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Gewinn für Niederlage

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Kurzzeit-Politiker Alexander Tollmann träumte von acht bis zehn Nationalratssitzen bei geltendem Wahlrecht, wußte aber auch sonst, was er wollte: ein Wahlrecht ohne die Hürde des Grundmandates. Dafür sollten die wahlwerbenden Gruppen nach ihrem Stimmenanteil im Nationalrat vertreten sein.

Tollmanns „Vereinte Grüne“ erreichten bei den Nationalratswahlen am 24. April bundesweit 1,89 Prozent Stimmenanteil. Das hätte — die grüne Wunschreform hypothetisch vorausgesetzt — immerhin für gut drei Mandate gereicht.

So aber sitzen im künftigen Nationalrat nach dem vorläufigen Ergebnis (das Endergebnis inklusive Wahlkarten stand bei Redaktionsschluß noch aus) 90 Mandatare der SPÖ (bisher 95), 81 Abgeordnete der ÖVP (bisher 77) und zwölf Vertreter der FPÖ (bisher elf) nebeneinander.

So einsichtig allen der Verlust der absoluten SPÖ-Mandats-

mehrheit angesichts der deutlichen Stimmeneinbußen (siehe Kasten) ist, während die ÖVP als einzige Partei mehr Stimmen und damit auch mehr Mandate für sich gewinnen konnte, so unverständlich scheint vielen der zusätzliche Mandatsgewinn der FPÖ.

Noch nie hat die FPÖ, seit sie die Nachfolge der „Wahlpartei der Unabhängigen“ bei den Nationalratswahlen 1956 angetreten hatte, in absoluten Stimmen und beim prozentuellen Stimmenanteil so schlecht abgeschnitten. Die FPÖ verlor gegenüber den Wahlen 1979 ein gutes Sechstel der Wähler — und wurde dafür mit einem zwölften Mandat belohnt.

Verzerrt die Wahlarithmetik die Wählerentscheidung? Bevorzugt das Wahlrecht ungerechtfertigterweise die FPÖ?

Den Grundstein zum Mandatsgewinn 1983 legte die kleine Oppositionspartei 1970 durch die Unterstützung der Minderheitsregierung Kreisky: dreizehn Jahre danach wurde auch sie Nutznießerin der Wahlrechtsreform.

Vor der Wahlrechtsreform, bei der auch der Nationalrat von 165 auf 183 Sitze aufgestockt wurde, waren Grundmandate „billiger“ als Restmandate; davon profitierten überproportional die beidep Großparteien. Das Wahlrecht war ausgeprägt mehrheitsfördernd.

1966 etwa erreichte die ÖVP mit einem Stimmenanteil von 48,3 Prozent 85 — also die absolute Mehrheit der — Mandate; im Verhältnis von Stimmenanteil zum Mandatsanteil war die ÖVP unter Josef Klaus mit 3,21 Prozent höherem Mandatsanteil überbewertet, Bruno Pittermanns SPÖ (42,6 Prozent, 74 Mandate) immerhin mit 2,24. Die FPÖ hingegen (5,4 Prozent, 6 Mandate) war beim Mandatsanteil mit 1,77 Prozent unterrepräsentiert.

Auch bei Bruno Kreiskys erstem Wahlerfolg 1970 zogen die Großparteien stärker als es dem

Stimmenanteil entsprochen hätte, in den Nationalrat ein, hingegen erhielt die FPÖ bei 5,52 Prozent der Stimmen nur 3,63 Prozent der Mandate.

Seit der Wahlrechtsreform - und damit seit den Nationalratswahlen 1971 — entsprach der Man- datsanteil der Freiheitlichen nahezu perfekt ihrem Stimmenanteil, während die Großparteien immerhin noch leicht profitierten.

Die Wahlen 1979 bevorzugten die SPÖ (95 Mandate, 51,03 Prozent Stimmenanteil zu 51,91 Prozent Mandatsanteil) leicht mit 0,88 Prozent, die Taus-ÖVP (77 Mandate 41,9 : 42,07 Prozent) mit 0,17 Prozent, während die Götz- FPÖ (11 Mandate, 6,06 : 6,01 Pro- j zent) minimal unterrepräsentiert war.

Bei den Nationalratswahlen vom 24. April ist die FPÖ, weil mehr Kleinparteien Stimmenanteile sammelten, erstmals mandatsmäßig überrepräsentiert- allerdings trifft das auch auf die beiden Großparteien zu.

Mit einem Stimmenanteil von 47,8 Prozent ist die SPÖ mit ihren verbleibenden 90 Mandaten anteilsmäßig um 1,38 Prozent überrepräsentiert, die ÖVP mit 1,05 Prozent (43,21 Prozent, 81 Mandate) und die FPÖ mit 1,58 Prozent (4,97 Prozent, 12 Mandate). Denn eine völlig proportionale Mandatszuteilung würde für die SPÖ nur 87,5 Sitze, für die ÖVP 79 und für die Freiheitlichen neun Mandate ergeben.

Kurzum: Das österreichische Wahlrecht für den Nationalrat mag durchaus Mängel haben, trotzdem gewährleistet es relativ große Repräsentativität, eine letztlich doch gerechte Verteilung von Mandaten gemäß den jeweiligen Stimmenanteilen. So gesehen, verzerrt der freiheitliche Mandatsgewinn vom 24. April keinesfalls unzulässig die Wählerentscheidung.

Ganz anders hingegen die Situation bei den Gemeinderatswahlen in Wien: Dort ist die SPÖ mit 61 (bisher 62) Sitzen um 5,5 Prozent stark überrepräsentiert, die ÖVP mit 37 Sitzen (bisher 35) immerhin auch noch mit 2,2 Prozent, während die FPÖ mit 2 (3) Mandaten deutlich im Wiener Landtag um 3,4 Prozent unterrepräsentiert ist.

Das allerdings ist nicht nur eine Wiener Spezialität: Bei einem hochgradig proportionalen Wahlrecht müßte die FPÖ im niederösterreichischen Landtag seit 1979 mit mindestens einem Mandatar vertreten sein; tatsächlich ist sie mit einem Stimmenanteil von 3,2 Prozent leer ausgegangen.

Im Vergleich dazu sind die Stimmenanteile im Nationalrat fast „perfekt“ auf Sitze umgelegt.

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