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Getrübter Himmel

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Die ersten freien Wahlen seit 44 Jahren verliefen in der Tschecho-Slowakei nicht so sanft, wie sich das die Revolution ge- wünscht hätte. Und ohne Überra- schungen, sogar ganz großen, sind sie auch nicht geblieben.

Von vornherein war klar, daß die wichtigsten Bewegungen - das „Bürgerforum" in der Tschechi- schen Republik und „Öffentlich- keit gegen Gewalt" in der Slowaki- schen Republik - die Wahlsieger sein werden. Man hat jedoch mit einem viel klareren Sieg gerechnet.

Für das tschechische Parlament hat das „Bürgerforum" 49,5 Pro- zent der Stimmen erhalten, seine slowakische Schwesterbewegung für das Parlament in Bratislava sogar nur 29,34 Prozent. Im Föde- rativen Parlament werden diese Bewegungen keine Probleme in der Volkskammer haben, in der sie mit 53,15 Prozent die Mehrheit besitzen. In der Kammer der Nationen sitzen jedoch je 75 Abgeordnete aus dem tschechischen und dem slowaki- schen Teil. Eine Zusammengehen der beiden Teile ist bei Abstim- mungen nicht zugelassen.

Man muß wissen, daß für die Verabschiedung eines Verfassungs- gesetzes eine Drei-Fünftel-Mehr- heit notwendig ist. Die slowakische Bewegung „Öffentlichkeit gegen Gewalt" ist aber in die Kammer der Nationen nur mit 37,28 Prozent der Stimmen gekommen, die Kommu- nisten mit 13,43, die Christdemo- kraten mit 16,66, die rechtsstehen- de Slowakische Nationalpartei mit überraschenden 11,44 und die ungarische Partei des Zusammen- lebens „Együtteles" sogar mit 8,49 Prozent. Wenn hier keine vernünf- tige Koalition entsteht, ist das Fö- derative Parlament arbeitsunfähig.

Im tschechischen Teil der Na- tionenkammer geht's auch nicht ganz ohne Probleme ab. Das „Bür- gerf orum" kann zwar ein überlege- nes Ergebnis vorweisen, ist mit 49,96 Prozent aber auch nicht über die notwendige Hälfte der Gesamt- anzahl der Stimmen gekommen. Überraschend viele Bürger der Tschechischen Republik haben den Kommunisten ihre Stimme gegeben -13,8 Prozent, überraschend wenig der Christlichdemokratischen Uni- on - 8,75 Prozent; eine Bewegung, die sich für die Rechte der Mährer und Schlesier einsetzt hat 9,1 Pro- zent erhalten. Damit wären die Überraschungen vorerst komplett.

Für das Slowakische Parlament in Bratislava galt eine Drei-Pro- zent-Klausel, und die konnten sie- ben Parteien überspringen. Da je- doch keine dieser Parteien mehr als 30 Prozent erreicht hat, wird auch die Bildung der neuen slowakischen Regierung nicht einfach sein. Um Kommunisten und Nationalisten in der Opposition zu belassen, muß die Bewegung „Öffentlichkeit ge- gen Gewalt" eine Koalition mit den Christdemokraten, die trotz gün- stigen Prognosen nur 19,2 Prozent erhielten, mit den Grünen, die mit

3.48 Prozent knapp über die Hür- den kamen, und vielleicht mit der Demokratischen Partei, die mit nur

4.49 Prozent ins Preßburger Parla- ment gewählt wurde, eingehen.

In der Tschechischen Republik kommen nur vier Parteien ins Hohe Haus, da für dieses Parlament (ebenso wie für das föderative) eine Fünf-Prozent-Klausel zu über- springen war. Das „Bürgerforum" erhielt - wie oben erwähnt - 49,5 Prozent, die KPtsch 13,28, die Bewegung der Mährer und Schle- sier 10 und die CDU 8,42 Prozent

Ein weiterer Blitz aus heiterem Himmel traf in Bratislava alle Anhänger der Bewegung „Öffent- lichkeit gegen Gewalt". Nach der Schließung der Wahllokale wurde durch die Nachrichtenagentur CTK bekannt, daß der Anführer der Bewegung, Jan Budaj, der künftige Präsident des Slowakischen Parla- ments, zurückgetreten ist - und zwar wegen seiner seinerzeitigen Unter- schrift, zur Zusammenarbeit mit der Geheimpolizei bereit zu sein. Nach seiner - überzeugend klingenden - Erklärung, habe er dies 1979 nur deswegen getan, um einen Reisepa 1 zu erhalten. Er ist auch nach Erhalt dieses Dokuments für kurze Zeit über Rumänien emigriert. In seine Heimat zurückgekehrt, hat er mit Dissidenten zusammengearbeitet und wurde bei einem Versuch, Samisdat-Literatur aus Polen in die Tschecho-Slowakei zu schaffen ver- haftet und seit 1981 nicht mehr in den Akten als Geheimdienstmitar- beiter geführt. Wie auch bei ande- ren Fällen sind seine Aktenbündel nicht auffindbar.

Viele meinen, man habe diese, Budajs Unschuld beweisenden Papiere verbrannt, andere sind überzeugt, sie seien in Moskau oder in der Tschecho-Slowakei von be- stimmten Kräften versteckt wor- den, um sie bei einer günstigen Gelegenheit gebrauchen zu können.

Die Wahlen in der CSFR sind vorbei: Die Zukunft des Landes liegt jetzt in den Händen der Abgeord- neten. Tschechen und Slowaken haben in zwei Jahren die Möglich- keit, Wahlfehler zu korrigieren. Sie müssen noch viel lernen, um die Demokratie hier heimisch zu ma- chen. Die „sanften Revolutionäre" haben ihr Versprechen jedenfalls eingelöst, die Bevölkerung zu frei- en Wahlen zu führen.

Der Autor ist Präsident des slowakischen Journalistenverbandes.

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