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Gewaltentrennung in Österreich: Nicht nur Schönheitsfehler

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Als kürzlich der Bundeskanzler in einer Diskussion die Gewaltentrennung zumindest bezüglich der Tren-. nung von Legislative und Exekutive als überholt bezeichnete, führte dies zu einigen Kommentaren und Reaktionen. Zum Schutz der Steuerpflichtigen müsse die Trennung von Legislative und Exekutive unbedingt aufrechtbleiben, erklärte der Präsident der Kammer der Wirtschaftstreuhän-der, Burkert, weil sonst der Steuerzahler im Steuerverfahren um die Gleichberechtigung gegenüber der Finanzbehörde gebracht würde. Schon jetzt sei eine Uberprivüegierung der Finanzbehörden festzustellen.

Wahrscheinlich wollte Kreisky mit seiner knappen Bemerkung nur eine Diagnose stellen. Er hat sie noch damit illustriert, daß etwa in Sozialversicherungssachen de facto jene Experten die Gesetze machen, die sie dann auch auszuführen haben. Einmal mehr ist damit aber ein Problemkreis angesprochen, der intensiverer Diskussion bedarf.

Sieht man von Aristoteles und John Locke ab, war es vor allem Montesquieu, der in seinem 1748 erschienenen Werk „De l'Esprit des Lois“ die Gewaltentrennung postuliert hat. Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit sollten inhaltlich getrennt und von verschiedenen Organen ausgeübt werden. Das Gesetzgebungsorgan sollte weder verwalten noch Recht sprechen, desgleichen sollten die Verwaltungsorgane nur verwalten und die Gerichte nur Recht sprechen. Montesquieu wollte die'Ge-waltentrennung nicht bloß einfach beschreiben, er hat sie vielmehr als politische Forderung aufgestellt: Wenn in einem Staat die Freiheit der Bürger oberstes Ziel sei, müsse die Gewaltentrennung realisiert werden. In einem absoluten Staat sei es anders.

In keinem Staat wurden seither Montesquieus Gedanken voll und ganz realisiert. Auch in Österreich ist dies, solange es hier geschriebene Verfassungen gibt, nie der Fall gewesen. Gerade das im wesentlichen immer noch geltende Bundesverfassungsgesetz von 1920 hat die Gewaltentrennung, die hier übrigens nur für die Relation Justiz - Verwaltung ausdrücklich normiert ist, bloß formell-organisatorisch realisiert. Materielle Uber-schneidungen sind also in erheblichem Maße zugelassen: Die Organe der Gesetzgebung werden, inhaltlich gesehen, auch in der Verwaltung tätig. Verwaltungsorgane setzen bei Erlassung von Verordnungen Akte, die inhaltlich der Gesetzgebung zuzurechnen sind, und werden darüber hinaus auch in der Rechtsprechung tätig. Freilich wäre eine im Sinne Montes-quieus Platz greifende, völlige Trennung gar nicht wünschenswert, weil dabei der Staat in einzelne Organkomplexe zerreißen könnte. Ein Mindestmaß an Gewaltenverschränkung und funktionell-organisatorischer Uberschneidung ist geboten.

Kreisky hat nur einen einzigen Punkt, in dem die Gewaltentrennung zwischen Gesetzgebung und Verwaltung nicht mehr funktioniert, herausgegriffen. Es hängt damit zusammen, daß sich seit Montesquieu Gesellschaft und Wirtschaft immer schneller entwickelt und immer mehr kompliziert haben und der moderne Staat in nahezu alle Lebensverhältnisse eingreifen will. Eine sehr umfangreiche, vor allem aber komplizierte Gesetzgebung ist die Folge. Der heutige Abgeordnete müßte wahrlich ein moderner Leibniz sein, um sich in allem zurechtzufinden. So ist seine Abhängigkeit von Experten immer größer geworden. Das bedeutet aber auch eine starke Abhängigkeit der Abgeordneten von den Ministerien, wo ein Großteü der Gesetzentwürfe vorbereitet wird. Der Aufbau eines sachkundigen parlamentarischen Hilfsapparates, der den einzelnen Abgeordneten und Fraktionen zur Verfügung stünde, könnte hier einige Abhilfe schaffen In Österreich steckt das alles freilich noch in den Kinderschuhen, weshalb dem Einsatz der Verbände und ihrer Experten um so mehr Bedeutung zukommt.

Die Gewaltentrennung zwischen Gesetzgebung und Verwaltung funktioniert aber auch in anderer Hinsicht nur noch beschränkt. Wenn eine Partei im Parlament die absolute Mehrheit hat und die Regierung allein bildet, ist das Spannungsverhältnis zwischen Parlament und Regierung stark reduziert. Nur bei Verfassungsgesetzen benötigt die Regierungspartei zumindest gegenwärtig in Österreich einen großen Teil der Opposition. Sonst aber dominiert der Wille der Regierungspartei Parlament und Regierung und mit dieser die gesamte Verwaltung in gleicher Weise. Letztlich fallen die Entscheidungen weder im Parlament noch in der Regierung, sondern in der Zentrale der Regierungspartei. Das System der checks and balances, der Zügel und Gleichgewichte, wie es den Vätern der Gewaltentrennung vorschwebte, ist kaum noch zu erkennen. Die Ubermacht des Staates, die durch dieses System ausgeschlossen, zumindest aber begrenzt werden sollte, rückt in bedrohliche Nähe. Forscht man nach Abhilfe, wird in der verfassungspolitischen Diskussion allerorten ein Ausbau der Rechte der parlamentarischen Opposition angeboten. In Österreich konnten durch die Bundesverfassungsnovelle von 1975 und das damit einhergehende National-ratsgeschäftsordnungsgesetz einige Fortschritte erzielt werden. Wunder darf man sich aber dabei nicht erwarten. Nützt doch selbst die massivste Initiative der parlamentarischen Opposition etwa dann nur wenig, wenn regierungsabhängige Massenmedien den Transport der diesbezüglichen Informationen zu den breiten Wählerschichten manipulieren.

In einem Punkt dürfte es sinnvoll sein, an der Gewaltentrennung alter Prägung strikte festzuhalten, nämlich an einer in jeder Hinsicht unabhängigen Gerichtsbarkeit Das gilt vor allem für die keiner Kontrolle unterliegenden Höchstgerichte. Die Bestellungsmechanismen müssen hier so reformiert werden, daß jegliche Einflußnahme auf die Richter ausgeschlossen ist. Im übrigen sollten die zuvor dargestellten Maßnahmen, wie Stärkung des parlamentarischen Hilfsapparates und der Rechte der parlamentarischen Opposition, zwar intensiv weiterverfolgt werden, doch sollte man nicht der Illusion erliegen, damit eine Gewaltentrennung ä la Montesquieu voll und ganz wiederherstellen zu können.

Was aber not tut, ist die Wiederbesinnung auf das Grundanliegen der Gewaltentrennung, nämlich die Garantie der Freiheit der Bürger. Hier müßte trotz aller weltanschaulichen Gegensätze die^rbeit an einem neuen Grundrechtskatalog vorangetrieben werden, der mit Eingriffsmöglichkeiten des einfachen Gesetzgebers sparsamer umgeht und die Position des Individuums gegenüber dem Staat nicht nur formal absichert. Bedauerlicherweise scheinen die noch unter der Regierung Klaus eingeleiteten Vorarbeiten in den letzten Jahren fast zum Stillstand gekommen zu sein. Aber auch ein wirksamer Grundrechtsschutz würde nur wenig nützen, wenn dem zuständigen Höchstgericht ein materielles Grundrechtsverständnis fehlen sollte.

Da die bisher aufgezeichneten Maßnahmen nur teilweise Erfolg versprechen, wären neue Dimensionen der Gewaltentrennung zu überlegen Gerade in Österreich kommen zwei Aspekte in Betracht. Sie ergeben sich aus dem stark ausgebauten Verbändewesen und der föderalistischen Struktur unseres Landes. Immer wieder sind vor allem wirtschaftliche Spitzenverbände in der Lage, gegen das Zusammenspiel von Regierung und Parlamentsmehrheit.aufzutreten und Alternativen anzubieten. Auch im Interesse einer wirksamen Gewaltentrennung ist die Funktion von Bedeutung, ohne daß deshalb von „Nebenregierung“ und „Nebenparlament“ die Rede sein soll. Die letzte Kompetenz der verfassungsmäßig vorgesehenen Staatsorgane bleibt außer Streit. Zu den Voraussetzungen für eine solche Tätigkeit von Großverbänden, die letztlich auch im Gemeinwohl liegt, gehört allerdings ein Mindestmaß an verbandsinterner Demokratie, sollen nicht die Verbandsmitglieder ihrerseits einer zu starken Machtkonzentration unterworfen sein.

Neben dieser Funktion der Großverbände für eine Fortentwicklung der Gewaltentrennung ist die Stärkung des föderalistischen Prinzips geeignet, neue Gegengewichte im Sinne von checks and balances zu schaffen. Eine solche Reform ist mit den Anforderungen an den modernen Wirtschafts- und Leistungsstaat schon deshalb vereinbar, weil es vor allem in der Verwaltung auch heute manche Materien gibt, die im Sinne eines neubelebten Subsidiaritätsprinzips kleineren Einheiten zur autonomen Führung überlassen werden können. Ein dementsprechend gestalteter Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden müßte damit einhergehen. Die bevorstehenden Verhandlungen über den ab 1979 notwendigen neuen Finanzausgleich, aber auch die seit langem anstehende Entscheidung in der Spitalsfinanzierung sind Prüfstein auch dafür, wie ernst es den politischen Kräften um eine wirkliche Stärkung der Gewaltentrennung ist.

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