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Getrennt diktieren, vereint wirtschaften

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Das Modewort in Lateinamerika heißt „bilateraler Pluralismus“. Zwar sprechen die Auguren in Washington davon, daß Carter einen Entwicklungsplan vorbereite, der nicht wie jener Kennedys „Allianz für den Fortschritt“ heißen, sie aber in Wirklichkeit wiederholen werde. Dem steht die gegenteilige Ankündigung entgegen, daß Carter seine kontinentale Politik nicht mit der Gesamtheit der Staaten, sondern mit den einzelnen Ländern je nach ihrer ideologischen Haltung und sozialen Gesittung abstimmen wolle. Die „Allianz für den Fortschritt“ ist vor allem daran gescheitert, daß die begünstigten Staaten ihre Beiträge zu den Entwicklungsprojekten nicht aufbringen konnten. Diese Situation hat sich inzwischen nur noch verschärft. Auch die „Großen“, Argentinien, Brasilien und Mexiko, sehen sich außerstande, ihre Schulden bei den nordamerikanischen Banken zu begleichen. Auch ist es völlig utopisch, anzunehmen, daß der nordamerikanische Kongreß Riesensummen, wie etwa 18 Milliarden Dollar für das Atom-U-Boot-Projekt „Tridente“ zur Sanierung Lateinamerikas bewilligen könnte. Carter mag die Auslandshilfe verändern und verstärken - als ein wesentlicher Faktor für die Entwicklung des südlichen Halbkontinents ist sie nicht von entscheidender Bedeutung.

Gleichzeitig erkennt man in Lateinamerika, daß die multinationale Integrationsbewegung nicht vorwärtskommt. Die größte Organisation, die „Lateinamerikanische Freihandels- zonen-Vereinigung“ („ALALC“ ist seit Jahren gelähmt; der „Andinen- Pakt“ ist seit dem Austritt Chiles ein Torso. Die neue „SELA“ („Sistema Econömico Latinoamericano“) mit dem Sitz in Caracas gibt schon kurz nach ihrer Geburt nur schwache Lebenszeichen von sich.

Trotzdem ist den Lateinamerika-, nern .bewußt, daß sie in einem wirtschaftlichen und sozio-politischen Alleingang“ umher’ weiter zurückfallen • müssen. Sie suchen deshalb einen Mittelweg zwischen dem zonalen Zusammenschluß und der Isolierung und finden ihn in bilateraler Annäherung.

Dabei spielt die Konkurrenz zwischen Brasilien und Argentinien eine entscheidende Rolle. Vor 50 Jahren war Argentinien wirtschaftlich doppelt so stark wie Brasilien, jetzt hat sich das Verhältnis umgekehrt. Brasi lien - an Ausdehnung ein Kontinent für sich - hat ein dreimal größeres Wirtschaftspotential als Argentinien. An diesem Verhältnis wird sich kaum etwas ändern; aber Argentinien, das durch Inflation und Guerrilla in höchstem Maße geschwächt ist, will sich nicht ganz von der Bildfläche verdrängen lassen.

Der argentinische Präsident, Generalleutnant Videla, hat den uruguayischen Präsidenten Dr. Mėndez bei der Einweihung einer gemeinsam errichteten Brücke über den Uruguay-Fluß getroffen, seinen bolivianischen Kollegen General Banzer einen Besuch in La Paz abgestattet, war beim chilenischen Präsidenten General Pinochet und beim paraguayischen General Stroessner. Fast gleichzeitig traf der brasilianische Präsident, General Geisel, den peruanischen General Morales Bermüdez auf dem Amazonas. Diese Begegnungen widersprechen dem Panorama der zwischenstaatlichen Beziehungen Lateinamerikas, wie es sich im Laufe der Geschichte entwik- kelt hat. Immer galt der Nachbar als potentieller Gegner und dessen Anlieger auf der anderen Seite als der machtpolitische Freund. So bildeten Chile und Argentinien eine Front gegen Brasilien, so sah Perü seinen Gegner in Chile und seinen Bundesgenossen in Ecuador, während dieses Land wieder Perü als seinen Gegenspieler und Brasilien als Alliierten betrachtete.

Manche Beobachter erwarteten, daß die von großer Publicity begleiteten Treffen zur Bildung einer starken lateinamerikanischen Einheitsfront der Diktatoren führen würden, was dan i Probleme sowohl für Washington wie für Moskau hätte aufwerfen können. So war es denn eine Überraschung, wie scharf die Präsidenten jede politische Bindung ablehnten und eine „ideologische und politische Pluralität“, proklamierten. Sie sin(l auf innerpolitischem Gebiet sehr verschiedener Ansicht darüber, ob, wann und wie sie’-die zivilen Kräfte wieder an der Macht beteiligen wollen und weichen außenpolitisch in ihrer Haltung zu den Großmächten ab. Chile mit seiner Feindschaft gegenüber Moskau und, seiner Brüskierung Washingtons auf der einen Seite, und Perü mit den guten Beziehungen zu Moskau auf der anderen, dürften die beiden Pole der breiten Skala darstellen.

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