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Gespräche im Pfarrhaus

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Hans Hemmelmann fiel in seinem Studentenzimmerchen in raschen, erlösenden Schlaf. Und der fröhliche Morgen, der in den Höfen und Gärten auflärmte, ließ ihn die bösen Zweifelworte des Abends belächeln. Da er erst für fünf Uhr nachmittags zum Kaplan bestellt war, bummelte er durch die Straßen des für ihn neuen Stadtviertels, las die Zeitungen, aß in der Mensa und wanderte im warmen Mittag todmüde wieder heim. Er hatte auf dieser Flucht vor seinen aufsässigen Gedanken nie einen langweiligeren Tag erlebt. Köstler hatte ihn um eine neue Skizze des Flügelaltares gebeten. Er verbrannte nach zwei Stunden qualvoller Zeichnerei auch die zerknüllten Blätter. Er sah seine Künstlerschaft in den Flammen des Eisenöfchens mit verbrennen und ging den Weg ins Pfarrhaus, wie einer, der sich dem Gerichte stellt.

Der Kaplan empfing ihn mit der fröhlichen Offenheit eines alten Freundes. Sie redeten über die Zeit, in der sie beide als junge, lebendige Menschen froh waren zu leben. Sie redeten wie langjährige Freunde. Daß gerade die gläubigen Menschen die großen Möglichkeiten der Nachkriegszeit nicht genützt hätten und die Vielen aus reinem Beharren, aus einer Vertauschung des Ewigen mit dem Ewiggestrigen den Willen zu neuer Gestaltung verloren, das tiefere Vertrauen in die ewig wirkende Kraft des Glaubens durch allzu ausschließlich betriebene Abwehr eingebüßt hatten. Eine Mappe expressionistischer Graphik, die Köstler als Vermächtnis eines jung gefallenen Künstlers schätzte, rief Hemmelmann zur Begeisterung auf und der Plan des Altars, den er nun plötzlich ganz klarsichtig wiederholte, beschäftigte sie einen ganzen Abend lang. Sie besprachen jedes Bild mit Ausnahme des letzten in allen Einzelheiten. Hans Hemmelmann merkte im Feuer seiner Schilderung nicht, daß sich die Aufmerksamkeit des Priesters in Abwehr gewandelt hatte. Hemmelmann konnte seine

Einwände auch nicht entkräften: Dieser Altar hat höchstens für eine ganz kleine Gemeinschaft Wert, für ein „Dutzend Hemmelmänner", wie Köstler sagte, denn er brächte ja doch keine Durchdringung des Lebens mit den Geheimnissen der Kirche, sondern bloß ziellose, wenn auch ehrliche Empörung. Überdies hatte sich der reine Expressionismus überlebt, Menschen, wie Hemmelmann, haben ihn überlebt. Doch die Erzählung Köstlers von seinen eigenen Kämpfen mit dem alten Pfarrer riß Hemmelmann wieder aus seiner Bedrücktheit. Ja, auch er mußte jedes Stück sozialer Arbeit erst mit Kampf und Verstimmung durchsetzen und aus Bedenken und Beharrlichkeit die schönsten Möglichkeiten priesterlichen Wirkens ungenützt lassen. War das nicht noch bitterer?

Hans Hemmelmann lebte bald nur mehr diesen Nachmittagen im Pfarrhof. Sie konnten auch stundenlang im Kooperatorenzimmer nebeneinander schweigen. Der Maler blieb, wenn Köstler zu Versehgängen und Vereinsarbeit abberufen wurde, allein zurück und blätterte in den umherliegenden Büchern, oder er begleitete ihn. Ohne Zwang glitten ihre Gespräche aus der allgemeinen Weltoffenheit in das katholische Leben hinüber. Stunden ängstlicher Freiheitsliebe wechselten nun in Hemmelmann mit solchen reinster Bekehrungsbegeisterung. Erst erschütterte ihn die Entdeckung, daß aller Widerstreit des Lebens sich gedanklich im Christentume lösen lasse. Aber Köstler vermied das Wort christlich, und auch die von ihm entlehnten Bücher sprachen nur immer von einem katholischen Leben. Das dünkte ihn grausam, und es gab Worte, die ihn krank machten vor Trauer und Scham vor sich selbst. Dann folgten stundenlange Debatten über eine dieser Stellen, oder über ein Wort, das der Priester drohend aufrichtete, und Hans Hemmelmann gewöhnte sich nur langsam, in eine Welt zu blicken, die ihm einer gläubigen Kindheit zum Trotz nur aus oberflächlicher Berührung bekannt gewesen war. Noch wußte er freilich mit dieser neuen und ihn scheinbar beengenden Haltung nichts anzufangen.

Im Kinderhort der Pfarre St. Georg tummelten sich jetzt fünfzig Kleinkinder. Noch vor einem Jahr hatten die Hausbesorger und kleinen Leute des vornehmen Stadtteiles dem Kaplan Köstler nur zehn junge Menschlein geschickt, jetzt mußte er die Schar teilen, und am zehnten Tage ihrer Freundschaft sagte er zu Hemmelmann: „Willst du die Hälfte übernehmen, Hans, ich wüßte den Kleinen keinen besseren Freund und dir für den Anfang keine nützlichere Beschäftigung." Er verschwieg, daß er knapp vorher mit seinem Pfarrer über Hemmelmann gestritten hatte. Wozu kam dieser Maler täglich in den Pfarrhof? Die Köchin hatte ihn auch während Köstlers Abwesenheit im Kooperatorenzimmer husten gehört. Einen Künstler zu bekehren war wieder so eine jener verrückten Ideen, wie sie Köstler wochenweise anfielen. „Wo sehe ich den Herrn .Künstler' bei unserer Arbeit?" eiferte der alte Herr. „Ich begegne ihm weder in einer Versammlung noch in einem Verein oder gar als Vertrauensmann. Schwätzer und Ästheten hasse ich." „Du würdest durch deine Mitarbeit unsern Alten Herrn sehr für dich einnehmen", sagte Köstler zu Hemmelmann. „Er hat auch gute Verbindungen. Oder fürchtest du dich vor Kindern?"

Hemmelmann erschrak: „Kinder? - Ich war seit zehn Jahren, nein länger, nicht mehr unter ihnen, und meine eigene Kindheit liegt irgendwo in einem unwirklichen Dunkel . . ." Hemmelmann brach ab, sprach kein Wort dagegen und überließ sich völlig den Vorbereitungen des Priesters.

Der Roman „Die Gaukler" von Rudolf Henz erscheint demnächst im Verlag Styria. Graz. Die Erstausgabe des Romans 1932 konnte seinerzeit aus politischen Gründen nicht ausgeliefert werden.

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