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Gewissmsbiß
Bei jedem Versuch, die Demokratie einzuführen oder wiedereinzuführen, wurde von wohlmeinenden Vertretern der vorangegangenen Obrigkeit ausdrücklich gewarnt: Die Demokratie kann auch nach hinten losgehen.
Die Erfahrung hat es inzwischen bewiesen: Auf das launische Volk ist sowieso kein Verlaß, denn oft stürzt es schon nach Jahrzehnten die Regierungspartei in den Hadres der Opposition, wo bekanntlich Heulen und Zähneknirschen herrscht. Wie wir inzwischen im Bundesland Schleswig-Holstein demonstriert haben, wehren sich inzwischen die demokratischen Machthaber auch schon mit Kampfmitteln, von denen ein Shakespeare noch nicht einmal zu träumen wagte, weil Mord dagegen eine saubere und ehrliche Lösung ist.
Aber das Volk ist bekanntlich dumm. Wirklich schrecklich wird es jedoch erst, wenn auch A bgeordnete die Demokratie völlig mißverstehen und sich nicht an das parteipolitische Führerprinzip halten. Erst recht, wenn eine solche parlamentarische Befehlsverweigerung in Österreich ausgerechnet in einer Partei wie der FPO passiert. Da werden nämlich die Ideale des Größten Führers aller Zeiten verraten.
Man muß Euch Österreicher in solchen Situationen nur immer wieder davor warne~n, Euch für originell zu halten. Auch bei uns ist die FDP der schwer berechenbare politische Floh, der mitunter während des Rennens den Hund wechselt.
Besonders dramatisch war es 1972, als die CDU glaubte, genügend Bundestags-A bgeordnete der FDP umgedreht zu haben, um mit Hilfe eines konstruktiven Mißtrauensvotums Willy Brandt stürzen und Rainer Barzel zum Kanzler küren zu können. Doch im Gegenzug gelang es Herbert Wehner, zwei CDU-A bgeordnete umzudrehen, so daß Barzel scheiterte.
Der letzte spektakuläre Fall passierte in München, wo die Mehrheit aus SPD und Grünen im Stadtrat einen .JStadt-Minister“ nicht durchbrachte, weil zwei SPD-Stadträte heimlich für den CSU-Kandidaten gestimmt haben.
Die Grünen hatten ihre Stimmzettel markiert, damit ihnen niemand vorwerfen konnte, sie hätten frei nach ihrem Gewissen entschieden. Es ist zwar richtig, daß Abgeordnete nur ihrem Gewissen verpflichtet sind, aber soviel haben sie von manchen Theologen gelernt, daß das private Gewissen sich an der höheren Norm der Institution zu orientieren hat. Und diese höhere Norm ist in der Politik der Wille der Partei. Wer dem Vorsitzenden in den verlängerten Rücken fällt oder tritt, macht sich eines böswilligen Gewissensbisses schuldig.
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