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GEWINN FÜR EUROPAISCHEN BAUCH

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Kolumbus entdeckte vor 500 Jahren Amerika, weil er auf dem Seeweg Gewürze aus Indien holen wollte, aber tatsächlich in einer neuen Welt landete. Ihm folgten die Conquistadores, die nach Gold und Silber lechzten. Manchmal, wenn die Indianer einen beutelüsternen Spanier gefangennehmen konnten, gössen sie ihm flüssiges Gold in die Kehle, um auf diese Weise den Durst des Weißen Mannes zu löschen.

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Kolumbus entdeckte vor 500 Jahren Amerika, weil er auf dem Seeweg Gewürze aus Indien holen wollte, aber tatsächlich in einer neuen Welt landete. Ihm folgten die Conquistadores, die nach Gold und Silber lechzten. Manchmal, wenn die Indianer einen beutelüsternen Spanier gefangennehmen konnten, gössen sie ihm flüssiges Gold in die Kehle, um auf diese Weise den Durst des Weißen Mannes zu löschen.

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Allerdings haben die Edelmetalle Spanien kein Glück gebracht. Spanien verarmte an der davon ausgelösten Inflation, während die Gewinne nach dem europäischen Norden abflössen und dort die industrielle Revolution in Gang setzten. Was an Gold und Silber übrigblieb, wurde in den Europäischen Kabinettskriegen verbrannt.

Die wirkliche Begegnung zwischen den Welten fand erst statt, als die Alte und die Neue einander ihre Flora und Fauna brachten.

Und just dieses Erbe, das Europas Menüs reichhaltiger und schmackhafter machte, Hungerwellen beendete und jenes Bevölkerungswachstum speiste, das den industriellen Aufschwung mittrug, ist kaum im Bewußtsein der Europäer verankert.

AHein die aus den Andenländern stammende Kartoffel, die pro Ackereinheit mehr und nährstoffreichere Ernte brachte als jede europäische Feldfrucht, ist ein Import aus der Neuen Welt, der hier und heute die Streichung aller Auslandsschulden Lateinamerikas rechtfertigen würde. Aber nicht nur das: es gäbe kein ungarisches Gulasch, keine italienische Pasta (deren Teigbestandteile ein Erbe Chinas sind), keine Polenta und keinen Maissterz, ja kein Sonnenblumenoder kräftiges Kürbiskernöl, ganz zu schweigen von unseren Genußmitteln Tabak, Schokolade oder Vanilleeis, es gäbe sie nicht ohne jenen Aus-

tausch, der wiederum Lateinamerikas würzige, aber fleischarme Speisekarten mit Rind, Schwein, Schaf, Ziege und Huhn ergänzte, aber auch mit einigen Gemüse- sowie Zwiebelarten und Oliven.

Eine eigene Geschichte, die deutlich die nur an europäischen Interessen orientierte Position Lateinamerikas als Lieferant von Kolonialwaren zeigt, sind die aus Europa gebrachten, aber nicht von hier, sondern von Arabien und Afrika kommenden Früchte Zuckerrohr, Kaffee und Banane. Der wirkliche Reichtum entstand erst, als die Europäer damit in der Karibik und in Südamerika Plantagenwirtschaften für den Export nach Europa einrichteten. Der europäische Gaumen und der europäische Bauch haben auch davon gewonnen.

Wichtig wie für Mittel- und Nordeuropa der Erdapfel und für den Mittelmeerraum der Mais wurde für die einheimischen Völker der Amerikas der europäische Import Pferd. Erst mit dem Pferd blühten die Indianerkulturen Nordamerikas und des südlichen Lateinamerikas zwischen 1780 und 1850 auf. Hatten diese Kulturen unter dem Druck weißer Modernisierung keinen Bestand, so blieben Europa Kartoffel und Mais erhalten.

Vergessen des Ursprungs

Gemeinsam ist das Vergessen des Ursprungs. In unseren Köpfen sind Pferde mit den Indianern, Erdäpfel und Mais mit unserer traditionellen Küche verbunden, oder mit den Umwegen, auf denen diese Früchte einzelne Regionen erreicht haben. Die von den Azteken in Dutzenden Arten, vorher als Unkraut in den Maisfeldem wachsenden Paradeiser gehören zu Italien, die ebenfalls aus Mexiko stammenden Paprika verbinden wir mit Ungarn, die anderen südamerikanischen Pfefferarten assoziieren wir mit Indien und das, was Mais heißt, nennen wir Kukuruz und haben dabei eine vage Vorstellung von slawischer

oder gar türkischer Herkunft. Oder auch nicht: Ein tüchtiger Landwirt bot unlängst auf einem Kärntner Eislaufsee eine, wie er sagte, in der Keltenzeit wurzelnde lokale Spezialität an; ein Biß in den köstlichen Kuchen zeigt Gerste, Hirse und - Mais!

Am schnellsten faßte der Mais, von dem Kolumbus ein Saatpaket mitgebracht hatte, im mediterranen Raum Fuß. Die Ausbreitung der unempfindlichen Pflanze (die übrigens in La-

teinamerika bereits so lange kultiviert worden ist, daß man heute nicht mit Bestimmtheit weiß, von welcher Wildpflanze sie abstammt) nach Afrika bringt jedoch bis heute Probleme, weil Mais als Hauptnahrungsmittel genossen zu Mangelerscheinungen führt. Denn im Gegensatz zu seinen Herkunftsregionen, in denen er immer mit Tomaten und Gewürzen oder Honig bereitet wird, wurde und wird er in Afrika zwar sättigend, aber ohne

solch notwendige Ergänzungen gegessen.

Besser hatte es Europa mit der Kartoffel. War die Einführung der Pflanze (die Knollen wurden sogleich importiert und als Aphrodisiakum von den Begüterten genossen und als haltbare Nahrung von Schiffsmannschaften konsumiert) eine langwierige Glashausangelegenheit, die erst nach umfangreichen Züchtungen der Habsburger aus einem tropischen Kurztagblü-her einen europäischen Langtagblü-her machte, so war die Kartoffel Mitte des 18. Jahrhundertsein vitaminreicher Hungerstiller in ganz Europa.

Während sich noch 1774 die Preußen weigerten, Erdäpfel zu essen, die Friedrich der Große wegen einer Hungersnot nach Kolberg schicken ließ (ein heutiges Pendant ist die Weigerung reisgewohnter Inder, in Notzeiten Weizen zu essen), ernährte sich ganz Irland von Kartoffeln, wo die Knolle, bis zu vier Kilo am Tag gegessen, die vitaminreiche Grundnahrung ausmachte; sosehr, daß sich die Bevölkerung auf dem kargen Eiland zwischen 1754 und 1846 verdreifachte; aber die Kartoffelpest von 1845 forderte eine Million Hungertote und löste die große Auswanderungswelle nach den USA aus.

Heute, da der Subkontinent nur noch durch eigene Entwicklung weiterkäme, wollen wir ihm just das, was er uns durch das nahrungsunterstützte Bevölkerungswachstum ehemals ermöglicht hat, nämlich Industriemo-demisierung, verbieten: weil wir über Jahrtausende hinweg unsere „grünen Lungen" abgeholzt haben, verlangen wir jetzt, daß Lateinamerika die seinen bewahre; weil wir mit unseren Emissionen, mit dem Verbrennen fossiler Brennstoffe, den Treibhauseffekt ankurbeln, verlangen wir heute, daß Lateinamerika das unterlasse.

Kurz gesagt: Auch 500 Jahre danach hat die Alte Welt, die der Neuen so viel verdankt, wenig Einsehen mit Lateinamerika.

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