Haiders Grund genug schienen, ihm Hilfestellung für den Aufbau seiner politischen Karriere zu geben. Auffällig war allerdings, daß Jörg Haider für den Start seiner Laufbahn als Berufspolitiker ein Feld wählte, in welchem ihm intellektuelle Auseinandersetzungen oder gar weltanschauliche Diskussionen um die Grundwerte jeder liberal-demokratischen Gesellschaft erspart blieben: den Ring Freiheitlicher Jugend, dessen oberösterreichischer Landesjugendführer er bereits 1968 wurde und den er von 1970 bis 1974 als Bundesobmann leitete.

Haiders Kreis schließt sich

Dem „Atterseekreis” hingegen, einer um diese Zeit als politisch-wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft ins Leben gerufenen liberalen Kaderschmiede, ist Jörg Haider - wohl auch in der Erkenntnis, daß seine ideologischen Positionen dort auf Unverständnis bis Ablehnung stoßen würden -konsequent ausgewichen, auch wenn dies in einer um Publicity-Effekte bemühten unkritischen Hof berichterstattung über seinen Werdegang gelegentlich anders dargestellt wurde und wird.

Damit aber kein Mißverständnis aufkommt: In einer Partei - so klein wie die FPÖ damals nun einmal war -ist ein persönliches Kennen fast aller politisch aktiven Mitglieder oder gar Funktionäre eine Selbstverständlichkeit. In diesem Sinne hatten auch wir Atterseer immer wieder Gelegenheit, den Jung- und Jugendfunktionär Jörg Haider ins Gespräch zu ziehen, seine politischen Orientierungen zu erfahren und regelmäßig zu erleben, daß intellektuelle Redlichkeit, Toleranz und Offenheit gegenüber Andersdenkenden oder eine über Opportunitäts-grenzen hinausgehende Solidarität seine Sache nicht waren.

Diese ausschließlich an Opportu-nitätsgesichtspunkten orientierte Schein-Solidarität Haiders war dann ebenso bestimmend für seinen Marsch durch die Institutionen der FPÖ und seine Wahl zum Parteiführer 1986 wie sie heute konstitutiv für die unübersehbare Inhumanität des Haiderschen Volksbegehrens ist.

Folgerichtig wird in allen Teilforderungen dieses „Volksbegehrens gegen Menschlichkeit, Toleranz und Nächstenliebe” außerdem eine Uli— beralität manifest, die an zwei Beispielen exemplarisch aufgezeigt werden kann: am Verlangen nach einer Verfassungsbestimmung „Österreich ist kein Einwanderungsland” und dem Versuch, eine Ausweispflicht für ausländische Arbeitnehmer durchzusetzen.

Wenn daneben im Volksbegehren eine Forderung erhoben wird, welche Schülernach ihrer Abstammung beurteilt sehen will, indem auf deren „Muttersprache” und nicht auf konkrete Kenntnisse der Unterrichtssprache unserer Regelschulen, also des Deutschen, abgestellt wird, rundet sich das Bild: Das Volksbegehren ist auch eine gespenstische Neuauflage von Jörg Haiders Antwort auf die Frage „Sind wir Österreicher Deutsche?”

Der Autor ist Vorsitzender der Liberalen Initiative für Österreich und Leiter des „Atterseekreises”.

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