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Gewitterhimmel über dem Braunsberg

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Wir kommen von Rohrau. Der Sommer ist hoch. Mitten durch ein Bild Vincent van Goghs fahren wir einem apfelgrünen Himmel zu. Immer aufs neue schwingt die Straße links und rechts aus. Es ist der Weg eines Bauernkarrens durch fruchtschweres Ackerland. Buschreihen und die Kronen der krummen Obstbäume, die sich von den Straßenrändern ängstlich wegdrängen, zeichnen mit weichen Pinselstrichen graphische Linien in das Gold des Grundes. Am Horizont schnürt die gerade Linie der Pappelallee: die Reichsstraße von Wien nach Hainburg. Zypressensilhouetten stehen gegen den lichten Himmel, Postenkette ist hier und klirrender Schritt eisengepanzerter Legionäre. Was Wunder, daß der Weg des Landmannes immer wieder ausbricht und zaudernd eine Parallele versucht, ehe er in die strenge Ordnung der Civitas mündet.

Wer zahlt schon gerne Steuern für Straßen, für Brückenbauten, für Landesverteidigung?

Und dann fahren wir durch das große, wuchtige Tor von Hainburg. Dunkle Steine, mächtige Quadern,

einige Stockwerke hoch. Dem kleinen Räuber ein unbezwingbares Bollwerk zwar, im osmanischen Ansturm aber von den Flammen der verbrannten Stadt rußgeschwärzt, während die Männer abgeschlachtet, die Frauen und Kinder verschleppt wurden, die Pferde die Felder zerstampften und Gesindel plündernd von Hof zu Hof streunte.

Das alles ist da, ist gegenwärtig, oben auf der Kuppe des Braunsberges, auf dem wir im heftigen Sturm stehen.

K'urzes Gras wächst hier, verkrüppeltes Buschwerk. Die klei-Lnen Feuerwerke des Weinberg-Lauchs sprühen ihre gelben und zyklameroten Fontänen. Einzeln und sehr gerade, alles überragend brennen die Königskerzen ihr Gelb in die nun schwarz stromaufwärtsziehenden Wolkenbänke. Der freistehende Berg ist eingekreist. Roter Burgunder rückt auf dereinen Seite in den wohlgeordneten Karrees römischer Kohorten heran.

Die Weingärten sind schnurgerade gezogen. Der Boden zwischen den Reben leuchtet purpurn. Blut. Kriem-hildes weiße Hand ist hier in Etzels braune Faust gelegt. Hochzeitsbänder

flattern von den Kaminen. Hochauf bauschen sich die Polster über dem bräutlichen „Bettstadl" in Preßburg, dessen vier Pfeiler heute nur undeutlich in der Feme zu sehen sind. Im Norden aber brandet das Gewieher schwarzer Hengste von der Krönungsburg der ungarischen Könige flußaufwärts. Ab und zu wetterleuchtet es in dem dunklen Gewölk. Der Auwald brodelt. Der Strom ist ein blankes Metallband mitten durch, einmal violett, dann wieder schwefelgelb. Und drüben, unter den zottigen Wolkenmähnen, dehnt sich wieder der Teppich von Roggen und Mais, von Weizen und Gerste.

Schon verhüllen die silbernen Strähnen des fallenden Regens die Hänge der Hochfläche arrl tschechischen Ufer, schon greifen sie in die tiefergelegene Ebene hinein, ziehen einen dichten Vorhang über die Industrieanlagen jenseits der March, überschreiten in breiter Formation die Grenze. Nur die Klippen von Theben leuchten noch in einem phosphoreszierenden Schein. Ein Strahlenbündel ist durch eine Lücke in der Wolkenwand durchgebrochen. Eine honiggelbe Lichtbahn quert den stahlblauen Himmel.

Immer weiter franst der zottige

Regenmantel nach Westen. Schon ist das Marchfeld von einem hellen Schleier eingehüllt. Doch noch immer glänzt Theben im goldenen Licht.

Es ist zwar nicht die siebentorige Stadt der Griechen, trotzdem müssen wir an Antigone denken, an Kreons harten Sinn, an Sophokles immernoch gültiges Wort.

Die Wolken haben die Lücken geschlossen. Der helle Fleck ist verschwunden. Gleichmäßig grauer Regen rinnt dort, drüben, jenseits des Stromes.

Einige schwere Tropfen fallen auch hier. Während wir gegen den Sturm ankämpfend zu unserem Wagen gehen, steigen krächzend etliche Dohlen auf und lassen sich ein Stück in den finsteren Himmel treiben. Hellblau leuchten die Augen der Vögel. Sie sind scharf und stechend, wie die Augen der Kelten. Wir gehen über kurzes struppiges Gras, wirres Strauchwerk wuchert zwischen den Steinen. Von der Keltenburg, die einst hier stand, ist nichts mehr zu sehen.

Noch einmal blicken wir hinunter und über das Land. Der Strom ist jetzt eine dunkle, geheimnisvolle Spange, die alles zusammenhält.

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