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Gesucht: Der neue Konsens

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Die Republik gerät aus allen Fugen - so die weitverbreitete Meinung. Was ist zu tun? Nach Bernd Schil-cher (FURCHE 7/1985) ein weiterer Diskussionsbeitrag.

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Die Republik gerät aus allen Fugen - so die weitverbreitete Meinung. Was ist zu tun? Nach Bernd Schil-cher (FURCHE 7/1985) ein weiterer Diskussionsbeitrag.

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Es haben sich nach dem Zweiten Weltkrieg so etwas wie „unbestrittene Dinge” herauskristallisiert, auf welcher Basis dieses Land aufgebaut wurde: t

Nie dürfe man einander wieder so feindlich gegenüberstehen wie in der Ersten Republik, der „Anti-Faschismus” war ein verbindlicher - wenn auch nicht schriftlich festgelegter - Kanon, auf dem man als positive Alternative die Demokratie aufbaute.

Und diese Demokratie wurde nicht nur als formales, nach den Gesetzen der Mathematik und von Mehrheit und Minderheit aufgebautes Prinzip verstanden, sondern legte einer Mehrheit neben der Verantwortung zum Handeln auch die Verpflichtung zum Verhandeln mit anderen Gruppen auf.

Eine weitere unbestrittene Tatsache — ein Grundkonsens — aller politischen Gruppierungen bestand in der gemeinsamen Anstrengung des Wiederaufbaues und in seiner Folge des Wohlfahrtsstaats.

Es ging so weit, daß Glück zu einer Art politischer Kategorie wurde, wobei die Bürger von der Politik die „Herbeiführung des Glückszustands” erwarteten.

Dieser Grundkonsens ist aus mehreren Gründen brüchig geworden: Die Nachkriegsgenerati-6n rückt in politische Positionen nach; sie kennt den Nationalsozialismus nur mehr aus den Geschichtsbüchern.

Aber auch der Grundkonsens „Demokratie” geriet ins Wanken. Um ihre Macht zu stabilisieren und die österreichische Volkspartei (die immerhin fast die Hälfte der Bevölkerung repräsentiert) davon fernzuhalten, hat die Sozialistische Partei die Freiheitliche Partei salonfähig gemacht — was eines jener ungeschriebenen österreichischen Grundgesetze verletzte.

Demokratie verkehrt sich immer stärker zu einem formal aufgefaßten Mehrheitsprinzip, bei dem „die anderen” eben nichts zu reden haben.

Dieser Parteiegoismus, der den Blick auf das Gesamtwohl des Landes längst aufgegeben hat und sich auf Kosten dieses öffentlichen Interesses persönlich bereichert, ist nur eine Analogie des moralischen Zustands der Gesellschaft insgesamt.

Denn es gibt keine „politische Moral”, die besonders für Politiker gut. Jeder elitäre Anspruch an die Politik — und sei es auch der Anspruch einer elitären Moral — widerspräche ja dem Prinzip der Demokratie. Mehr Moral in die Poütik zu bringen wäre daher nicht nur Sache der Politiker, sondern Sache aller. Die Morali-tät der täglich ablaufenden Politik kann nur getragen werden von der gelebten Moral des sozialen Alltags.

Der letzte ins Wanken geratene Grundkonsens ist jener nach Erlangung des Glücks. Die Diskussion um den Bau von Kraftwerken, die Errichtung von Großprojekten, den Einsatz von Atomstrom, die Produktion und Verwendung gefährlicher chemischer Mittel, die immer heftiger und verbissener geführt wird, zeigt tiefe ge-sellschaftliche Risse.

Es ist eine Polarisierung zwischen den Vertretern des „alten Weges”, die glauben, daß das höchste Ziel die Steigerung des

Wirtschaftswachstums ist, und den Vertretern eines „neuen Weges”, die die Ansicht vertreten, daß mehr Wohlstand nicht zu größerer Zufriedenheit und Glück geführt hat.

Die Folgen dieses mangelnden Grundkonsenses, eines gemeinsamen Ziels, das unbestritten ist und für das sich alle politischen Gruppierungen einsetzen, ist ein abnehmendes Vertrauen in die Problemlösungsfähigkeit des politischen Systems und der traditionellen Parteien im besonderen.

Entsprechend den Veränderungen der politischen Landschaft — hervorgerufen durch wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wertewandel — sollte ein neues Grundverständnis jene Bereiche betreffen, die für alle politischen Gruppierungen gleichermaßen bindend sind und die deswegen aus dem Prinzip der Konkurrenzdemokratie herausgehalten werden sollen.

Das Prinzip der Sicherung der Umwelt zum Beispiel ist nicht konkurrenz- bzw. kompromißfähig: es gibt eben nur Luft, die gesund erhält oder die krank macht.

Das Prinzip der Mitsprache des Bürgers müßte in einer Demokratie, in der das Recht vom Volke ausgeht, eigentlich unbestritten sein. Und dennoch hat gerade der Fall Hainburg gezeigt, wie rechtlos selbst die unmittelbar Betroffenen sind.

Die stärkere Mitsprache des

Bürgers muß vom Persönlichkeitswahlrecht ausgehen, die Instrumente der direkten Demokratie wie Volksbefragung, -begehren, -abstimmung auch wirklich möglich machen und bis zu neuen Modellen der Mitbestimmung bei der Planung reichen.

Analog dem Prinzip nach mehr Mitsprache des Bürgers müßte es ein Prinzip des „Staatsrückzugs” bzw. einen neuen Katalog der Aufgaben der öffentlichen Hand geben, wie sie Egon Matzner in seinem Buch „Der Wohlfahrtsstaat von morgen” bereits einmal skizziert hat.

Es geht hier einerseits um eine Rücknahme öffentlicher Intervention in vielen Bereichen, andererseits um eine neue Formulierung im Verhältnis von Bürger — Staat — Wirtschaft, die zu einer Umorientierung der Ziele öffentlicher Einflußnahme und der Uberwindung bürokratischer Institutionen führt.

In dem Buch „Plädoyer für eine neue Kultur der Politik” gehen die Autoren Rosanvallon und Vi-veret von der These eines fundamentalen Wandels in der Auffassung der Politik aus.

Während traditionelle Politik aus dem Kampf um die Macht und Forderungen an den Staat besteht, die sich zwischen „links” und „rechts” nur in Zusammensetzung und Höhe unterscheiden, ist die Politik im neu verstandenen Sinn eine Auseinandersetzung über das Ensemble der Probleme der Gesellschaft.

Das bedeutet auch ein Abgehen vom dauernden Schielen nach Wählerstimmen, das die Parteien in ihrer Problemlösungskapazität hemmt. Ihre Aufgabe ist die eines Vermittlers und Initiators zwischen den Bürgern und den Bedürfnissen autonomer Gruppen auf der einen Seite und der staatlichen Verwaltung und der Regierung auf der anderen.

Es ist eine Politik, die davon abgeht, den Staat als den alleinigen Löser gesellschaftlicher Probleme zu sehen, hingegen Vertrauen in den Bürger und seine Fähigkeit zur Solidarität setzt.

Der Autor ist OVP-Landtagsabgeordneter und Gemeinderat in Wien.

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