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Getrennt marschieren

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Franz Josef Strauß sorgt wieder für Schlagzeilen. Die Aufkündigung der

Fraktionsgemeinschaft zwischen CDU und CSU, nach netto zwölf Stunden harter Debatte im alten Wittelsbacher Schloß Wildbad Kreuth am Tegernsee beschlossen, hat nicht nur den politischen Gegner überrascht. Vor den Kopf gestoßen fühlte sich nicht zu Unrecht vor allem der bisherige Partner Helmuth Kohl, der bereits sicher mit einer Neuauflage der engen Zusammenarbeit gerechnet hatte. Überrascht waren auch alle andern Funktionäre der CSU außerhalb des 50-Mann-Teams der Bundestagsfraktion, von der 30 für und 18 gegen den Beschluß gestimmt hatten. Der Beobachter aber fragt nach den Motiven, den Hintergründen, nach den zu erwartenden Folgen des sensationellen Schritts, bei dem nach den vorausgegangenen Geplänkeln der letzten Wochen fast mehr Zeitpunkt und Form als die Tatsache selbst überraschen mußten.

Auslösendes Moment des Entschlusses, nach fast drei Jahrzehnten Gemeinsamkeit auf Distanz vom Partner zu gehen, war der Wahlausgang am dritten Oktober. Den eindeutigen, weit über die bayrischen Grenzen hinausreichenden Erfolgen im Süden stand ein wesentlich schwächeres Abschneiden der CDU im Norden gegenüber. Hatte dort der harte Wahlkampf eines Strauß potentielle Wähler abgeschreckt? Hatte umgekehrt das behutsamere, koalitionsfreundliche Vorgehen der CDU-Politiker sie verstört? Die Meinungen gingen auseinander. Vielleicht hätte ein Wählerprozent mehr, hätte ein auf eine absolute Mehrheit der Union gestützter Regierungswechsel die schon oft zerstrittenen Fraktionspartner wieder zusammengeführt. Ohne dieses Prozent mußten die Differenzen erneut ausbrechen, auf die knappe Formel gebracht: Harter Kurs auch gegen die FDP mit dem Ziel einer absoluten Mehrheit der Union bei den nächsten Wahlen oder FDP-freundlicher Kurs mit dem Ziel, die Links-Koalition durch Aufweichung zur Halbzeit durch eine Rechtskoalition abzulösen.

Im Hintergrund dieser Dissonanzen aber schwingt ein anderes Element mit - ein Element der Desintegration dessen, was man einst „Deutschland“ nannte. Die Anerkennung der staatlichen Teilung in Ost und West durch die Ostverträge mußte, auch wenn die Rechte sie nicht zur Kenntnis nehmen will, ihre psychologischen Folgen haben. Gegen die zunehmenden zentrali-stischen Tendenzen der SPD-FDP-Koalition wächst der Widerstand des vor allem in Bayern hochgehaltenen Föderalismus. Im Wahlausgang spiegelte sich die Konfrontation des bayrisch-katholisch-konservativen Südens mit dem niederdeutsch-protestantisch-liberalen Norden wider (womit nicht behauptet werden soll, daß es in Bayern keine Evangelischen und Liberalen, im Norden keine Katholiken und Konservativen gäbe). Trotz aller Völkerwanderungen der letzten Jahrzehnte hat sich an diesen sozialpsychologischen Komponenten wenig geändert.

Was aber nun? Die erste Folge der Trennung in zwei selbständige Fraktionen der CDU und der CSU im Bundestag in Bonn wird sein, daß nun nicht Karl Carstens von der CDU den Vorsitz im Bundestag übernimmt. Nun ist die SPD die stärkste Partei, die wohl wieder Annemarie Renger als Präsidentin nominieren wird. Daß nun auch kein CSU-Mann Chancen hat, als Kandidat für den Bundespräsidenten im nächsten Jahr aufgestellt zu werden, dürfte angesichts der geringen Erfolgschancen zu verschmerzen sein. Dafür erhofft sich die CSU verbesserte Arbeitsbedingungen im Parlament selbst: die Opposition werde getrennt mehr Redezeit haben als bisher; die CSU erhält als selbständige Fraktion den Sockelbetrag zur Aufwandfinanzierung, den die gemeinsame nur einmal erhielt. Zwei Vizepräsidenten der CDU und einer der CSU würden nun den dreien der Koalition gegenübersitzen; bisher war das Verhältnis zwei zu drei zugunsten der Regierungsparteien.

Aber das sind doch wohl nur vordergründige Vorteile. Auch wenn Strauß meinte, er werde nichts tun in Richtung einer „vierten Partei“ - also die CSU nach Norden ausgreifen zu lassen -, dürfte dies nicht lange auf sich warten lassen, da ja auch in der CDU nun die Lust wächst, es in Bayern selbst zu versuchen. Sie könnte sich ausrechnen, dort nicht nur einen Teil der Strauß-Wähler an sich zu ziehen, sondern auch jene, die von der AntiStrauß-Propaganda zur FDP gedrängt worden waren, einer „Strauß-freien“ CDU aber lieber die Stimme gäben, als einer an der SPD hängenden Kleinpartei. Umgekehrt kalkulieren die Proponenten einer „Vierten Partei“, mit Strauß an der Spitze, im Norden alle jene auffangen zu können, denen die CDU zu weit nach links abgerutscht schien und die daher lieber den Liberalen in der FDP ihre Stimme gaben.

Bevor sich aber bei den nächsten Wahlen, 1980 - wenn nicht vorher schon bei Landtagswahlen -, wohl bedeutsame Verschiebungen im Wählerreservoir aller Parteien ergeben können, müßte die Trennung ihre Folgen auch im Bundestag selbst haben. Auch hier dürften wohl etliche Abgeordnete von einer Fraktion in die andere überwechseln - die Endverteilung der Sitze zwischen beiden „C“-Parteien scheint damit gar nicht so sicher. Die CDU ohne ihre rechte „Aufpasserin“ wird wohl ihre Politik eines konzilianten Vorgehens gegenüber der FDP mit dem Ziel einer Koalition mit dieser verstärken, was sicherlich in Niedersachsen wie im Saarland bald Erfolge brächte - ob diese dann auch ihre Folgen auf die Bundesregierung hätten, scheint dagegen zweifelhaft. Eine nach links ziehende CDU könnte aber auch an einer Koalition mit der SPD Geschmack gewinnen, was der Regierung die Möglichkeit gäbe, angesichts unerläßlicher unpopulärer Maßnahmen die Basis zu vergrößern. Und damit die Kluft zwischen CDU und CSU noch zu erweitern.

Wenn auch alle diese Kombinationen noch als Sandkastenspiele angesehen werden müssen - eines ist voraussehbar: wenn der Beschluß von Wildbad Kreuth nicht nur ein Warnschuß vor den Bug der CDU sein sollte - und dazu gibt es kaum einen Anhaltspunkt-, dann wird er zu einem Aufbrechen verkrusteter Strukturen führen, nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland. Ob es möglich sein wird, nach dem „getrennt Marschieren!“ dann doch wieder „vereint zu schlagen“, was Strauß als seine Absicht kundtat, wird abzuwarten sein. Eher zu erwarten scheint, daß das Gegenüber zweier fast gleichstarker Blöcke der Linken und Rechten ins Wanken kommt, vielleicht zugunsten einer Aufgliederung in eine farbenreichere Palette, die auch auf der Linken neue Farbtupfen aufkommen lassen könnte. Solche Umwälzungen im Herzen Europas können nicht ohne Folgewirkungen in der weiteren und näheren Nachbarschaft bleiben, wo ähnlich verkrustete Strukturen der Politik ihren Stempel aufdrücken.

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