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Gespielte Sorge

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Seit Dienstag steht mit Sicherheit nur die vorzeitige Beendigung der Gesetzgebungsperiode des Nationalrates fest. Weder haben die Wähler die Parteistärken für die künftige Gesetzgebungsperiode bestimmt, noch läßt sich aus der fraktionellen Zusammensetzung des (neuen) Nationalrates die Zahl der Koalitionsmöglichkeiten ablesen.

Trotzdem wird weithin so getan, als ob eine Große Koalition praktisch vor der Tür stünde. Und gleichzeitig werden Besorgnisse laut, daß diese Regierungsform das Parlament wieder in jene Bedeutungslosigkeit zurückversetzen werde, die ihm angeblich vor 1966 eigen gewesen sein soll.

Die historische Wahrheit freilich gebietet zunächst die Feststellung, daß die Große Koalition, wie sie von 1945 bis 1966 bestand, keinesfalls so schlecht war, wie sie vor allem in ihrer letzten Phase von den meisten Medien gemacht wurde. Viel Kritik, die damals an der Gängelung der Parlamentarier durch Koalitionsvereinbarungen geübt wurde, übersah die unumstößliche Tatsache, daß die moderne pluralistische Demokratie auf dem Bestand von Parteien im Staat und festen Fraktionen in der Volksvertretung basiert.

Was also ist es, das nun so plötzlich viele, denen sonst Macht und Würde des Parlaments ziemlich egal sind, zu der Warnung veranlaßt, die „Neuauflage der Großen Koalition“ müßte mehr oder minder zwangsläufig der österreichischen Volksvertretung abträglich sein? Im Grunde genommen geht es um das den modernen Parlamentarismus konstituierende Prinzip; nämlich die Garantie der Öffentlichkeit des politischen Geschehens.

Auch wenn die Parlamente wohl fast überall in der Welt vorprogrammierte Entscheidungen sanktionieren, wenn sie — wie Bruno Pittermann seinerzeit treffend formulierte — nur mehr Gesetzesbeschließer und nicht mehr Gesetzesmacher sind, wenn also ihre wirkliche Macht meist nicht so groß ist, wie es die Verfassungstheorie allüberall verheißt, haben sie doch eines für sich: Durch die Diskussion und Argumentation in den öffentlichen Plenarsitzungen wird bei vielen Bürgern (abwechselnd) das Gefühl hervorgerufen: „Der Abgeordnete N. hat sich wirklich für meine Interessen stark gemacht.“

Im Gegensatz dazu finden Verhandlungen in einem Koalitionsausschuß - wie übrigens auch die der Sozialpartnerschaft — hinter verschlossenen Türen statt und erwecken bei den Uneingeweihten oft den Eindruck: „Die da oben packeln alles über unsere Köpfe hinweg miteinander aus.“

Deshalb wird es wohl in erster Linie auf den Koalitionspakt ankommen, ob ein Höchstmaß von Öffentlichkeit der Politik und von Partizipation der Bürger gewährleistet ist. Um aber unberechtigten Enttäuschungen zuvorzukommen, sollte von vornherein klargestellt werden:

Erstens setzt eine Koalition den ehrlichen Willen voraus, miteinander und in gemeinsamer Verantwortung die großen Probleme des Landes zu lösen.

Zweitens werden nach wie vor die Fraktionen und nicht die einzelnen Abgeordneten Träger des parlamentarischen Entschei-dungsprozesses sein. Diese Einschränkung des freien Mandates hat mit der jeweiligen Regierungskonstellation nichts zu tun.

Drittens ist auch der seinerzeit der Großen Koalition gemachte Vorwurf, sie brauche für jeden wichtigen Posten drei Beamte: einen schwarzen, einen roten und einen, der arbeitet, größtenteüs unzutreffend, denn „Ämterpatronage“ durch Parteien steht in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit Koalition.

Natürlich gibt es auch institutionelle Vorkehrungen, soferne man wirklich der parlamentarischen Demokratie den Vorzug gegenüber dem obrigkeitlichen Verwaltungsstaat einräumen möchte. So wäre es etwa naheliegend, daß die Parteiführer als Klubobmänner im Parlament sitzen und nicht als Kanzler und Vizekanzler in die Regierung gehen. Auf diese Weise könnten in der so wichtigen Präsidialkonferenz die Angelegenheiten des gesamten Parlaments und von den Klubobmännern der Koalitionsparteien die Gesetzesvorhaben und andere politische Probleme unter Beiziehung der jeweüs betroffenen Regierungsmitglieder erörtert werden.

Eine weitere wichtige Institution wäre nach englischem Vorbild die Schaffung eines Ministers oder Staatssekretärs im Bundeskanzleramt, der hauptsächlich für die Verbindung zum Parlament zuständig ist. Ein solcher „Parlamentarischer Staatssekretär“ könnte wichtigen Sitzungen der Präsidialkonferenz beigezogen werden und vor allem auch den Arbeitsrhythmus von Regierung und Parlament koordinieren. Der Koalitionsausschuß insbesondere einer Großen Koalition bringt nämlich tatsächlich die Gefahr mit sich, daß für einen Entscheidungsvorgang höchstens noch der nächste Ministerratstermin berücksichtigt wird.

Die von mancher Seite schon jetzt verunglimpfte „Neuauflage der Großen Koalition“ muß der parlamentarischen Demokratie unseres Landes keinesfalls abträglich sein. Es wäre Aufgabe einer verantwortungsbewußten Journalistik und Populärwissenschaft, dies der Öffentlichkeit klar zu machen.

Der Autor ist Parlamentsdirektor der Republik Osterreich und Honorarprofessor für Politikwissenschaft.

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