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Gestalten aus dem Geist

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Wer die äußere Möglichkeit hat, dem innern Drang zu folgen, der kann sich, bei aller Reizbarkeit, die ihn plagt, und trotz des Widerstandes jener, die der Einheit von Inhalt und Form nicht gewachsen sind und bald dem Stoff, bald der Fasson erliegen, glücklich schätzen, weil ihm vor andern Sterblichen vergönnt ist, in der Einheit von Lust und Last zu leben.

Der Künstler beauftragt sich selbst: das unterscheidet ihn vom Handwerker und vom Journali-

sten. Seine Devise ist: Nichts von außen — ohne innern Grund! Seine wahre Achtung vor dem Publikum besteht - nach Goethe - nicht darin, daß er bringt, was es von ihm erwartet, sondern was er selbst auf der jeweiligen Stufe eigener und fremder Bildung für richtig hält. Der Autor bestimmt seine Produktion selbst, und das tut auch der freie Wissenschaftler.

Das Werk ist „Ausdruck und Siegel“ geistiger Selbstbestimmung; und dieser unterliegt auch seine wahre Aktualität: frei von politischer und snobistischer Fron; von Datumsdiktatur und von den Hieben des Schlagworts. Uberhaupt wahrnehmend und gewissenhaft aus freien Stücken, ist nichts Wichtiges ihm fremd; er mischt seine Stimme nicht in den Konjunkturlärm und hat kaum je einen zwingenden Grund, sie in den Lärm der Straße zu mischen. Voraussehend, handelt er auf eigenes Geheiß; und von drüben hört er die „Stimmen der Geister, die Stimmen der Meister“.

Eine der merkwürdigsten und echoreichsten ist von altersher die Stimme Thomas Carlyles, die dem Wanderer heute noch entgegenspricht: Wer arbeitet, verkörpert die Formen unsichtbarer Dinge. Jeder Arbeiter ist auf irgendeine Weise ein Dichter, er sieht eine Idee, und es gilt gleich, ob es die Idee eines Tongefäßes oder eines Gedichtes ist. Noch sieht sie kein anderer außer ihm, und er selbst sieht sie zunächst nur halb. Aber unter seinen Händen wird sie Gestalt annehmen.

auf daß sie alle sehen.

Unsichtbare Mächte beschützen diesen Arbeiter im Dienste einer Idee in der ungeheuren Einsamkeit seiner Nacht, die sich langsam lichtet. Wollte er sich bei seiner Arbeit nur auf äußere Fakten stützen, könnte er nichts Wirkliches im Sinne der Idee hervorbringen, es kämen nur Scheinwerk und Täuschung dabei heraus, die besser unterbleiben. Wer sich nicht mit dem Unsichtbaren und Schweigenden befreundet, wird nie zu wirklicher Sichtbarkeit, greifbarem Wort und wirksamer Rede kommen.

„Du mußt hinabsteigen zu den Müttern, zu den Manen, und dort lange dulden und dich schweigend abmühen wie Herkules, wenn du jemals mit etwas Wirklichem wieder ins Sonnenlicht hinaustreten willst.“ Ein anderer, Carl Spitteier, ruft in die Debatte: „Her mit euren Werken! Aber ein jeder mit seinen eigenen. Keine Gesellschaftsreisen durch den Geist der Zeit!“ Dasselbe gilt von den Taten: Möge ein jeder von uns seine eigenen vollbringen.

Unsere moralische Bekenntnispflicht besteht nicht — wie mancher glauben könnte - darin, jederzeit, sooft man dazu aufruft oder nötigt, gegen irgend etwas zu protestieren — sie ist aber wohl dort am größten, wo Wahrheit auf den stärksten Widerstand stößt; und das dürfte etwa in Kärnten die nationale Frage sein.

Der Künstler schafft aus allem und mit allem, „was mit Aug’ und Ohr er je erworben“, und zwar auf der jeweiligen Stufe eigener und fremder Bildung — was hier soviel wie Erkenntnis bedeutet. Er schafft aus Ergriffenheit, aus Besessenheit, und er kann wie Karl Kraus von sich sagen: „und allem, was an Schmach und Schöne / als Bilder ich bewahr und Töne / dem bin ich ewig Untertan“. Bei Arnold Clementschitsch kommt diese Antithese nicht vor. Er sagt schlicht: „Ich bin der Schönheit hörig, ihr und ihrem Ruhme / Sie ist ein Weib, und in den Hüften steil“. Der schöpferische Beweggrund der Dankbarkeit braucht meines Erachtens keine Erläuterung; aber er findet sie.

Das Kunstwerk ist keine Ware und nichts Nützliches. Es ist eine Gegengabe des Menschen für das Naturglück der Existenz, für bewiesenen Schmerz, für das geheime Graun und Wehn gestaltenmischender Möglichkeit, für alles, was einen Grundakkord des Weltalls bildet. Es verdankt sich dem Bedürfnis, gegenüber den Lebensmächten in Lebenstagen und in Lebensnächten, vor dem Schönen und Erhabenen in irgendeiner Form zu bestehn. Im günstigsten Falle ist es die zauberhafte Beglaubigung des eigenen Bestehens vor solcher Ubermacht. Die sinnbegabte Hand des Bildners formt aber nicht allein den Spiegel alles Schönen; sie führt auch den Griffel, der „Tod, Zerstückelung, jegliche herbe Schmach“ niederschreibt; wie in Erz.

Rede, gehalten in Klagenfurt aus Anlaß der Entgegennahme des Kulturpreises des Landes Kärnten.

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