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,Gesteigerte Emotionalisierung'

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Vor jeder Wahl des Bundespräsidenten in der Zweiten Republik wurde Wilhelm Miklas, der letzte Bundespräsident der Ersten Republik (1928 bis 1938), symbolisch in den Wahlkampf gezogen.

Wenn der Verfasser dieser Zeilen, ein Sohn des 1956 verstorbenen Altbundespräsidenten, erst den Zeitpunkt nach der Wahl zu einer Stellungnahme vorgesehen hat, so lag die Erwägung zugrunde, daß Miklas nun auch nicht von der anderen Seite in den Wahlkampf hineingezogen werden sollte, weil die Wahlkampfzeit mit ihrer gesteigerten Emotionalisierung nicht geeignet ist, auf sachliche Argumente einzugehen.

Vorerst sei festgestellt, daß die Hereinziehung von Miklas in den Wahlkampf bei den persönlichen Qualitäten des von der SPÖ namhaft gemachten und nunmehr zum Bundespräsidenten gewählten Kandidaten Rudolf Kirchschläger nicht nötig gewesen wäre. Ebenso lagen die Ereignisse, mit denen Wilhelm Miklas konfrontiert war, bereits so weit zurück, daß der Großteil der Bevölkerung sie nicht erlebt und daher zu ihnen keine näheren Beziehungen mehr hat.

Die am häufigsten vorgebrachten Vorwürfe gegen Miklas waren:

• er war ein schwacher Bundespräsident;

• er hat versagt (Landeshauptmann Dr. Kery sprach von einem „dreifachen Versagen“);

• er hätte seinerzeit einen Kandidaten der stärksten Partei (d. i. der Sozialdemokratischen Partei) mit der Regierungsbildung beauftragen müssen;

• er hätte sich im Jahr 1938 „absetzen“ sollen.

1. Miklas war 1928 im dritten Wahlgang mit 94 gegen 26 Stimmen (bei Stimmenthaltung der Sozialdemokraten) von der Bundesversammlung (Nationalrat und Bundesrat) zum Bundespräsidenten gewählt worden. Die Rechte des Bundespräsidenten waren im Zeitpunkt seiner Wahl bescheiden, die Aufgaben waren hauptsächlich repräsentativer Art. Erst die Verfassungsreform des Jahres 1929 hat den Kompetenzbereich etwas erweitert. Miklas war schon lange vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten, und zwar durch einen Antrag aus dem Jahr 1922, für die Wahl durch das Volk und für die Erweiterung des Kompetenzbereiches des Bundespräsidenten und der Regierung eingetreten. Dieses Verlangen hat Miklas auch späterhin mehrmals wiederholt.

2. Das politische Klima in der Ersten Republik war extrem gespannt. Der Parlamentarismus funktionierte fast nicht mehr, die Gegensätzlichkeiten der einzelnen Par-reien (Bürgerblock — Sozialdemokratische Partei) verschärften sich zusehends. Die Sozialdemokraten lehnten jede Koalition und Teilnahme an der Regierung ab und glaubten, daß sich die bürgerlichen Parteien „zu Tode regieren“ und folglich die Macht verlieren würden. Die Vnergiebigkeit der parlamentarischen Arbeit und die politische Gegensätzlichkeit führten zum Erstehen bewaffneter Formationen von rechts und links sowie außerparlamentarischer Verbände. Dazu kam die große Wirtschaftskrise mit der Radikalisierung der in die Hunderttausende gehenden Arbeitslosen. Außenpolitisch war die unfreundliche Haltung der „Kleinen Entente“, der Druck und die Einmischung des faschistischen Italiens. Die Nationalsozialistische Bewegung in Deutschland griff auch auf Österreich über und bedrohte die Eigenständigkeit Österreichs in zunehmendem Maße, während die Bereitschaft der Westmächte, Österreich beizustehen, immer mehr schwand.

3. In einer derartigen Situation kam es zu den bedauerlichen Ereignissen des 4. März 1933 durch die Selbstausschaltung des Parlaments infolge des Rücktritts aller drei Präsidenten des Nationalrates. Die Flottmachung des Parlaments mit Hilfe des Notverordnungsrechtes des Bundespräsidenten gemäß Art. 18 B-VG, war nicht möglich, weil sich die Parteien nicht einigen konnten und die Regierung keinen für die Notverordnung erforderlichen Antrag stellte.

War nun das wichtigste Organ der Republik aktionsunfähig geworden, so konnte Miklas auch nicht das Rücktrittsangebot Dollfuß' und seiner Regierung am 7. März 1933 annehmen. „Er könne es vor der Allgemeinheit nicht verantworten, daß gerade jetzt, in einem Augenblick, da ohnedies der gesetzgebende Körper gelähmt sei, auch noch eine Regierungskrise die politische Lage aufs äußerste kompliziere*.“ Weitere Gründe der Ablehnung der Demission waren, daß Miklas keinen geeigneten Kanzlerkandidaten gefunden hätte, der sich auf eine Machtposition hätte berufen können. Außerdem war auch zu diesem Zeitpunkt die Regierung Dollfuß noch willens, in der verwirrten rechtlichen und politischen Situation das Parlament, allerdings nach allseitiger Zusage einer Reform, flott zu machen. Für die Ablehnung der Demission war aber auch der Wahlsieg der Nationalsozialisten am

5. März 1933 in Deutschland und der zu befürchtende Auftrieb dieser Bewegung in Österreich maßgebend, demgegenüber nur eine starke Regierung einen Widerpart abgeben konnte.

4. Die latente Gegensätzlichkeit der zwei großen politischen Gruppen brachte es auch mit sich, daß Miklas nach dem Wahlsieg der Sozialdemokratischen Partei Ende 1930 (diese Partei hatte ihre Mandatszahl von 71 auf 72 erhöhen können, wogegen die Christlichsoziale Partei von 73 auf 66 Mandate zurückfiel, der von Schober geführte Wirtschaftsblock 19 und der Heimatblock 8 Mandate erhielt) nicht einen Kandidaten der stärksten Partei mit der Regierungsbildung beauftragte, weil die Sozialdemokratische Partei nicht die absolute Mehrheit besaß und auch keine funktionsfähige Regierung hätte bilden können. Dem von Miklas beauftragten Demokraten Ender ist es gelungen (unter Ausschaltung des Heimatblocks), eine Regierung aus Christlichsozialen und Wirtschaftsblock (66 + 19 = 85) zu bilden.

Eine ähnliche Situation ergab sich im übrigen auch vor wenigen Jahren in der deutschen Bundesrepublik.

5. Miklas hätte 1938 nicht zurücktreten, sondern ins Exil gehen sollen, um die Kontinuität der Eigenständigkeit Österreichs sicherzustellen.

Dies wäre faktisch gar nicht möglich gewesen, denn als Miklas am frühen Nachmittag des 11. März 1938 dringend in das Bundeskanzleramt gerufen wurde und dort bis Mitternacht verhandelte, stand er bereits unter Bewachung von NS-Leuten. Die Rückkehr um Mitternacht aus dem Bundeskanzleramt in die ihm zur Verfügung gestellte Dienstwohnung vollzog sich unter Bedeckung eines SS-Kommandos unter Führung von Skorzeny, dem späteren Mussolini-Befreier. Auch persönlich blieb Miklas unter ständiger Bewachung. Sein Rücktritt war notwendig, weil er das Verlangen, das Anschlußgesetz zu unterzeichnen, abgelehnt hatte.

Aber auch ohne die vorhin geschilderte Zwangslage hätte Miklas sein Vaterland und seine Familie, an die er übrigens nach seinen wiederholten Äußerungen in den kritischen Tagen des März 1938 nicht gedacht hatte, niemals verlassen.

“ Pr.Ka.Akt Nr. 2521/1933 über die Unterredung Mlklas-Dollfuß, zitiert in Dissertation Dr. Hilde Verena Lang. Wien 1972 Seite 16.

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